12. Februar: Jetzt habe ich einen ganzen Monat nicht geschrieben, weil ich so viel lernen musste. Und heute haben wir die Zeugnisse bekommen. Im Fleiß habe ich, trotzdem ich so gelernt habe in der letzten Zeit, wieder nur einen Zweier. Die Frau Dr. M. hat eine großartige Ansprache gehalten und hat gesagt: Wie die Saat, so die Ernte. Das ist aber nicht immer wahr. In Naturgeschichte habe ich zweimal nichts gekonnt und habe doch 1 bekommen und in Geschichte habe ich nur einmal nichts gekannt und habe Genügend bekommen. Allerdings kann mich das Fräulein V. nicht leiden, weil ich damals in der Elektrischen nicht gegrüßt habe. Und deshalb hat sie auch im Jänner, wie die Mama nachfragen war, gesagt: „Es fehlt ihr am richtigen Ernst.“ Und damals habe ich gehört, wie der Papa zur Mama gesagt hat: Mein Gott, sie ist doch noch ein Kind, aber heute hat er mir doch einen Skandal wegen dem Fleißzweier gemacht. Das hat er doch wissen können. Die Dora hat, wie sie behauptet , lauter Einser, aber sie zeigt das Zeugnis nicht. Und was ich nicht sehe, das glaube ich nicht. Und die Mama verrät sie einfach nicht.
15. Februar: Der Papa ist wütend, weil der Oswald ein Nichtgenügend hat im Griechisch. Eigentlich ist das Griechisch ganz unnötig; denn niemand braucht es, außer die Leute in Griechenland, und dorthin geht doch der Oswald ohnehin nie, wenn er auch auf den Landesgerichtsrat studiert wie der Papa. Die Dora lernt natürlich Latein; na, das tue ich mir nicht an. Die Hella hat keine besonderen Noten, und ihr Papa tobte !!! Er verlangt, sie soll die Beste sein. Aber sie ist gar nicht so erpicht darauf und sagt: Man muss nicht alles haben. Wenn sie im zweiten Halbjahr nicht lauter Einser hat, darf sie nicht weiter gehen ins Lyz. Sie muss in die Bürgerschule gehen. Dann bringt sie sich um. Der Papa ist auch sehr komisch; wozu hat man denn Geschichtenbücher, als dass man sie liest. Gestern lese ich im Töchteralbum und der Papa kommt herein und sagt: Du, lies lieber im Geschichtsbüchel als im Geschichtenbuch und schlägt mir das Buch zu. Ich habe einen solchen Zorn gehabt, dass ich mich schon um 7 Uhr ohne Nachtmahl ins Bett gelegt habe.
20. Februar: Heute begegnete ich der Goldfee. Sie redete mich an und fragte, warum ich nicht aufs Eis komme. Das Kostümfest am 14. sei großartig gewesen. Ich sagte: Denken Sie sich Fräulein, meine Schwester hatte im vorigen Jahr Mittelohrentzündung, und deshalb dürfen wir beide heuer nicht aufs Eis. Sie lachte furchtbar und sagte so entzückend süß: Ja, die böse Schwester. Sie ist einfach göttlich: Ein rehbraunes Kostüm mit feinem Pelz, ich glaube Zobel, besetzt und einen riesigen braunen Kastorhut mit Schinébändern, hochfein. Und dann diese Augen und der Mund. Ich glaube, sie wird den Herrn heiraten, der immer mit ihr gelaufen ist. Wenn wir im Herbst wieder neue Winterkleider bekommen, lasse ich mir ein rehbraunes mit Pelz machen, wir müssen doch nicht immer gleich angezogen sein. Die Hella und die Lizzi sind nie gleich angezogen.
8. März: Mit der Franke spreche ich nie mehr ein Wort; eine solche Falschheit. Ich habe solche Kopfschmerzen, weil ich die ganze Stunde geweint habe. Sie schreibt der Hella und mir in der Rechenstunde auf: Ein Verhältnis heißt ganz etwas anderes. Und das Fräulein schaut gerade her und sagt: Wem hast du zugenickt? Und sie sagt: Der Lainer. Weil sie gelacht hat über das Wort „Verhältnis“. Das war aber wirklich nicht wahr. Ich habe zuerst an gar nichts gedacht und erst wie ich den Zettel lese, fällt der Hella und mir ein, was Verhältnis heißt. Nach der Stunde ruft uns das Fräulein St. hinunter ins Professorenzimmer und sagt der Frau Dr. M., dass wir, die Franke und ich, so gelacht haben über das Wort „Verhältnis“. Und die Frau Dr. M. sagt: Was gibt es denn da zu lachen; rechnet lieber ordentlich. Und das Fräulein sagt: Schämt Euch, in der ersten Klasse sollt Ihr solche Sachen gar nicht wissen. Ich werde mir Eure Mutter vorladen. In der Deutschstunde hat die Frau Dr. M. einen Spruch als Aufsatz gegeben: Rein das Herz und wahr das Wort, klar die Stirn und frei das Aug, das sei des Menschen Hort, oder so ähnlich; ich muss es mir von der Hella abschreiben, denn ich habe die ganze Stunde geweint.
10. März: Heute hat sich die Franke herausreden wollen; aber die Hella und ich haben ihr gleich gesagt, wir reden nicht mehr mit ihr. Und sie soll nur dran denken, was für Sachen sie uns gesagt hat. Und da hat sie alles abgeleugnet und gesagt, wir haben ohnehin schon alles gewusst. Wir sollen uns nur nicht so verstellen. Das ist eine Gemeinheit. Wir haben eigentlich gar nichts gewusst und sie hat uns alles gesagt. Und schon oft hat die Hella zu mir gesagt, sie wollte, dass wir gar nichts wüssten. Weil sie immer Angst hat, sich zu verraten. Und dann, weil sie oft an so etwas denkt, wenn sie lernen soll. Das ist bei mir gerade ebenso. Und manchmal träumen einem auch solche Sachen, wenn man gerade Nachmittag davon geredet hat. Aber es ist doch besser, wenn man alles weiß.
22. März: Ich komme so selten zum Schreiben, erstens haben wir sehr viel zu lernen und zweitens freut es mich nicht mehr, seit der Papa das gesagt hat. Wie ich das letzte Mal geschrieben habe, das war an einem Samstag nachmittags, da kommt der Papa herein und sagt: Kommt Kinder, wir fahren nach Schönbrunn. Das ist Euch gesünder als Tagebuchkritzeln, das Ihr dann höchstens irgendwo liegen lasst. Also hat die Mama es doch dem Papa gesagt in den Ferien. Das hätte ich nie geglaubt von der Mama, denn ich hatte sie gebeten, sie soll mir schwören, dass sie's niemanden sagt. Und sie hat gesagt: Bei so etwas schwört man nicht; aber ich sage es auch so niemandem. Und jetzt muss sie es doch gesagt haben, obwohl sie es mir versprochen hatte, nichts zu sagen. Da ist ja die Falschheit von der Franke nichts dagegen, denn die kennen wir doch erst seit heuer, aber dass die Mama das tut, das hätte ich nie geglaubt. Ich habe es der Hella erzählt, wie wir aufs Tivoli jausnen gingen und sie sagte, sie würde auch ihrer Mama nicht ganz trauen, eher noch dem Papa. Aber der hätte ihr, wenn ihr das passiert wäre, das Tagebuch um die Ohren gehauen. Ich habe mir nichts anmerken lassen, aber am Abend habe ich der Mama nur ein ganz kleines Bußerl gegeben. Und sie hat gesagt: Was hast du denn, mein Kleines, ist dir etwas passiert? Und da habe ich mich nicht halten können und habe grässlich geweint und gesagt: Du hast mich schmählich verraten. Und die Mama hat gesagt: „Ich?“ Ja, du; du hast dem Papa das vom Tagebuch gesagt, obwohl du mir versprochen hast, nichts zu sagen. Zuerst erinnerte sich die Mama nicht einmal daran; aber dann erinnerte sie sich gleich und sagte: „Aber, Kindchen, der Papa darf doch alles wissen. Du hast doch nur nicht wollen, dass die Dora etwas erfährt.“ Das ist wohl wahr, das wäre schon gar schön gewesen; aber der Papa hätte es auch nicht wissen brauchen. Und die Mama war furchtbar lieb und nett, und ich ging erst um 10 Uhr ins Bett. Aber sagen werde ich ihr doch auf keinen Fall mehr etwas, und das ganze Tagebuch freut mich nicht mehr. Die Hella sagt: Das ist eine Dummheit; deswegen soll ich nur weiterschreiben; aber ein andermal soll ich nichts verlieren, und dann soll ich nicht gleich immer alles der Mama und dem Papa klatschen. Sie sagt ihrer Mama gar nichts mehr, seit damals im Sommer, wo ihr ihre Mama eine Ohrfeige gegeben hat, weil ihr das fremde Mädchen alles gesagt hat. Es ist wahr, die Hella hat recht, ich bin sehr kindisch, dass ich mit allem gleich zur Mama renne und ihr alles erzähle. Und das ist vom Papa auch nicht schön, dass er mich so aufzieht mit dem Tagebuch; wahrscheinlich hat er selber nie eines gehabt.
27. März: Juchu, wir fahren zu Ostern nach Hainfeld; ich freue mich riesig. Die Freundin der Mama wohnt dort, und ihr Mann ist dort Doktor, deshalb müssen sie jahraus, jahrein dort wohnen. Voriges Jahr im Winter war sie einmal mit der Ada auf drei Tage bei uns, weil sie augenleidend ist. Die Ada ist zwar beinahe so alt wie die Dora, aber die Dora sagt in ihrer Frechheit: „Nach ihrem geistigen Niwo passt sie entschieden besser zu dir.“ Die Dora glaubt nämlich, so gescheit wie sie, ist kein anderer Mensch. Und zwei Buben haben sie, aber die kenne ich nicht genau, weil sie erst 8 und 9 Jahre sind. Die Freundin der Mama war schon einmal im Irrenhaus, weil sie trübsinnig war, wie ihr kleines Kind mit zwei Jahren gestorben ist. Ich kann mich gut erinnern, das muss vor zwei Jahren gewesen sein, da sagten die Eltern immer, die arme Anna, unter drei Tagen hat sie ihr Kind verloren. Und ich habe geglaubt, wirklich verloren, und habe einmal gefragt, ob sie es schon gefunden haben. Ich glaubte nämlich, im Wald verloren, weil bei Hainfeld so viel Wald ist. Und ich kann seither nicht leiden, wenn jemand sagt verloren statt, er ist gestorben, weil man sich dann nie auskennt, wie es gemeint ist.
Читать дальше