22. Dezember: Heute ist die Tante Dora gekommen. Sie wird jetzt einige Zeit bei uns bleiben, bis die Mama ganz gesund ist. Ich habe mich nicht mehr sehr gut erinnern können an sie, da war ich nämlich erst vier oder fünf Jahre, wie sie fort von Wien ist. Der liebe schwarze Käfer hat sie zu mir gesagt und hat mir ein Bußerl gegeben. Das schwarz höre ich nicht gerade sehr gern, aber die Hella sagt, es steht mir sehr gut, das ist pikant . Pikant sagen immer die Offiziere von ihrer Kusine in Krems, von der der Papa sagt, sie ist eine beauté das heißt soviel als Schönheit und sie ist auch ganz dunkel. Aber ich möchte doch lieber blond sein, blond und dazu braune oder noch lieber blaugraue Augen. Ob ich auch so eine beauté werde? Hoffentlich ja !!
23. Dezember: Ich freue mich schon furchtbar auf morgen. Was ich bekommen werde? Jetzt muss ich Christbaum aufputzen. Die Inspee fragt gerade: Heuer putzt die Gretel auch auf? Sie hat ja nie aufgeputzt! Ich möchte wissen, warum nicht. Aber die Tante drinnen hat gleich meine Partei genommen. „Natürlich putzt sie auch auf; aber bitte nicht allzu viel ins Kröpfchen“. „Wenn die Dora nichts isst, ess ich auch nichts“, sag ich gleich.
Am Abend. Gestern haben wir die letzte Schule gehabt. Wir haben frei vom 23. bis zum 2. Jänner. Das ist herrlich. Da gehe ich jeden Tag aufs Eis. Heute und morgen habe ich natürlich keine Zeit. Ob ich der „Goldfee“ eine Karte schicken soll. Wenn sie nur einen schöneren Namen hätte. Aber Anastasia Klastoschek; das ist grässlich ordinär. Überhaupt alle böhmischen Namen sind so grässlich ordinär. Der Papa kennt einen Grafen Wilczek, aber noch ärger ist schon Schafgotsch. Ich würde nie einen heiraten, der Schafgotsch oder Wilczek heißt und wenn er auch ein Graf und ein Millionär ist. Gestern haben wir allen Lehrkräften gratuliert, bei der Frau Dr. war ich und die Verbenowitsch, weil sie uns am liebsten hat, d. h. haben soll . Zum Professor Rigl, Igel, wir sagen immer Nickel, hat niemand gehen wollen, weil er beim Gratulieren immer sagt: „Is scho gut“. Das ist doch eine Gemeinheit und so haben müssen die Klassenordnerinnen gratulieren gehen. Vor Weihnachten hat die Frau Doktor uns ermahnt, dass wir niemanden von den Lehrkräften etwas geben dürfen. „Ich bitt' Euch Kinder, haltet Euch darnach, es kommt nur Verdruss heraus dabei, Ihr wisst es ja vom Nikolo her. Und ins Haus dürft ihr den Lehrkräften auch nichts schicken und vor die Tür stellt ein feines Christkindl auch niemanden etwas.“ Und dabei hat sie mich und die Bergler Edith furchtbar angeschaut. Also weiß sie es doch vom Krampus. Ich bin so müde, dass mir die Augen zufallen. Ah bravo, morgen ist Weihnachten!!!
24. Dezember: Der Weihnachtstag Nachmittag ist scheußlich. Man weiß nicht, was man tun soll, nichts freut einem mehr. Aufs Eis mag ich auch nicht, so schreibe ich jetzt lieber. Gestern ist der Oswald gekommen. Alle sagen, dass er gut aussieht; ich finde ihn schrecklich blass, und er hat auch ganz höhnisch gelächelt, wie alle seine gute Farbe lobten; natürlich, wie kann er denn gut aussehen, wenn er einen Liebesgram hat. Ich möchte ihm gern sagen, dass ich ihn ganz gut verstehe, aber er ist zu stolz, ein Mitleid anzunehmen. Er hat sich einen Armeerevolver zu Weihnachten gewünscht, aber ich glaube, er bekommt ihn nicht, weil Mittelschüler keine Waffen haben dürfen. Vor einiger Zeit hat im Gymnasium in Galizien ein Schüler seinen Professor aus Rache erschossen; es hat geheißen wegen schlechten Fortgang, aber in Wirklichkeit war es wegen einem Mädchen, obwohl der Professor schon 36 Jahre alt war. Heute vorm. war ich mit dem Oswald in der Stadt, Einkäufe besorgen; wir haben die Warth begegnet, nämlich die Elli und – – – den Robert. Der Oswald findet die Elli ganz passabel, aber der Robert ist ein grünes Scheusal, sagt er; und es passt ihm nicht sagt er, dass er mich so anglotzt. Wenn er erst das vom Sommer wüsste! Ich habe den Robert furchtbar von oben herunter behandelt, und das hat ihn wütend geärgert. Wenn man Euch Mädeln nur behüten könnte vor all dem Traurigen, was die Welt „Liebe“ heißt, sagte der Oswald am Nachhauseweg. Und wie ich anfangen will zu sagen „Ich weiß, dass Du unglücklich liebst und fühle mit Dir“, biegt die Inspee mit ihrer guten Freundin um die Ecke der Bognergasse und es rennen ihnen 2 Offiziere nach, so dass sie uns gar nicht gesehen haben. „Saperment, die Frieda hat sich herausgemausert, das ist ein feiner Bissen“, sagt der Oswald. Solche ordinäre Bemerkungen kann ich nicht ausstehen und ich habe auch den ganzen Weg nicht mehr geredet. Er hat es auch bemerkt und hat zur Mama gesagt: „Der Gretel ist vor Neid der Mund zugefroren“. Weiter nichts. Das ist wirklich infam, und ich weiß wenigstens, was ich zu tun habe.
Gott, schnell noch ein paar Worte. Der ganze Weihnachtsabend ist verpatzt. Ein Dienstmann hat für die Dora ein Boukett abgegeben, und der Papa ist wütend. Ich möchte nur wissen von wem? Am Ende, gar von den 2 Offizieren heute? Die Inspee sagt natürlich, sie weiß nicht, von wem. Mich wundert nur, dass der Oswald nichts verraten hat. Er sagte nur: Na, das ist auch ein Gusto! Aber der Papa hat ihn gleich recht angefahren: „Du halt das Maul und denk an deine Schweinereien.“ Das habe ich ihm gegönnt; ich finde ja auch die Dora nicht so großartig, aber schließlich kann sie ja doch einem gefallen. Im Boukett war ein Gedicht, das hat die Dora schnell heimlich herausgerissen, ehe es der Papa gesehen hatte. Es ist sehr schön und als Unterschrift steht: Einer, dem Sie das Weihnachtsfest verschönern! Und als Überschrift: „Festzauber“. Ich finde es geradezu heroisch, dass die Dora sich nicht verrät; sie behauptet auch zu mir, sie weiß es nicht; wenn das nicht eine ihrer Falschheiten ist. Ich glaube, eigentlich eher wird es von dem jungen Perathoner sein, der immer mit ihr läuft am Eis.
28. Dezember: Ich habe gar keine Zeit gehabt zum Schreiben. Ich habe alles bekommen, was ich mir gewünscht habe. Und von der Tante Dora haben wir jede einen Operngucker aus Perlmutter in Pelüschetäschchen bekommen. Wir werden nämlich in alle Schülervorstellungen gehen, wir haben von Papa die Anweisung bekommen; nämlich die hat er selbst geschrieben für alle Vorstellungen im Schuljahr 19.. bis 19.. Ich freue mich furchtbar, denn die Frau Dr. M. kommt auch. Wenn ich nur neben ihr sitzen könnte.
31. Dezember: Ich habe heute alles durchlesen wollen, was ich geschrieben habe. Aber ich bin nicht dazugekommen. Aber im neuen Jahr muss ich wirklich alle Tage schreiben.
1. Jänner 1901(?): Wenigstens ein paar Sätze muss ich schreiben. Nachmittags waren wir bei Rydbergs eingeladen, und da waren auch die Warth Edle von Wernhoff!! dort. Mit der Lisel habe ich geredet wie gewöhnlich, aber mit dem R. kein Wort. Sie sind früher fort als wir, und da hat mich die Heddy gefragt, was ich mit dem R. gehabt habe. Er hat von mir gesagt: Die schwarze Gans kann mir gestohlen werden. Und dann hat er gesagt, mir kann man alles aufbinden. Ich bin so dumm, dass ich alles glaube. Was das eigentlich heißen soll, weiß ich nicht; denn er hat mir nie etwas aufgebunden. Übrigens werde ich mir nicht den ersten Tag im Jahr durch den verderben lassen. Aber da hat die Hella Recht, wenn man am 1. Jänner einen ordinären Menschen zuerst begegnet, so ist das schon ein schlechter Anfang. Ich begegnete nämlich in der Frühe, wie ich aus dem Tore ging, unseren alten Briefträger, der immer so brummt wenn ihm nicht gleich aufgemacht wird. Ich schaute schnell weg und drüben ging gerade ein feiner junger Herr, aber das nützte nichts mehr, der ordinäre Briefträger war doch der erste.
12. Jänner: Ich ärgere mich furchtbar. Wir dürfen nicht mehr auf Eis gehen, weil die Inspee wieder mit ihren dummen Ohren anfängt und die Mama bildet sich ein, sie hat sich im vorigen Jahr die Mittelohrentzündung am Eis geholt. Also gut, dann soll sie nicht gehen; aber ich? Was kann denn ich dafür, dass sie so empfindlich ist? Der Papa ist sonst wirklich die Gerechtigkeit selber, aber in diesem Falle verstehe ich ihn nicht. Das ist doch einfach lächerlich, das heißt, es ist zu traurig, als dass man sagen kann lächerlich. Ich bin empört. Jedenfalls rede ich gar nichts.
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