„Keine Ahnung… Wir finden es schon noch raus“, murmelte sie müde und gähnte, bevor sie sich wieder zurücklehnte.
„Na ja… Ich mache mir jetzt erst was zu frühstücken, willst du auch etwas?“
„Ich will einfach nur schlafen“, meinte sie halb wach und ich ging grinsend aus meinem Zimmer. Sie war schon ziemlich knuffig, wenn sie müde war.
Unten in der Küche machte ich mir erst einmal einen Kaffee und war dankbar, dass die Einrichtung von früher noch komplett hier war, Kaffeebohnen nicht so schnell schlecht wurden und wir zum Glück vor unserem Einzug dafür gesorgt hatten, dass jemand das Haus sauber machte.
Ich lehnte mich gerade an unseren Kühlschrank, als ich Geräusche von draußen hörte, sodass ich genervt die Augen verdrehte. Vermutlich war das wieder der Vampir, der gestern schon hier rumgeschlichen war. Dieses Mal würde ich ihn aber nicht einfach so entkommen lassen.
Ich sprach einen kleinen Zauber, der vorübergehend verhinderte, dass ein Vampir unser Grundstück verlassen konnte und ging dann mit meinem Kaffee in der Hand gelassen zur Haustür, die ich ohne zu zögern öffnete.
Sofort hörte ich, wie jemand bei diesem Geräusch wegrennen wollte und nur kurz darauf einen unterdrückten Aufschrei ein paar Meter neben mir. Jetzt würde ich wenigstens rausfinden können, wer uns seit unserer Ankunft beobachtete. Betont entspannt drehte ich mich zu dem Mann um, der sich gerade wieder aufrichtete.
„Du willst doch wohl noch nicht gehen?“
„Ich will eure… Gastfreundschaft ja nicht überfordern“, meinte der Mann vor mir grinsend, während er sich aufrichtete und ich ihn genauer ansehen konnte.
Schwarze Haare, blaue Augen, ein furchtbar eingebildetes Lächeln… Ich kannte diesen Mann, wenn auch nur flüchtig.
Hauptsächlich stammten meine Erinnerungen von einem Weihnachtsball vor etwa 12 Jahren, bei dem er ein ziemliches Arschloch gewesen war. Mom hatte zwar damals verhindern wollen, dass ich etwas mitbekam, aber ich erinnerte mich daran, dass er an dem Abend ziemlich aufdringlich gewesen war.
Sie hatte ihm schließlich das Genick gebrochen, auch wenn sie nicht mitbekommen hatte, dass ich das gesehen hatte. Aber meiner Meinung nach hatte er das auch verdient gehabt, er war ihr viel zu nahe gekommen, das hatte ich selbst mit meinen sieben Jahren bemerkt.
„Das tust du schon nicht, Lucian“, meinte ich ruhig und lehnte mich gelassen an die Haustür.
Sofort sah er mich fragend an. „Du kennst mich?“, fragte er verwirrt. „Woher?“
„Wir haben uns schon mal kennengelernt, so halb wenigstens“, antwortete ich geheimnisvoll, nachdem ich einen Schluck von meinem Kaffee getrunken hatte. Er hatte meines Wissens nach nie erfahren, wer ich eigentlich war und wahrscheinlich wusste er auch nicht einmal, dass ich der kleine Junge von damals war. „Wieso beobachtest du uns?“
„Ich will keinen Ärger, nur damit das klar ist. Ich wollte nur wissen, welche mysteriösen Fremden in die Villa der Johnsons gezogen sind.“
„Und einfach zu fragen war wohl keine Idee für dich, oder was? Du bist wirklich das komplette Gegenteil von Isabel“, grinste ich.
„Isabel? Woher kennst du sie, was hast du mit ihr zu tun?“, fragte er sofort. Da hatte wohl jemand eine ziemliche Schwachstelle. Merkwürdig… Vor sieben Jahren meiner Mutter die große Liebe vorspielen und jetzt plötzlich so besorgt um ihre Schwester sein? Na ja, ich wusste ja, dass er ein Arschloch war.
„Oh, nicht viel. Sie war nur nicht so unhöflich wie du und hat einfach geklingelt. Wir haben übrigens festgestellt, dass wir alle keinen Ärger wollen und wir uns deswegen gegenseitig in Ruhe lassen. Ich hoffe, das macht jetzt nicht deine Pläne zunichte?“, fragte ich gespielt locker und trank noch einen Schluck von meinem Kaffee.
„Isabel hat einen Waffenstillstand mit euch ausgehandelt?“, fragte Lucian genervt nach. Anscheinend hatte er etwas dagegen, dass er uns jetzt wohl in Ruhe lassen musste, wenn er keinen Ärger mit Isabel wollte.
„Ja. Und zumindest wir haben vor, uns auch daran zu halten und euch in Ruhe zu lassen. Hast du etwa ein Problem damit?“, fragte ich provokant und er sah mich genervt an.
„Nein, habe ich nicht. Lässt du mich jetzt endlich wieder gehen? Diese Barriere hier ist ziemlich lästig.“
Ich sah den Mann vor mir skeptisch an, löste die Barriere aber dann mit einer kleinen Handbewegung. Sie hätte eh nicht mehr lange standgehalten, es war eben nur ein kurzer Zauber.
„Ich hoffe, dass wir dich jetzt nicht mehr so schnell wiedersehen“, grinste ich ihn spöttisch an.
„Das werdet ihr nicht, glaub mir“, meinte Lucian noch kurz, bevor er die Augen verdrehte und innerhalb von ein paar Sekunden verschwunden war.
Ich legte das Mädchen vorsichtig auf mein Bett, nachdem ich mich leise ins Haus geschlichen hatte. Nachdenklich musterte ich sie. Ich würde Isabel davon erzählen müssen, und zwar am besten bevor sie durch irgendeinen dummen Zufall das halbtote Mädchen auf meinem Bett entdeckte… Das würde mich schließlich in eine ziemlich peinliche Situation bringen und ich konnte ihr schlecht sagen, dass ich sie einfach so auf dem Waldboden gefunden hatte.
Aber zuerst musste ich dieses Mädchen, das hier so hilflos vor mir lag, wieder ins Leben zurückholen. Sie war ein Vampir, das wusste ich seit ich sie erkannt hatte genau, also war Blut gerade wohl das Beste für sie. Nur dass ich so etwas nicht wirklich hier im Kühlschrank aufbewahrte. Also holte ich schnell ein Messer aus meiner Küche und ging dann wieder nach oben in mein Zimmer.
Ich vertraute diesem Mädchen auf meinem Bett und ich hatte ihr und auch mir selbst versprochen, dass ich sie retten würde. Ich hatte wortwörtlich keine andere Wahl. So nahm ich das Messer fest in meine Hand und schnitt mir vorsichtig in die freie Handfläche. Sofort floss das Blut aus der Wunde und ich legte meine Hand schnell auf ihren grauen Mund. Eine Weile stand ich nur so da und ließ mein Blut in ihren Mund tropfen, bis ich bemerkte, wie langsam die Farbe in das Gesicht des Mädchens vor mir zurückkehrte. Ihre hellgraue Haut bekam wieder einen rosigen Ton und es war faszinierend zu beobachten, wie ihr Gesicht langsam wieder normal wurde.
Ich erschrak leicht, als sie plötzlich ihre Augen öffnete und nach meinem Handgelenk griff, um noch schneller und besser an mein Blut zu kommen. Einen Moment lang ließ ich es zu, vollkommen beeindruckt von ihrer Verwandlung von einer Versteinerten zu einer so starken Frau, riss dann aber so schnell wie möglich meine Hand wieder weg, bevor sie zu viel Blut von mir nehmen konnte.
Das Mädchen vor mir sah sich mit geweiteten Augen in meinem Zimmer um, bis ihr Blick schließlich auf mich fiel. Heiser flüsterte sie meinen Namen und kurz darauf noch einen anderen. Dieser klang drängender, flehender, aber ich konnte ihn nicht verstehen. Ihre Stimme war so rau und heiser, sie war wohl immer noch ziemlich geschwächt. Gerade als ich sie fragen wollte, wen sie meinte, stand sie plötzlich auf und war aus meinem Zimmer verschwunden, bevor ich auch nur blinzeln konnte. Das Einzige, was von ihr zurückblieb, war ein wehender Vorhang vor meinem offenen Fenster und die Erinnerung an ein vertrautes Gesicht aus der Vergangenheit.
Ich sah Lucian hinterher und ging nur kurze Zeit später wieder zu unserem Haus zurück. Gerade als ich die Tür wieder hinter mir schließen wollte und mich dafür noch ein letztes Mal umdrehte, stand plötzlich wieder eine Person vor mir.
Dieses Mal jedoch nicht Lucian, sondern jemand, den ich hier nie, aber wirklich niemals, erwartet hätte. Es war ein Mädchen, mehr eine Frau. Eine mir nur zu gut bekannte Frau. Sie sah schwach aus, ein wenig blass, und dennoch gab es keinen Zweifel, dass sie es war. Mein ganzer Körper spannte sich an und mein Herz schlug unnatürlich schnell, während ich zusah, wie meine Tasse Kaffee wie in Zeitlupe aus meiner Hand zu Boden fiel und in tausende Scherben zersprang. Jedoch war mir das gerade vollkommen egal, ich konnte den Blick einfach nicht von dem bekannten Gesicht vor mir abwenden. Also sah ich die Frau vor mir nur mit geweiteten Augen an, in die mir, ohne dass ich es verhindern konnte, Tränen traten und konnte nur ungläubig mit erstickter Stimme ein einzelnes Wort flüstern: „Mom?“
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