1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 „Es wäre an Gintwain, diese Zusammenkunft zu leiten“, sagte Geysbin dann. „Es ist sein Galandwyn, in dem er uns Unterkunft gewährt.“
„Hanat ras fanaimel, si Nuvajan“, erwiderte Gintwain freundlich. Das hatte Ben verstanden. „Ihr seid überaus willkommen, meine Freunde!“
Geysbin fuhr fort: „Dennoch bat er mich, das Wort zu führen. Er behauptet, seine Deutschkenntnisse seien noch nicht ausreichend. Doch versteht er längst das meiste von dem, was wir sagen. Darüber hinaus aber wird er für Totzal von Zeit zu Zeit übersetzen müssen - eine Aufgabe, die außer ihm niemand in dieser Festung erfüllen könnte.“
Bemerkenswert war das schon, dachte Ben. Gintwain sollte ein einfacher Krieger gewesen sein, als er und Geysbin sich vor mehr als 2000 Jahren zum ersten Mal begegnet waren. Jetzt hatte er den alten Großmeister in jeder Hinsicht eingeholt, eigentlich sogar überholt, wenn Ben an die Größe des neuen Galandwyn dachte. Einen Machtkampf schien es zwischen den beiden Großmeistern des Lichts trotzdem nicht zu geben. Larinil hatte einmal erzählt, dass es nach der alten Philosophie der Alben so etwas wie eine Hierarchie nicht gab, dafür eine strikte Aufgabenverteilung, die sich ausschließlich nach Fähigkeiten und Anforderungen richtete. So gesehen passte das ins Bild. Gintwain war besser als Übersetzer, Geysbin als Moderator. Die beiden ergänzten sich. Und solange das so war, gab es überhaupt keinen Grund für einen Machtkampf. Ben konnte sich abgesehen davon auch nicht vorstellen, dass jemand wie Geysbin an so etwas Plumpem wie blanker Macht Interesse haben könnte.
„Ich danke dir, Großmeister Gintwain für deine Hilfe“, sagte Natalie. „Die Verwandelten sind hier in den Festungen alle bestens untergekommen. Nach allem, was ich bisher so höre, kümmern sich die Bewohner Galandwyns rührend um die Neuankömmlinge. Und auch die sprachlichen und kulturellen Barrieren sind zunehmend am Bröckeln. Es sollen schon viele Freundschaften geschlossen worden sein.“
Gintwain nickte.
„Neue Elvan jal’Iniai lernen schnell. Hatten gute Lehrmeister.“
„Ja“, sagte Ben. „Das trifft jedenfalls auf die zu, die wir schon auf Madeira und in Neuseeland unter unseren Fittichen hatten. Sie hatten eine Ahnung davon, was hier auf sie zukommen würde. Sie wissen, was sie sind, was die Macht des Lichts bewirken kann und auch, worum es in diesem Krieg geht. Mehr Sorgen mache ich mir um die neuen ... ich nenne sie mal Rekruten. Die, die wir in den letzten Wochen mit Maus‘ und Viktorias Hilfe nachgeholt haben. Ich schätze, viele von ihnen haben ernste Probleme, das hier zu verdauen. Vermutlich wisst ihr alle, was gestern passiert ist?“
Zustimmendes Nicken.
„Und genau darüber haben wir zu reden.“ Geysbins Gesicht nahm sehr ernste Züge an. „Es war leichtfertig von uns, zu glauben, wir seien im Westen vor Sardrowains Truppen sicher. Wir nahmen an, er brauche Zeit, um seine Macht im Osten zu festigen, um dort die Übergänge vor den ständigen Angriffen der Gorgoils zu schützen. Uns war entgangen, dass er vor den Ruinen Sirisil’tweynas bereits ein gut befestigtes Lager errichten ließ.“
„Adro’wiai bringen Soldaten schnell. Mit großen Himmelsbarken“, ergänzte Gintwain und wechselte dann mit Totzal ein paar schnelle Grunzlaute.
„Totzals Krieger haben bemerkt, kamen zu Hilfe.“
„Keine Sekunde zu spät“, sagte Ben. Und das war keine Übertreibung. Die Angreifer waren erschreckend schnell unterwegs. Und sie wussten offenbar recht genau, was sie wollten. Geysbin allerdings schien die Attacke nicht ansatzweise so sehr beeindruckt zu haben wie Ben.
„Und doch griffen sie nicht mit der vollen Wucht ihrer Streitmacht an. Sie hätten uns vernichtet, wäre das geschehen. Ich vermute, dass ein einzelner Offizier Ruhm erwerben wollte mit der Eroberung eines weiteren Übergangs. Er stürmte wohl allein mit seinen Soldaten, ohne die Befehle eines Heerlenkers eingeholt zu haben. Nun, so erreichte er nur, dass wir jetzt gewarnt sind.“
Ben atmete tief durch. Daran würde er sich erst gewöhnen müssen. Für ihn war auch dieses Gefecht ernst gewesen. Todernst, um genauer zu sein. Ein blutiger Kampf, in dem es viele Opfer gegeben hatte. In dem es auch ihn beinahe erwischt hätte. Keine kleine Episode auf dem Nebenschauplatz eines gewaltigen Krieges. Verflucht. In was waren er und Natalie da nur hineingeraten? Und was kam wohl als Nächstes?
„Verstehe ich das richtig, Geysbin? Du gehst davon aus, dass uns Sardrowains Truppen hier angreifen wollen? Hier in Galandwyn? Ist das der Grund, warum er so weit in den Westen vorgedrungen ist?“, fragte Ben.
„Er erst will Sirisil’tweyna“, erklärte Gintwain.
Geysbin nickte. „So wird es wohl sein. Er will die gläserne Stadt zurückerobern.“
„Eher ein gläserner Trümmerhaufen, nach allem, was ich gehört habe“, meinte Natalie und runzelte die Stirn. „Was will er damit? Da ist niemand?“
Geysbin zog die Augenbrauen hoch und sah sie dann eindringlich an. In seinem Blick lag so etwas wie Ergriffenheit - als würde er an etwas sehr Bedeutungsvolles denken, etwas vielleicht, das es schon lange nicht mehr gab.
„Du irrst dich, Natalie. Sirisil’tweyna ist mehr als das. Es war einst die zweite große Metropole Lysin’Gwendains. Ein Ort der Offenheit, ein Ort, in dem Schönheit und Vollkommenheit gedeihen konnten. Wem damals die silberne Stadt San’tweyna zu eng war, die Gedanken der Meister dort zu begrenzt erschienen, der zog nach Sirisil’tweyna. Selbst als vor so vielen Jahrhunderten der Lorrwain losbrach, als die Machtkämpfe in San’tweyna begonnen hatten, wähnten sich die Elvan jal’Iniai in der gläsernen Stadt sicher. Ihnen war das Geschehen in der Ferne so unsagbar fremd. Ähnlich wie damals auch ich, glaubten sie nicht an einen Krieg. Es entsprach nicht der vorherrschenden Vorstellung von Vollkommenheit, wenn sich Elvan jal’Iniai gegenseitig töteten und sich mit Macht über andere erheben wollten. Eine leichtfertige Annahme, die vielen von ihnen das Leben kosten sollte. Denn schon bald belagerten die Truppen der Adro’wiai Sirisil’tweyna, verlangten von den Einwohnern, sich zu unterwerfen. Für diese war das aber ein Gedanke, den sie nicht verstehen konnten. Über die Jahrhunderte hinweg waren sie zu einem Volk geworden, in dem man sich nur dann für eine begrenzte Zeit unterordnete, wenn es einen Nutzen für alle versprach. Verstand es etwa jemand, meisterlich ein Boot zu lenken, so folgten man dessen Anweisungen. Aber nur für die Dauer der Fahrt. Schon am folgenden Tag war es möglich, dass eben dieser Bootslenker zum einfachen Schüler in der Kunst des Bogenschießens wurde.
Aus diesem Grund schlugen die Elvan jal’Iniai der gläsernen Stadt den Belagerern eine Gesprächsrunde vor, in der das rechte Handeln im Angesicht der Mächte des Lichts erörtert werden sollte. Die Truppen antworteten mit Schwert und Feuer. Die Adro’wiai wollten nun nicht mehr nur eine Stadt erobern, sie wollten eine in ihren Augen überkommene Idee ausmerzen. Sirisil’tweyna, das Sinnbild dieser Idee, musste fallen, seine Einwohner sterben. Tausende verloren ihr Leben. Und so wurde auch uns, den Gegnern der Adro’wiai, die wir dem Geschehen bisher tatenlos zugesehen hatten, klar, dass ein Krieg unausweichlich geworden war.“
„Sie haben eine ganze Stadt ausradiert?“, hakte Natalie ungläubig nach.
„Viele der gläsernen Bauten Sirisil’tweynas wurden zerstört, die meisten ihrer Bewohner starben. Einige Hundert Überlebende flohen hierher in die Kant’ras-Berge, bauten die erste der sieben Festungen. Andere blieben in der Stadt und wählten ein Leben in den weitläufigen Stollen, tief unten in der Erde. Dort sind ihre Nachkommen noch heute. Es sind die, die sich Elvan jal’Tionuiai nennen. Kinder der Dunkelheit.“
„Dunkelalben“, murmelte Natalie beinahe andächtig. „Wie schaffen sie es, ohne Sonnenlicht zu überleben? Ich dachte, Alben können nicht ohne.“
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