1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 In einer Hinsicht erfüllte Galandwyn allerdings dann doch das Kriterium einer Zuflucht: Es war sicher. So sicher, wie ein Ort überhaupt sein konnte. Denn die sieben Festungen waren nur aus der Luft zu erreichen. Keine Treppen, keine Aufzüge. Wohin auch? In den Tälern zwischen den Bergen waren weder Straßen noch Wege. Nur mit Himmelsbarken konnte man Galandwyn anfliegen und das war‘s. Zwischen den Festungen waren darüber hinaus schmale Hängebrücken gespannt - in absolut schwindelerregender Höhe. Bei einigen schätzte Ben die Länge auf einen Kilometer und mehr. Er wollte gar nicht daran denken, wie sehr die Dinger schwankten, wenn auch nur ein bisschen der Wind ging. Bisher hatte er immer eine Ausrede gefunden, wenn ihn jemand - namentlich Larinil - gefragt hatte, ob er mit ihr über eine der Brücken gehen wollte. Er ahnte aber, dass er sich nicht ewig davor würde drücken können.
Da, wo er jetzt gerade war, fiel es ihm allerdings schon schwer genug, mit seinen Schwindelgefühlen klarzukommen.
„Ha Larei jal’Iniai nar’niwa, Ben Hartzberg, Situ’wa jal’Rukkat.“
Geysbin lächelte ihm zu. Er stand vor einem der großen weißen Lehnstühle, die in der Mitte des Mindrai’Coosna, fast direkt über der Spitze des Gipfels, im Kreis gruppiert waren. Die sieben Stühle waren die einzigen Möbel und, wenn man sich das leicht milchige Glas, aus dem Boden, Seitenwände und Dach gemacht waren, nicht genauer ansah, konnte man fast glauben, sie würden frei in der Luft schweben. Ben hatte zwar keine übermäßige Höhenangst, aber der Mindrai’Coosna, der Raum der Sonne, stellte seinen Gleichgewichtssinn auch diesmal wieder gehörig auf die Probe. Denn direkt unter ihm fiel die Bergspitze steil ab. Es waren etwa 80 Meter bis zu den Dächern der weißen Festung. Durch Boden und Wände war außerdem der Blick frei auf das absolut atemberaubende Panorama der Kant’ras-Berge mit den anderen Festungen, dem gewaltigen Riesen, an dessen Hang die spitzen Berge lagen. Bens Gemütszustand pendelte noch immer zwischen Schwindel und Faszination, während er auf Geysbin zulief. Und es fiel ihm schwer, sich in diesem Zustand auf albische Begrüßungsformeln zu konzentrieren.
Wie hatte ihn Geysbin genannt? „Situ’wa jal’Rukkat“. „Bezwinger des Sturms“. Eine nette Floskel. Der Großmeister bezog sie ganz sicher darauf, dass Ben in Frankfurt sein Scherflein dazu beigetragen hatte, den Lichtsturm abzuwehren. Na gut. Er hatte ihn tatsächlich mit Kräften, die er noch immer nicht so ganz verstand, zum Stehen gebracht. Das hatte dabei geholfen, dass Geysbin, Gintwain und Larinil den Lichtsturm auslöschen konnten. „Bezwinger des Sturms“ war trotzdem maßlos übertrieben. Allerdings hatte Ben keinen Bedarf, hier und jetzt mit Geysbin darüber zu diskutieren. Rhetorisch war ihm der alte Mann sowieso haushoch überlegen, umso mehr auf Albisch, einer Sprache, die Ben gerade erst lernte.
„Ha fanaimel, tandrial jal’Galandwyn!“, antwortete er und war sich nicht sicher, ob „Sei willkommen!“ die passende Grußformel war, die einer verwenden sollte, der den Raum selbst eben erst betreten hatte. Und schon gar nicht sicher war sich Ben, ob es richtig war, Geysbin als „Tandrial“, als Großmeister Galandwyns zu bezeichnen. Er war das mal in der alten Festung in den Alpen gewesen. Hier aber war eigentlich Gintwain der Großmeister. Auch der war hier, saß in einem der Lehnstühle neben Geysbin. Beide hatten sie die grauen Gewänder ihres Amtes an, was Ben hoffen ließ, dass die Zuständigkeitsfrage in diesem Punkt wohl kein so großes Thema war. Immerhin beschwerte sich niemand bei Ben über seine Wortwahl.
„Hi Ben!“ Auch Natalie war schon im Mindrai’Coosna, was ihn ein wenig überraschte, weil sie sonst gewöhnlich zusammen zu solchen Terminen gingen. Natalie hatte sich allerdings vor gut einer Stunde aus ihrem gemeinsamen Zimmer verabschiedet, um, wie sie sagte, sich um die Neuen zu kümmern. Sie saß in dem Stuhl neben Gintwain und schenkte Ben einen Blick, der es gar nicht zuließ, sauer auf sie zu sein.
„Ich hatte im Wohntrakt noch eine kleine Besprechung. Sonst hätte ich dich zu unserem kleinen Meeting abgeholt. Sorry dafür.“
‚Meeting‘? So hatten sie ihre Lagebesprechungen in Neuseeland immer genannt. Damals allerdings war die Runde noch deutlich größer gewesen. Aber Maus und Viktoria waren in der Menschenwelt geblieben, Larinil hatte sich auf die Suche nach Andrar gemacht. Und der wiederum? Keine Ahnung. Hatte er sich tatsächlich wieder auf die Seite Sardrowains geschlagen? Larinil wollte das nicht glauben. Ben hoffte, dass sie recht hatte.
Eine ausgedünnte Runde also - mit zwei neuen Köpfen allerdings. Einer gehörte eben Gintwain, dem amtierenden Großmeister, der früher Bogenschütze im alten Galandwyn gewesen war, später zum Anführer der abtrünnigen Alben aufstieg und diese schließlich zurück in die Anderswelt führte. Der zweite Kopf war ein Bärenkopf. Er gehörte Totzal, einem zwei Meter großen Gorgoil, vor dem Ben allergrößten Respekt hatte. Allein schon wegen der wilden Geschichten, die Larinil von diesen Kreaturen erzählt hatte. Totzal allerdings gehörte zu den Guten, hatte Geysbin versichert. Der Bärenköpfige hatte bereits eine beträchtliche Streitmacht hinter sich versammelt, eine, die es immerhin geschafft hatte, ihn, Kristin und die anderen am Übergang aus dem Schlamassel zu ziehen. Ben bedachte Totzal mit einem dankbaren Lächeln und einem Nicken. Schwer zu sagen, ob das irgendetwas in dem Gorgoil auslöste. Seine dunklen Augen blinzelten kurz, stierten ihn dann aber weiter unverhohlen an.
Gintwain sagte etwas auf Albisch, was Ben aber nur in Ansätzen verstand. Zum Glück übersetzte Geysbin.
„Er sagt, dass Totzal mit Begriffen wie Höflichkeit oder Dankbarkeit nichts anfangen kann. Dagegen aber mit solchen wie Loyalität und Tapferkeit. Er kennt deine Geschichte und hat deshalb höchste Achtung vor dir.“
Ben nickte kurz und setzte sich. Diese Unterhaltung könnte zur Herausforderung werden, dachte er. Natalie verstand kein Albisch, Gintwain nur wenig Deutsch und Totzal weder das eine noch das andere. Ben versuchte es trotzdem.
„Sag Gintwain bitte, er soll Totzal sagen, dass es mir eine große Ehre war, an seiner Seite zu kämpfen.“
Keine Ahnung, ob das richtig war. In Star Trek sagte man so etwas, wenn man einem Klingonen eine Freude machen wollte. Vielleicht funktionierte das ja auch bei Gorgoils.
Gintwain nickte anerkennend. „Ich verstanden“, sagte er und drehte sich zu dem Bärenköpfigen. Was dann kam, waren ein paar grunzende, keuchende Laute, die Ben im Leben nicht für eine Sprache gehalten hätte. Als Gintwain fertig war, stieß Totzal einen kurzen, aber lauten Brüller aus und schlug sich zweimal kräftig auf die pelzige Brust.
Ben sah, dass sich Natalie erschrak. Geysbin und Gintwain dagegen blieben ruhig sitzen und sahen dabei sehr zufrieden aus.
„War das gut oder nicht so gut?“, fragte Ben.
„Das war sehr gut, Ben Hartzberg“, antwortete Geysbin. „Totzal scheint dich zu mögen.“
„Wow“, meinte Ben nur mit einem Stirnrunzeln.
Und Natalie ergänzte grinsend: „Na, wenn das Mal nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ist!“
Sie hatte allmählich wieder Farbe im Gesicht bekommen, stellte Ben erleichtert fest. Natürlich machte er sich Sorgen. Natalie war der einzige Mensch hier in der Anderswelt. Und damit war sie schwächer, ihr Organismus weit weniger widerstandsfähig als der der Alben. Für sie war es schlicht und einfach saukalt hier in der Festung. Kein Problem für Spitzohren, die sich im wahrsten Sinne mit ein paar warmen Worten schützen konnte. Natalie blieb dagegen nur, zu zittern. Oder sich, so wie jetzt, eine der dicken Antarktis-Jacken überzuziehen, die Ben ihr via Maus organisiert hatte. Niemand konnte aber wirklich wissen, was diese fremde Welt auf Dauer mit ihr machte. Vielleicht hätte Ben mit ihr in Neuseeland bleiben sollen. Da gab es noch Menschen, die in einem Alben nicht automatisch auch einen Feind sahen. Die Anti-Mutanten-Hysterie war dort noch nicht mit voller Breitseite angekommen. Eine Weile lang wäre das sicher noch gut gegangen. Vielleicht jedenfalls.
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