„Anscheinend nicht. Bitte informiere sofort die Spusi, ich brauche das volle Programm. Es war Mord!“
„Alles klar, Magda, wir sind unterwegs! Moment – wo bist du überhaupt?“ „Fahr, wenn du von Hainstadt kommst, im Mömlinger Kreisel die zweite Ausfahrt den Berg hoch, bis ganz oben. Am Schützenhaus parkst du und ich telefoniere dich zu mir.“ „Alles klar!“ Ben legte auf und Magda wischte sich erleichtert über die Augen. Der Tod von Anna ging ihr näher, als sie gedacht hätte.
Ihre Nackenhärchen richteten sich auf und sie drehte sich erschrocken, mit einem Ruck um. Forschend ließ sie ihre Augen von Baum zu Baum gleiten. Fränzchen fing plötzlich an zu knurren und Magda beruhigte ihn mit sanften Worten. Dann packte sie ihn fest an der Leine, zog ihre Pistole, die sie im Wald immer bei sich trug, obwohl es gegen die Vorschrift war und schob sich langsam mit ihm in Richtung der Bäume, bis sie es laut knacken hörte, als würde etwas Großes durchs Unterholz brechen. „Der hat einen ganz schönen Zahn drauf, gell, Fränzchen?“ Der Hund sah zustimmend zu ihr hoch und Magda drehte sich wieder um, nicht ohne sich vorher den Baum zu merken, hinter dem der mutmaßliche Beobachter gestanden hatte. „Wir kriegen dich!“ Laut brüllte sie es hinter ihm her und registrierte befriedigt, dass sie zusammen mit Fränzchen, der wieder begonnen hatte zu bellen, anscheinend ganz schön einschüchternd wirken konnte.
Zornig stand der Mörder hinter der dicken Buche und beobachtete, wie die Frau mit dem komischen Hund, „seine“ Leiche untersuchte. Er war noch nicht ganz fertig gewesen und hatte sie noch schöner betten wollen. Nun musste er sich damit begnügen, seine Handyfotos anzusehen, die er zum Glück gleich nach dem Mord gemacht hatte. Wenigstens den Blütenkranz hatte er ihr aufsetzen können. Er lächelte versonnen. Schön, hatte sie ausgesehen. So friedlich und jung. Sicher hatte sie sich über den Kranz gefreut. Er hatte ihr den blauen Kranz aufgesetzt, weil er am besten zu ihren Haaren ausgesehen hatte. Wie ein Mädchen wirkte sie jetzt. Keine alte Frau sollte allein im Wald umherlaufen müssen. Aber jetzt war sie ja erlöst.
Doch dass er seinen Tanz nicht vollenden konnte, das nahm er der Frau mit dem Hund sehr übel. Schließlich gehörte das zu seinem Ritual und war ihm sehr wichtig!
Unwillig schüttelte er den Kopf und zog sich vorsichtig zurück.
Zuhause nahm er das Handy in die Hand, um die Speicherkarte herauszunehmen, wobei sich seine Miene leicht aufhellte. Dann schaltete er den Laptop ein, den er in seinem alten Kinderzimmer, im Haus seiner Mutter, versteckt hatte. Flink steckte er sie in den Adapter. Dann lud er die Bilder auf den Rechner, wobei er jedes noch einmal genau musterte. Sein Herz klopfte schneller vor Aufregung.
Seine zweite Leiche in dieser Gegend! Stolz vor sich hin schmunzelnd, hob er seinen Rucksack, in der er die Kränzchen, in ihrer Schatulle sicher verwahrt, transportiert hatte und holte sie nacheinander heraus, um sie auf dem Schreibtisch auszulegen. Gänseblümchen und lila Veilchen waren dabei, rote und zwei mit rosa Rosen. Die würden noch eine Weile reichen. Voll Genugtuung legte er sie vorsichtig zurück, wobei er zärtlich zwischen jeden Kranz eine Lage Seidenpapier legte.
Er legte die Stirn in Falten. Er musste noch einmal zu diesem Flohmarkt gehen, wo er drei Kränzchen gekauft hatte. Schließlich mussten sie zu seiner Trägerin auch passen!
Die anderen Kränze hatte er von seinen alten Damen redlich erworben. Er lachte laut auf. So konnte man es auch nennen!“ Sie brauchten sie jetzt nicht mehr. Er dagegen konnte sie gut verwenden.
Nachdenklich betrachtete er die silberne Spange in seiner Hand. Es war nicht mehr als recht und billig, dass er sie als Andenken behalten hatte. Schließlich hatte die alte Dame seinen wunderschönen Blütenkranz dafür bekommen und ein Haarschmuck war wirklich genug für eine alte Frau!
Zehn Minuten später waren Ben, Eddie, Anne und Freddy da. Sie hatten von unterwegs angerufen und Magda hatte sie zum Parkplatz an den Steinbrüchen gelotst. Glücklicherweise war die Schranke oben gewesen, wie sie bei ihrem Aufgang bereits gesehen hatte und so war es für ihr Team kein Problem, zum bezeichneten Parkplatz zu gelangen. Von dort aus waren es höchstens zwei Minuten zu Fuß zum Tatort.
Kurz danach stieß auch Susi zu ihnen, die mollige Rechtsmedizinerin. Sie kannte sich in Mömlingen gut aus, von ihren früheren Spaziergängen mit Magda und hatte problemlos alleine hergefunden.
Freddy begann sofort damit, die Leiche zu fotografieren, während Eddie und Anne vorsichtig die Umgebung absuchten. Magda hatte ihnen den Baum gezeigt, hinter dem der mutmaßliche Täter gestanden hatte und kurz darauf hielt Anne triumphierend ein gebrauchtes Papiertaschentuch in der Hand. Magda grinste spöttisch. „Du bist eine absolut genügsame Frau. Schon ein gebrauchtes Papiertaschentuch kann dich glücklich machen!“
„Das ist wahr, Chefin,“ lächelte Anne zufrieden. „Besonders dieses, denn ich hoffe, es ist die DNA des Täters drauf.“ „Ich denke schon,“ meinte Eddie langsam. „Aber wenn er nicht in unserer Datei ist, nutzt es uns wenig.“ „Warte nur ab,“ blitzte ihn Anne temperamentvoll an. „Wir werden schon noch ein paar Verdächtige finden und dann haben wir ihn!“ Magda sah sie nachdenklich an. „Möglich! Aber nur dann.“
„Ja, ich weiß,“ sagte Anne kleinlaut. „Macht nichts,“ beschwichtigte Ben. „Wir finden ihn einfach und damit basta.“
„Habt ihr den Blumenkranz gesehen?“ wandte sich Magda an ihr Team. „Klar Chefin, so etwas würde mir nie entgehen,“ rief Anna mit blitzenden Augen. „Das glaub ich sofort,“ lächelte Ben süffisant. „Habt ihr ihn eingetütet?“ Eddie hob seinen Spurenkoffer. „Na klar, was denkst du denn!“ „Was meint ihr dazu?“ wollte Magda wissen. Nachdenklich zog Eddie die Nase hoch. „Ich würde auf den ersten Blick sagen, dass es sich um einen alten Kinderreif handelt. Die Blüten sind zerdrückt und ein wenig vergilbt.“ „Er hat recht,“ meinte Anne kurz. „Er sieht fast aus wie meiner, als ich noch Kind war,“ sagte Magda langsam. „Vielleicht hat er ihn vom Flohmarkt,“ erwiderte Ben. „Möglicherweise.“ Magda wandte sich um.
Susi hatte inzwischen Frau Mollebusch untersucht und zog ihr Handy heraus, um den vorläufigen Text darauf zu sprechen. Sie räusperte sich und begann: "Im Wald von Mömlingen, Nähe Königswald und Steinbrüchen, wurde am heutigen 25. September 2020, um 10 Uhr, die 72jährige Frau Anna Mollebusch aufgefunden.“ Sie hatte vom Ausweis der Frau abgelesen, den sie in deren Jackentasche in der Geldbörse gefunden hatte. Dann sprach sie weiter: „Sie starb durch äußere Gewalteinwirkung im Brustbereich. Eine tiefe Stichwunde direkt ins Herz war die Todesursache.“ Sie hob die Hände der toten Frau hoch und drehte die Handinnenflächen nach außen. "Massive Abwehrverletzungen an beiden Händen.“ Behutsam legte sie sie wieder ab. „Der Todeszeitpunkt liegt höchstens eine Stunde zurück. Sie kam ungefähr um 9 Uhr zu Tode.“ Sie sah auf.
„Den Rest kann ich erst nach eingehender Untersuchung in der Rechtsmedizin sagen.“ Langsam sagte sie: „Wahrscheinlich hast du ihn gestört.“ Magda zuckte zusammen, dann straffte sie sich energisch. „Weißt du schon, was die Tatwaffe gewesen sein könnte?“ Susi schüttelte bedauernd den Kopf. „Leider nicht. Ich habe noch nie eine derartige Verletzung gesehen. Es kommt mir fast so vor, als habe der Mörder mit einem spitzen Ast zugestochen, weil die Wunde einen so großen Umfang hat.“ Magda nickte zustimmend.
„Alles klar. Näheres nach der Obduktion?“ Sie lächelte die kleine Rechtsmedizinerin freundlich an, die sich errötend abwandte, weil ihre Augen die Freddys gestreift hatten. In seiner Nähe befiel sie immer eine unverständliche Schüchternheit. Magda lächelte zartfühlend. Es war offensichtlich, dass die sensible Susi und der elegante Freddy füreinander bestimmt waren. Die einzigen, denen das nicht bewusst war, waren die beiden selbst. Magda seufzte und betrachtete den schönen Freddy, der mit seinem Freund Adalbert zusammenlebte, in der Illusion, schwul zu sein.
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