For ever Angstjunkie?
Von der Todesangst - zurück ins Leben
Angenommen, Sie sitzen in einer Veranstaltung inmitten fröhlich lachender Gäste, welche sich über die Pointe des Kabarettisten amüsieren und sich begeistert auf die Schenkel klopfen.
Sie dagegen schauen befremdlich in die Runde, kramen panisch nach einem Taschentuch, um den Sturzbach Ihrer Tränen zu stoppen. Sie begreifen nicht, dass Ihre Mitmenschen über den soeben vernommenen Schwachsinn lachen können.
Ihre Umgebung scheint ein Tollhaus zu sein und Sie haben das unfassbare Gefühl unter einer Glocke zu sitzen, gefangen, allein und völlig isoliert.
Sie befürchten, dass man die lästigen, langsam aufsteigenden Hitzewellen, die Ihnen Schweißperlen auf die Stirn treiben, bemerken könnte und hoffen darauf, dass das laute Pochen ihres Herzen vom dröhnenden Beifall der Gäste verschluckt wird.
So resümierte eine Betroffene über den Beginn ihres ganz persönlichen Leidensweges.
Die Tragik dieses Ereignisses beruht darauf, dass diese Frau nach diesem für uns harmlos scheinenden Erlebnis zwar immer noch funktionierte, jedoch nur mit großem Energieaufwand den Anforderungen in Beruf und Familie gerecht wurde. Mit Erfindungsgeist und schauspielerischem Talent delegierte sie Aufträge und Aufgaben, die in öffentlichen Räumen oder bei Ereignissen mit großen Menschenansammlungen erledigt werden mussten, an ihre Mitmenschen weiter. Als jedoch auch schon der Gedanke an den bevorstehenden Stadtbummel mit ihrer Tochter Herzrasen, Atemnot und Erstickungsgefahr in ihr auslösten, beschloss sie ihr Doppelleben zu beenden.
Sie vertraute sich ihrem Hausarzt an mit der Hoffnung, dass dieser ihr helfen und das "Richtige"
für sie tun würde.
Ob dieser Arzt seine Patientin an einen Neurologen, einen Facharzt für Psychiatrie oder an einen Psychotherapeuten überwiesen hat, wissen wir nicht. Wahrscheinlich ist, dass diese Frau an einer Angststörung erkrankt ist.
In den folgenden Beiträgen möchten wir interessierten Lesern einen Überblick darüber verschaffen, in welchen Formen und Facetten "Angst" in Erscheinung treten und welche auslösende Momente für die Entstehung von Phobien oder Panikattacken verantwortlich sind. Unser Anliegen ist, Ihren Blick dahin gehend zu schärfen, die Unterschiede der Symptome von psychotischen Erkrankungen (Schizophrenie, Depression, bipolare Störung, hysterische Persönlichkeitsstörung) und denen einer Angststörung zu erkennen.
Was ist Angst? Angsthase oder Angstjunkie sein?
Niemand von uns ist gefeit davor, Opfer einer Erkrankung zu werden. Wenn ich aber Kenntnisse über die physiologischen Zusammenhänge meines Körpers und dessen Wechselwirkungen zur Umwelt habe, dann ist schon der erste Schritt zur Vermeidung einer Angststörung oder für eine erfolgreiche Genesung gegangen.
Kognitives Erfassen einer Erkrankung entzieht der Ohnmacht und dem Gefühl des Ausgeliefertseins den Nährboden. Sie erhalten Basiswissen, welches Sie befähigt, sich aktiv mit den Möglichkeiten der Psychotherapie und der medikamentösen Behandlung vertraut zu machen.
Lesen Sie die sorgfältig zusammengetragenen Hinweise und Tipps für Ihren Start in ein angstfreies Leben, denn Ihre Genesung liegt uns am Herzen!
Das Phänomen "Angst" ist biologisch betrachtet eine Überlebensstrategie der Primaten und dient einzig und allein dazu, den Erhalt der eigenen Art zu sichern.
Auch der Mensch profitierte im Prozess der Menschwerdung bis in die heutige Moderne von dem genialen Alarmsystem unseres Körpers.
In Gefahrensituationen werden die bedrohlichen Reize von unseren Sinnesorganen aufgenommen, in biochemische Impulse umgewandelt
und über sensible Nervenbahnen zum Gehirn geleitet. Dort erfolgen die Verarbeitung der Informationen, die Umschaltung auf motorische Nervenbahnen und die lebenserhaltende Reaktion.
Gleichzeitig werden durch die Abgabe von Adrenalin, dem sogenannten Kampfhormon die Organsysteme (Ausscheidung, Verdauung,
Herz-Blut-Kreislauf und Atmung) aktiviert und zu einer oft doppelt so hohen Leistungsfähigkeit inspiriert. Es leuchtet ein, dass der Körper für die Flucht
oder das "Davonlaufen ein hohes Energiereservoire benötigt, welches im Notfall abrufbar ist.
Der Gejagte verbrauchte während seines Laufes um Leben und Tod seine verfügbaren Reservestoffe und, wenn er erfolgreich war, pendelte sein Adrenalinspiegel in den Ausgangsbereich. Die Situation war gerettet.
Stressoren (Stressfaktoren, Stressauslöser) sind Belastungen oder unlösbar empfundene Anforderungen, die zu einer Stressreaktion des Körpers führen können.
Beispiele für Stressauslöser:
Wetterbedingter Temperatursturz
Lärm
Schmerzzustände des Körpers
Prüfungssituation
Das Gefühl, zu hohe Verantwortung zu tragen
Zeitdruck
Außenseiterrolle (Mobbing in der Firma)
Konkurrenz
Trennungen, Vereinsamung und Verlusterfahrungen
Ob diese unterschiedlichen Situationen zu Stressoren werden, ist individuell und von den Kompetenzen der Person abhängig.
Menschen mit realistischem Selbstbild, Willensstärke und flexiblen Handlungsspielräumen gehen häufig gestärkt aus diesen hervor. Sie schätzen komplizierte Lebenslagen als besondere Herausforderung und nehmen Stress (Eustress) positiv wahr.
Sie handeln nach dem Motto: “Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Lösungen!“
Wenn Stress allerdings zum Dauergast wird und negative Auswirkungen auf die Körperfunktionen und die seelische Gesundheit eines Menschen haben, dann spricht man von negativem Stress (Dystress).
Dieser unerwünschte Zustand bleibt leider nicht ohne Folgen:
Frühestens jetzt kommt das Stresshormon Cortisol ins Spiel. Cortisol ist ein körpereigenes Hormon, welches mit verschiedenen Hormonen bspw. Adrenalin und den Neurotransmittern Dopamin und Serotonin kooperiert. Gemeinsam bilden sie ein Netzwerk, um effizient auf Stressreize zu reagieren.
Cortisol wird auf Vorrat produziert und seine Konzentration ist im Blut und im Speichel messbar.
Es dient der Steigerung der verfügbaren Energien im Körper, um extremen physischen und psychischen Belastungen besser begegnen zu können.
Was passiert unter Einfluss von Cortisol?
Stoffwechselaktivierung
die Körpertemperatur wird erhöht
Regulation der Immunabwehr
Entzündungshemmung
Herabsetzung des Schmerzempfindens
Wie Sie gerade eben erfahren haben, besitzt unser Körper ein perfekt organisiertes Alarm- und Kontrollsystem.
Doch unter welchen Bedingungen gerät dieser Regelkreis aus der Balance und bewirkt gesundheitliche Folgen?
Dauerstress (physikalische, innere, mentale, soziale Stressoren) können dazu führen, dass das Zusammenspiel aller beteiligten Neurotransmitter und Hormone zusammenbricht, vor allem dann, wenn eine individuelle oder genetische Disposition besteht.
Konkret bedeutet das:
Bei Cortisol Überschuss können Folgeerkrankungen wie Stoffwechselstörungen, Übergewichtigkeit, Diabetes, Immundefizite, Angststörungen und Depressionen auftreten
Cortisol Mangel hingegen führen zu Antriebsschwäche, Mattigkeit (Burnout Syndrom) und Wundheilungsstörungen.
Glücklicherweise sind in der heutigen Zeit solche Extremsituationen selten geworden. An die Stelle derartiger existenzieller Bedrohungen sind Stressoren alltäglicher Abläufe gerückt.
Die Vermutung, dass Panikstörungen stressinduziert sind, liegt Nahe. Deshalb ist empfehlenswert, sich gründlich mit diesen Wechselbeziehungen zu beschäftigen.
Einteilung der Angststörungen und Klassifikation nach ICD-10
Der ICD10 ist eine internationale Klassifikation von Diagnosen. In Deutschland wird er als Schlüssel zur Abrechnung mit den Krankenkassen verwendet.
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