Allen voran König Kraag, der uns zu Ehren ein Fest veranstaltete, wie wir noch keines erlebt hatten. Die Zwerge unterhielten uns mit Liedern, Legenden und Kriegsgeschichten. Wir waren erstaunt, wie kämpferisch dieses kleine Volk sein konnte, selbst die Frauen. Diese führten uns einen Kriegstanz vor zu Ehren ihres Gottes Moradin. Sie waren bewaffnet mit Kampfhämmern, Speeren und Schwertern. Die Männer hämmerten mit ihren Bierhumpen dazu einen wilden Rhythmus auf die dicke Eichentischplatte. Zum Glück waren wir keine Feinde sondern willkommene Gäste, sonst hätten wir Reißaus genommen. Sogar Morbidia zog den Kopf ein und ließ ein leises, drohendes Zischen vernehmen.
Das selbstgebraute Bier, mit dem sie immer aufs Neue unsere Becher füllten, war das Beste, das wir je getrunken hatten. Das bestätigte mir auch mein Kopf, der am nächsten Tag gerne freigenommen hätte. Was nicht in Frage kam, da dieses Volk außergewöhnlich fleißig und sehr stolz auf seine Arbeit war. Deshalb wurden wir stundenlang durch unterirdische Gänge und Stollen geschleust, bergauf, bergab, wo uns nicht nur der Abbau von Edelmetallen und Edelsteinen vorgeführt wurde, sondern auch die Gewinnung von Balgur, einem magischen, schwarzen Gestein. Natürlich verriet uns keiner, welcher Zauber ihm innewohnte. Eines jedoch fanden wir selber heraus: der mächtige Balgur leuchtete im Dunkeln.
Als es ans Abschiednehmen ging, erwies uns der König eine unerwartete Ehrbezeugung. Er ließ es sich nicht nehmen, uns persönlich ein Stück des Weges zu begleiten. Kraag führte uns einen sehr steilen Weg zur Oberfläche, dass uns schon nach der Hälfte der Strecke die Puste ausging. Keuchend und prustend gelangten wir an ihrem Ende schließlich durch eine einfache Holztür in einen Stall. Dort warteten hellbraune, robuste Pferdchen mit blonden, langen Mähnen, gleichfarbigen Schweifen und Puscheln an den Fesseln auf uns, gesattelt und marschbereit. Wir ritten im Gänsemarsch über einen engen Gebirgspfad, dicht am Abgrund, hinunter in ein Tal. Am Rande eines ausgedehnten Sumpfgebietes verließ uns König Kraag. Nicht ohne jeder Einzelnen kräftig die Hand zu schütteln und uns Grüße an Darvina aufzutragen. Wer immer das auch sein mochte.
Über schmale Brücken und Holzstege gelangten wir wieder auf trockenen, sicheren Boden. Wir seufzten erleichtert auf. Sümpfe kannten wir nur aus dem Fernsehen, in Verbindung mit Schlangen, Krokodilen und Indiana-Jones. In einiger Entfernung ragte dichter, dunkler Wald empor, so wenig einladend wie das Sumpfgebiet. „Das sich mir keine dort alleine hineinwagt!“ Er war unser nächstes Ziel, klärte uns Morbidia auf, die Heimat der Hexen und Hexenmeister. Jetzt erfuhren wir auch, wer Darvina war. Obermeisterin der Hexengilde und eine Priesterin der Göttin.
Wir beschlossen den Rest des Tages hier zu verbringen, auf einem Stück Grasland zwischen Sumpf und Wendelsteiner Wald, im Schatten einer uralten Linde. Die Zwerginnen hatten uns die Satteltaschen vollgepackt mit frischgebackenem Brot, Wildschweinwürsten, Hirschschinken und allerlei anderen Leckerbissen für ein deftiges Picknick. Morbidia zauberte dazu ein Fässchen Zwergenbier hervor und ein Krüglein Selbstgebrannten. Am Abend saßen wir rund um ein Lagerfeuer, eingemummt in Decken und kommentierten die neuen Eindrücke, die in den beiden Tagen auf uns eingestürmt waren.
Der Wendelsteiner Wald – Hexenheim
Müde und gähnend erhoben wir uns am Morgen von unseren Lagern. Wir hatten einmal mehr in der Nacht zu lange „getagt“. Morbidia überprüfte unsere Sättel, bevor wir uns auf den Weg machten. Sie sang dabei aufreizend munter vor sich hin, wofür sie einige entsprechend böse Blicke erntete. Schweigend ritten wir hinter ihr her, fühlten uns von allen Seiten belauert, schraken bei jedem Geräusch zusammen und hingen finsteren Gedanken nach. Wir bildeten uns ein, dass der Wald und die Hexen nach uns gierten. Bilder böser Märchenhexen standen uns vor Augen. Was etwas albern war, da zwei meiner Freundinnen sich in unserer Welt selbst Hexen nannten, und auch ich einem alten Geschlecht weiser Frauen angehörte.
Einzelne Häuschen, aus groben Holzbalken gezimmert, wurden zwischen den Bäumen sichtbar. Sie waren mit Schindeln gedeckt, mit Schornsteinen bestückt, manche gar mit einem Türmchen versehen. Efeu und uns fremde Rankpflanzen kletterten an den Hauswänden empor. Wir sahen Männer und Frauen, die in ihren Gärtchen werkelten, andere trafen wir beim Sammeln von Nüssen, Wurzeln, Pilzen und Beeren. Sie winkten uns freundlich zu. Nirgends fanden wir hässliche Weiblein mit Buckeln und Warzennasen vor, die ihren Knotenstock schüttelten und uns verfluchten.
Der Wald war eine Wunderwelt für sich. Während er außen von gewöhnlichen Nadelbäumen eingefasst war, wuchsen in seinem Inneren neben Eichen, Akazien, Linden, Eiben und Ulmen auch mächtige Mammutbäume, niedrige Palmenarten mit fleischigen, essbaren Blättern und Früchten, baumhohe Farne, Stauden mit irisierenden Blüten, Haselsträucher, Dornbüsche mit kastanienähnlichen Fruchtknollen, Pilze in Manneshöhe in allen Formen und Farben des Regenbogens.
Morbidia hatte uns am Tag zuvor verboten den Wald alleine zu betreten. Jetzt grinste sie. „Das solltet ihr nur nicht, weil man sich schnell verlaufen kann, wenn man sich nicht auskennt. Unsere Hexen und Hexenmeister sind friedliche Leute, die hier ihrer Arbeit nachgehen, ihr altes Wissen bewahren und neues erschaffen. Sie tun euch nichts zuleide.“
Wir erreichten den Waldrand und staunten, als wir eine große Lichtung erreichten, in deren Mitte ein Cottage stand, wie wir es aus Britannien kannten. Hohe Ginsterbüsche bildeten eine dichte Hecke von den Seiten bis zur Rückwand. Kletterrosen, wilder Wein und Blaureben umrankten Fenster und Haustür. Angenehmer Duft nach Blumen und Kräutern streichelte unsere Sinne. Eine braun-weiß gefiederte Eule erhob sich vom Dachfirst und landete auf Morbidias Schulter. Sie fixierte uns aus klugen Augen und fand was sie sah wohl wenig interessant. Daher kümmerte sie sich nicht weiter um uns. Sie begann stattdessen gleichmütig ihre Federn zu glätten.
Vor der Haustür erwartete uns eine hochgewachsene, kräftige Frau mit langen, weißen Zöpfen. Sie war mit einer hellblauen Mönchskutte bekleidet. An einer silbernen Schnur um ihre Mitte trug sie einen Dolch und eine kleine Sichel. Auf ihrer Stirn prangte eine ungewöhnliche Tätowierung, ein silberner Vollmond eingebettet in die Höhlung eines blauen Halbmondes.
„Im Namen der Göttin, seid willkommen“, rief sie uns zu und bedeutete uns abzusteigen. Morbidia sprang vom Pferd. „Danke Darvina.“ Sie umarmte die Frau. Das also war Darvina, eine Hexe. Ich kam mir entsetzlich kindisch vor, wenn ich an die letzten angstvollen Stunden dachte.
„So, so, ihr hattet Angst vor uns“, lachte Darvina laut und herzlich. „Ausgerechnet. Wo wir doch allen Grund haben, uns seit Jahrhunderten vor euch Christenmenschen zu verstecken. Den edlen christlichen Glaubensbrüdern und –schwestern, zu denen gehört ihr doch, oder?“ „Nur halb und halb“. Morbidia blinzelte mir zu. Darvina jedoch schmunzelte, als sie Lotta dabei erwischte, wie diese schnell ein silbernes Kreuz im Halsausschnitt ihres Sweatshirts verschwinden ließ.
Darvina lud uns in ihr Häuschen ein. Ich wurde ein wenig neidisch, als ich das Innere sah. Eine solch anheimelnde Wohnküche hatte ich mir immer gewünscht. Der alte Emailherd mit dem Gestänge darüber, an dem Töpfe, Pfannen, Schöpfkellen und andere Küchengeräte an Fleischerhaken baumelten. Der massive Eichentisch, den ein Krug mit Wiesenblumen zierte. Der Boden aus dunklen Holzbalken, frisch gebohnert, nach Bienenwachs duftend. Kräuterbündel, die einen betörenden Geruch verströmten. Auf Regalen standen Töpfchen, Tiegelchen und Fläschchen, ihr Inhalt so fremdartig wie diese Welt.
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