Elfien – Heimat der Elfen und Feen
Auf dem Weg nach Elfien ritten wir eine Zeit lang am Gestade des Rhine entlang. Dem Spiegelbild unseres Rheines vor langer Zeit. Das gegenüberliegende Ufer lag im Nebel verborgen. Morbidia verriet mir, dass dort die Übertrittspforte von Wendelstein lag, das sechste Tor. Vereinzelte Angler standen im Wasser warfen ihre Leinen aus oder zogen sie ein, um zu sehen, welcher Fang an der Schnur zappelte. Unsere Gewässer waren längst verseucht, die Fische ungenießbar, wenn man überhaupt noch welche fand.
Nach einer Weile kehrten wir dem Fluss den Rücken. Die Landschaft, die wir nun durchquerten war hell und grün. Weinberge wechselten sich ab mit blühenden Wiesen, Obstbäumen und lichten Birkenhainen. Winzige Feen, ich hielt sie erst für Schmetterlinge oder Libellen, tanzten um uns herum. „Sie sind den Elfen heilig“, erklärte uns Morbidia. „Sie können sich tatsächlich in Libellen verwandeln und stehen in enger Beziehung zu den Drachen. Also ärgert sie niemals. Sie sind Geschöpfe des Lichtes, der Weisheit und der Kraft. Sie können Träume deuten, die Wahrheit erkennen, Illusionen auflösen und manchmal die Schicksalswege ändern.“
Die Britannier nannten die Libellen „dragonflies“, fiel mir ein. Vielleicht bestand hierzu eine Verbindung. Als keltisches „Relikt“ auf dem Festland, sollte ich das eigentlich wissen. Ich wurde jäh aus meinen Überlegungen gerissen, als der kleine gelb-lila Saufaus vom Festabend auf dem Kopf meines Reittieres aufprallte. „Ihr könntet mich nach Hause geleiten, edle Fremdeline, wenn Ihr so wohlgütigst sein wolltet.“ Ich staunte sie an. „Redet Ihr immer so geschwollen oder nur wenn Euch der Wein das Hirn vernebelt hat, Eure Kleinigkeit?“
„Tammy, im Namen der Göttin, bleib sitzen“, rief Morbidia neben mir, als der Winzling sich entrüstet aufrichtete. Sie lachte aus vollem Hals. „Ein Pferdekopf ist kein Turngerät. Die „Fremdeline“ wollte dich nicht beleidigen. Sie kennt nur unsere Sitten und Gebräuche noch nicht so gut.“
„Ah ja“, das Lockenköpfchen nickte weise. „Dann will ich Euch gnädiglichst verzeihen und Euer Angebot eines gemeinsamen Heimrittes vollhuldig in Erwägung ziehen.“ Sie krabbelte in die Pferdemähne, machte es sich gemütlich und stimmte Sekunden später ein geräuschvolles Schnarchkonzert an. Mir blieb die Spucke weg vor Staunen. „Sind die alle so?“ Morbidia kicherte. „Nein, aber einige schon. Unsere Tammy allerdings ist ein Sonderfall und äußerst gewöhnungsbedürftig.“ In der Tat, das war sie.
Es dämmerte bereits, als wir in Elfien ankamen. Die winzigen Feen, die uns begleitet hatten, winkten uns zu und verschwanden in einem nahen Wäldchen. Zum ersten Mal in meinem Leben, sah ich „Natur“ nicht nur, sondern spürte sie ganz tief in meinem Inneren. Meine Freundinnen, die sich bisher über ihre Erlebnisse in Wendelstein unterhalten hatten, verstummten plötzlich, als würden sie meine Gefühle teilen. Wir ritten am dichtbewachsenen Ufer eines Sees entlang, auf dessen Oberfläche sich grünes Seerosenblattwerk eng miteinander verband.
Zwischen den Bäumen konnten wir schon das weiße Mauerwerk des Schlosses aufblinken sehen, als uns zwei Männer in den Weg traten. „Wer seid Ihr? Wo wollt Ihr hin?“ Der eine hatte sein Schwert gezogen, der andere richtete eine Armbrust auf uns. Elfen, Lichtgestalten, wovon im Augenblick nichts zu bemerken war. Hier standen zwei knallharte, unhöfliche Kerle vor uns mit grimmigen Gesichtern, aber wieder zum Zerschmelzen schön. Ich hörte Lea hinter mir seufzen und Morbidia neben mir fauchen. Sie sprang mit einem Satz vom Pferd und baute sich breitbeinig vor dem Schwertträger auf. „Was zur Hölle ist in dich gefahren, Prinz Lemiras? Seit wann behandelt man Gäste in Elfien wie eine Bande räudiger Diebe? Steck das Schwert weg, mein Freund oder ich versohle dich damit.“
„Morbidia?“ Der so angepflaumte Prinz starrte die Pagoranerin an. „Meine Eltern haben uns nicht gesagt, dass sie Besuch erwarten.“ Er streckte die Hand aus und drückte die Armbrust seines Freundes nach unten. „Wir wollten gerade zur Jagd, Sovran und ich, als wir euch hörten. Wir empfingen fremde Gerüche und Gedanken. Du weißt, dass es unser aller Pflicht ist, Elfien zu beschützen. Also sahen wir nach. Es tut uns leid, wenn wir euch erschreckt haben.“
„Es wird euch noch mehr leid tun, wenn ihr weiter in den Gedanken meiner Freundinnen herumspaziert und jetzt bring uns zu Calmuel und Eyrin. Und du“, wandte sie sich an Sovran, „nimmst Tammy und bringst sie zu ihrem Clan. Sie konnte mal wieder die Finger nicht vom Gänseblümchenwein lassen.“
Sovran buddelte die Fee aus der Mähne meines Pferdchens. Er hielt sie auf Armeslänge von sich weg. „Pfui Spinne, die stinkt ja erbärmlich.“
„Je eher du sie nach Hause bringst, desto schneller befreit dich das von ihrem Wohlgeruch“, spöttelte Morbida. „Also lauf. Und lass sie nicht fallen.“
Sie packte ihr Pferd am Zügel und folgte Lemiras, der bereits auf dem Weg zum Schloss war. Wir stiegen ebenfalls ab und trotteten der gereizten Pagoranerin hinterher. Als wir unter den Bäumen hervortraten blieben wir wie auf Kommando stehen. Überwältigt von dem Anblick, der sich uns bot. Das Schloss, ein Märchen in weiß, mit kunstvollen Ornamenten geschmückt. Der Vergleich mit einer fürstlichen Hochzeitstorte drängte sich auf. Ein Juwel, eingebettet in einen lichten Hain, in dessen Baumwipfeln kleine Laternen aufleuchteten. Sie spiegelten sich im Wasser eines mit Balgurgestein ummauerten Bassins, in dessen Mitte ein Springbrunnen mit goldenen Wasserspeiern eingelassen war. „Das ist Hollywood“, flüsterte Gelica andächtig, „da, seht nur.“
Zwei große, schlanke Gestalten schritten würdevoll auf uns zu, ganz in weiß gekleidet, das lange weißblonde Haar von ornamentierten Silberreifen aus der Stirn gehalten. „Nun mein Sohn, wie ich sehe, hast Du Deinen Bock bereits geschossen.“ König Calmuel musterte den Prinzen durchdringend, der unter diesem Blick sichtbar schrumpfte. Seine Frau legte ihm beschwichtigend eine Hand auf den Arm. „Wir heißen euch willkommen, dich Pagoranerin und deine Freundinnen aus der Welt der Menschen“, entschärfte sie die Situation. Wir verneigten uns. So viel über die hiesigen Sitten hatten wir inzwischen gelernt, auch wenn dieses ständige Rumpfgebeuge langsam nervte. Unsere Rücken waren durch das ungewohnte Reiten schon genug strapaziert.
„Lemiras, kümmere dich um die Pferde unserer Gäste und dann komm zu Tisch. Die Jagd ist für heute vorbei.“ Calmuels Ton erstickte jede Widerrede im Keim. „Ihr müsst müde und hungrig sein. Bitte folgt uns.“ Eyrin lächelte und legte einen Arm um Morbidias Schultern. „Wie geht es deiner Mutter, mein Kind?“
Wir trottelten den Dreien hinterdrein, lauschten ihrem Geplauder und fühlten uns in dieser Märchenkulisse fehl am Platz. So lange, bis etwas Rotes zwischen den Bäumen hervorbrach und sich an Morbidias Seite drängte. Himmel, was war das denn? Eine Wildkatze konnte es nicht sein. ES sprach. Plapperte so schnell, dass unmöglich jemand ein Wort verstehen konnte. Morbidia stoppte und starrte den Irrwisch an, der sich an ihrem Arm festklammerte.
„Michikriss? Was zum Kuckuck hast du jetzt wieder angestellt?“, stieß sie hervor und zog an einem der feuerroten Zöpfe. „Warst Du wieder bei Gaylord? Mom hat dir das doch verboten. Oder täusche ich mich da?“
Das Ebenbild von Pipi Langstrumpf drehte sich um die eigene Achse. „Ach Morbidia. So ein schönes Rot. Das habe ich mir schon so lange gewünscht.“
„Ja, nach veilchenblau, babyrosa, froschgrün, habe ich etwas vergessen?“
„Violett wie Flieder“, trällerte Michikriss vergnügt. „Aber dieses Rot ist geil. Gibs zu.“
Morbidia schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich muss mal ein ernstes Wort mit Gaylord reden.“ Sie drehte sich zu uns um. „Das ist übrigens Michikriss, unser Findelkind. Und Gaylord ist ihr Lieblingsfriseur in Vampora.“ Findelkind? Später am Abend sollten wir mehr dazu erfahren.
Читать дальше