anna wittig - Morbidias Spiegel

Bis zu dem Zeitpunkt, da das Christentum über Euch hereinbrach, griffen die Unsterblichen nicht in Euer Leben ein. Sie achteten das göttliche Gesetz des freien Willens, das den Kindern des einen Gottes unbekannt scheint.

Als die Balgaren Zeugen der Vernichtung des alten Glaubens wurden, Eures Unvermögens ihn und Eure Kultur zu schützen, retteten sie die Priesterinnen der großen Göttin vor dem Tod. Sie waren die Ersten, die hinter den Spiegeln Zuflucht fanden. Auf der Kuppe einer Anhöhe, die sie den „Heiligen Hügel“ tauften, entsprang eine Quelle der Reinheit. Sie betteten eine Eichel daneben in die gesegnete Erde und erbaten sich einen magischen Baum. Er sollte den Zugang zum Tal der Göttin bewachen. Ihr selbst wurdet zu Handlangern eines fremden Gottes, der seinen Ursprung im Pharaonenreich fand. Eines Gottes, der Unrecht und Unheil in Eure Welt brachte, Verrat, Kriege und Sklaverei.

Die Vernichtung des alten Glaubens und der Jahrtausende alten Kulturen blieb nicht der einzige Frevel der Christenpriester. Sie verbannten jene aus Eurer Welt ins Reich der Märchen und Legenden, die Euch im Namen der Göttin als Freunde und Helfer zur Seite standen. Die Euch vor Dämonen und Dienern der dunklen Mächte schützten.

Elfen und Feen irrten Hunderte von Wintern auf ihrem Schiff über die Nebelmeere, bis es vor den Spiegeltoren Balgaris strandete. Die Balgaren nahmen sich der entkräfteten Geschöpfe an. Sie boten ihnen eine neue Heimat in einem lichten Tal, auf dessen Boden alsbald Elfien entstand.

Die Mönche, im Rausche ihrer Macht, ließen auch die mächtigen Drachen verfolgen. Sie heiligten Georg, nannten ihn Märtyrer und Drachentöter. Sie verbreiteten die Mär der feuerspeienden Ungeheuer, die Höhlen voller Kostbarkeiten bewachten.

Sie schürten die Angst und die Gier der Menschen, bis diese sich zusammenrotteten und die Jagd auf die „Ungeheuer“ eröffneten. Auch das Zwergenvolk, das Tausende von Jahren in friedlichem Verbund mit Euch und den Drachen zusammenlebte, zogen die Diener des einen Gottes in den Zwist hinein. Drachenhöhlen und Zwergenberge galten als Horte des Reichtums an Geschmeide, Edelsteinen, Gold und Silber. Die neuen Priester predigten Wasser und tranken Wein. Sie gelobten Armut und Demut, gierten jedoch nach Schätzen, um ihren heiligen Bauten und den korrumpierten Fürsten in ihrem Gefolge Pracht und Macht zu verleihen. Auf dem Höhepunkt der Verfolgung fanden Drachen und Zwerge Asyl in den balgarischen Gebirgen.

Im Mittelalter verfluchten religiöse Eiferer diejenigen, die das Wissen der geschändeten Kulturen hüteten. Sie bezichtigten Frauen, Männer, sogar Kinder der Hexerei und der Unzucht mit dem Widersacher des einen Gottes: Satan. Dabei kannten die Kinder der Göttin weder Satan noch Sünde. Niemand war vor der Hetze der Frömmler sicher. Selbst einfache Bürger starben mit Hexen und Hexenmeistern nach grausamer Folter auf den Scheiterhaufen der Inquisition. Es brannten so viele, dass der Rauch die Spiegel verdunkelte. Die Balgaren bargen die wenigen Überlebenden, brachten sie in Sicherheit und sorgten dafür, dass uralte Kenntnisse und Kräfte der Menschheit nicht in Vergessenheit gerieten. Die Weisen leben seither in den Wäldern Balgaris, im Einklang mit der Natur.

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