Aber zurück auf meinen Weg, der mich täglich nach getaner "Arbeit“ ins Elysium führte.
Im "Sportbuffet“ um vier Uhr früh roch es nämlich ähnlich. Der Chef des "Stadls“ war auch der Besitzer dieses "Beisels“, in hochdeutsch auch "Kneipe“ genannt, oder in hochsteirisch auch "Wind`n“, ein sehr blumiger Ausdruck, der vielleicht meinte, dass man nach einigen feuchtfröhlichen Stunden darin ahnte, wohin der Wind weht......
Er war privat ein amtlicher Zauberer mit bezahlten Aufführungen, obwohl oder weil er aussah wie ein verschreckter Kauz, Sommeranzug in türkisch Armani und passende Kravatte in grell. Basedow Augen, braungetönt, dünn gescheiteltes Blondhaar und ein zerknautschter Schnurrbart, der schüchtern die Oberlippe bedeckte....klein, zierlich und behende.
Beim Lächeln habe ich ihn nie ertappt.
Trotzdem er zwei Sommer mein Chef war, hat er mit mir nie mehr gesprochen als:
"Was willst Du trinken? Was willst du essen?“ mit seiner hohen dünnen Stimme und glupschte mich an.
Aber im Sportbuffet trank und aß ich auf Hauspreis. Immerhin ein kleines Zeichen von Respekt.
Ich war noch sehr jung, aber das wusste ich damals natürlich nicht.
Henry war schließlich über vierzig und cool. Einen Hut wie er hatte ich auch nicht auf.
Die Haare hingen mir über das regenfeuchte Gesicht und das machte mich eine Spur unsicher, eitel wie ich war. „You`re so vain, you`re probably think the song is about you...“ von Carly Simon ging mir noch durch den Kopf.
Trotzdem zielsicher und forschen Schrittes trat ich ein.
Ich setzte mich in eine Ecke mit dem Gesicht zur Türe ("Setz dich nie mit dem Rücken zum Eingang“, besagt eine alte Bauernregel) und bestellte mir ein Bier:
“Ein Bunkerl bitte!“ rief ich dem herumschwirrenden Ober nach.
Nach kurzer Überlegung winkte ich mir noch einen großen Schnaps dazu, schließlich war es vier Uhr früh vorbei und "genug kann nie genügen“ , sang einst ein begnadeter Barde. Rings um mich lautes Gemurmel,
hektische Ober
Luft zum Schneiden
und ein wunderbarer Geruch nach Bier und frischem Gulasch
Ich betrachtete die Ringe, die das nasse Bierglas am Tisch hinterließ.
Im Hintergrund säuselte es leise aus dem Lautsprecher:
"Geh nicht vorbei, als wär nichts gescheh`n, es ist zu spät um zu lüüügen“ von Christian Anders, eine durchaus erträgliche Schnulze.
Ich dachte über mein Leben nach.
Bilder tänzeln
Farben flackern
Worte stolpern
Von einem, der von Kleinöd nach Großöd gezogen war und sich plötzlich so weltmännisch vorkam.
Ich hatte Geld im Sack, Taschengeld, das ich mir selber auszahlen konnte. Reich wie ein Scheich, nur ohne Gefolge.
Der ganze Kleinstadtmief lag hinter mir und konnte mich am Arsch lecken.
"Auf Nimmerwiedersehen! Nevermore, nevermore !“
Ich glaube, auch du kennst dieses Gefühl:
"Nicht mehr von den Eltern abhängig zu sein, die Gedanken aussprechen zu dürfen, die du einst heimlich in ein Tagebuch geschrieben hättest, das du aber nie geführt hast.
Den lästigen Wehrdienst hinter dir,
das Maturazeugnis als Führerschein in ein besseres Leben vor Nässe und Diebstahl sicher gelagert,
ein Studium wartete, um den Glasscherbenviertelepigonen in eine bessere Zukunft zu geleiten…....“
Plötzlich ging am Tisch gegenüber ein Streit los.
Tschinderibummmm...
Geschrei
Getaumel
Gefuchtel
“Nimm die Finger von meiner Alten, du Bauernschädel!“
"Behalt dir den schlampigen Fetzn, sowas greif ich nicht mit Handschuhen an!“
"Meine Frau beleidigst du nicht, du Nudelaug!“(Eine wienerische Bezeichnung für einen neugierig erigierten Penis).
Ein Bierkrug wurde zweckentfremdet und dem Kontrahenten über den Schädel gestülpt. Ihm rann das Blut über das Gesicht. Stumm staunend lag er am Boden hingestreckt.
Ein Aufruhr, wie wenn du einen toten Heuschreck in einen Ameisenhaufen wirfst!
Das Mädchen, das mit an deren Tisch gesessen hatte, flüchtete wortlos und hektisch zu mir, setzte sich unaufgefordert und trank blitzartig meinen Schnaps aus.
Gluck und zisch
Durchaus verständlich
(Ich schupfe meine bunte Glasmurmel ins Loch.
Meine Mitmurmelspieler schreien neiderfüllt: “Du betrügst!“.
Ich hatte alle ihre Murmeln gewonnen.
Ich sack sie ein und lächle stolz:
"Gefühl ist alles!“)
Sie hatte eine etwas zu große Nase, du weißt schon....
"Das Leben ist hart und der Kopf hat eine weiche Schale“, begann ich zu philosophieren und schmunzelte in ihre Augen.
Ihre Haare waren kurz und schwarz, nicht so blond und lang und aufgesteckt wie bei Henry´s June, aber hübsch irgendwie und man kann ja ruhig einmal der gelesenen Wirklichkeit entfliehen.
Walnussfarbene Augen und vornehme Blässe. Außerdem war sie ausgesprochen gut gebaut und der Minirock ließ meine Herzfrequenz steigen..
Also lüpfte ich meinen imaginären Hut und stellte mich vor: "Gestatten, der Schnaps geht auf meine Rechnung“. "Herzlichen Dank, deine Josefine!“ war ihre Antwort.
Während die Rettungsmänner den blutenden Bauernschädel (oder auch das Soziologieprofessorköpfchen) hustend und stöhnend durch das rauchgeschwängerte Lokal auf einer Bahre ins Freie schleppten meinte sie:
"Eifersucht ist ein rechtes Mittel, dem Leben Würze zu verleihen“.
Ich darauf: "Blut ist ein ganz besonderer Saft“ (schließlich hatte ich Goethe vor Miller gelesen).
So kamen wir locker ins Gespräch.
Hin und wieder tasteten sich unsere Blicke durch das vollgefüllte Lokal und wir wagten nicht, einander allzuwissend anzublicken, denn überspringende Funken kannte man noch aus dem Physikunterricht.
Dass sich meine Hand inzwischen vorsichtig unter ihren Minirock zu ihrem Höschen vortastete, ist zu dieser Uhrzeit und in meinem verklärten Zustand durchaus verständlich.
Streichel, streichel, streichel....
Außerdem wusste ein Mann von Welt, dass man sein Ziel immer direkt ansteuern muss. “Wenn du es eilig hast, mach einen Umweg“, heißt ein chinesisches Sprichwort. Ich hatte es nicht eilig.
Sie zuckte mit keiner Wimper, aber mit ihren Schenkeln. Henry bekam einen Steifen und June schmunzelte: „Na hallo, was machst du so sonst noch“, fragte sie.
"Ich bin Musiker“ sagte ich.
"Ah ja“, antwortete sie, "das merkt man an deinen flinken Fingern....“
Meine Antwort:" Draußen trocken und innen feucht, das Elixier des Lebens, was?"
Ja, so banal schwätzten wir vor uns hin, während der Kellner mit der Schnapsbestellung kaum nachkam.
“Es fährt ein Zug nach nirgendwo...“ , summte ich leise.
Rings um uns grummelten die Morgengespräche vor sich hin wie Regentropfen auf ein Zeltdach, es war eine beruhigende Atmosphäre angebrochen.
Wovon schwätzen Menschen, wenn sie in der Früh nicht zur Arbeit gehen müssen?
Manche sind professionelle Trinker, die der Einsamkeit und Schlaflosigkeit zuhause entfliehen müssen, andere wieder verlängern die seltene Geburtstagsfeier, den Tanzkurs, das Geschäftsmeeting, das gelungene "Blind Date“, einige ertränken die Hoffnungslosigkeit einer Zukunft, die sie nicht mehr ertragen mögen.
Es war für mich immer wieder erstaunlich, wie viele solcher "Ge-strandläufer“ jeden Morgen vor der Tür warteten bis das Lokal öffnete. Dann wurde hineingestürmt, als ob es keinen Abend gäbe!
Die wunderschönen alten Bierkrüge, "Bunkerl“ genannt, warteten auf durstige Münder,
die Teller öffneten ihr Auge nach dem phantastischen Gulasch,
die Aschenbecher sehnten sich nach dem Giftstaub der abgedämpften Zigarettenstummel. Der Kellner schwirrte schweissbedeckten Gesichtes von Tisch zu Tisch, immer einen kleinen Scherz auf den Lippen. Gutes Trinkgeld ist Schwarzgeld: "Noch einen Wunsch das hübsche Pärchen?" "Nein danke, zahlen bitte".
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