“Danke für das Vertrauen und bis bald mal, hoffentlich“, sagte ich noch höflich, lächelte freundlich, zahlte, winkte den restlichen Gästen zu, man kannte einander ja, zumindest vom Sehen.
Es war Robert, der mich schnurstracks und in erhöhtem Tempo nach Hause führte oder besser, er zog mich hinter sich her.
Nach dem großartigen Essen, das "Blunz`ngröstl schmiegte sich zärtlich und wohlwollend in meinen Magen, legte ich mich dann auch endlich auf ein Schläfchen hin.
Als ich am frühen Abend wieder erwachte, saß meine Frau vorm Fernseher, Robert schlief in seinem Körbchen, alles war in Ordnung, alles in der Reihe, alles wieder ganz "normal", so wie es sich an einem Sonntagabend gehörte.
Und so nahm ich denn, neugierig wie ich eben bin, den Stoß Papiere zur Hand, trank einen steifen Kaffee, zündete mir eine Zigarette an und begann etwas gelangweilt, dann aber doch nicht ohne Neugierde, Ernsts Manuskript zu lesen. Mal sehen, was dieser Verrückte zu sagen hatte.
III
SARAH ODER DER WENDEKREIS DER JUNGFRAU
stand da als Überschrift.
Ernst Berling
Roman
"When I was young
I never needed anyone
and making love was just for fun.
Those days are gone"
All by Myself/ Eric Carmen
Henry, 1970
Damals, als ich noch Henry Miller war , du weißt schon, der Schreiberling aus Amerika. Wenn du gefragt werden solltest: “Was gibt es in Amerika?“
Lautet deine Antwort einfach: " Alles!". Amerika ist ja nicht nur New York und Broadway, ist auch Tombstone, Wyatt Earp, Nebraska, John Wayne, Monroe, Californian Girls, Nashwille, Hot Dogs, Burgers, Kukuxklan, Black Power, CIA und FBI, Jerry Cotton, Charlie Parker, Wes Montgomery, Soul und Blues, Hustler und so on....
Also dieser Schriftsteller mit Halbglatze, Hornbrille und Hut, Sexus, Nexus, Plexus, Wendekreis des Krebses und einst wegen angeblich pornographischen Texten verboten
Heute kann man darüber nur mehr schmunzeln, die "Pornographie“ ist alltäglich geworden und deshalb so langweilig.
Jeder Zwölfjährige weiß heute über Sado-Maso Praktiken Bescheid, weil er die Pornoseiten im Internet besuchen kann ohne gestört zu werden.
“Erinnerung ist der Talisman des Schlafwandlers auf dem Boden der Ewigkeit“,
schrieb er und das schluckte ich wie Muttermilch.
Ewigkeit, die nach dem Scheiterhaufen des Krematoriums auf mich und alle anderen wartete.
Es galt zu Leben.
Jetzt!
Einzutauchen in Sumpf oder in kristallklares Wasser.
Die innere Hitze zu kühlen, egal wie , nur
kühlen
kosten
konsumieren
“Nichts ist so, wie es einmal war
und es kommt immer anders als man denkt“, banal aber ziemlich wahr,
das spürte und dachte ich.
“Nimm Anlauf und köpfle ins Unbekannte.
Wiederholung lähmt das Empfinden.
Wiederholung formt dich zum Museumsstück in deiner persönlichen Ausstellung.
Vergiss sie.
Verlass sie!
Erinnerung ist keine Fotografie, die erzählt nur Oberflächen.
Erinnerung kann man vielleicht malen, Striche ziehen, Farben spritzen.
Picasso
Chagal
Klimt
Rubens
Dali
Michelangelo
Miro
whuschhhhh...
Gefühle, die manchmal wieder auftauchen wie das Glitzern auf Meereswellen, die immer schäumend überschwappen wenn du es am wenigsten erwartest.
Das ist vielleicht Erinnerung“.
Natürlich war ich nicht wirklich Henry Miller, aber ich bin ihm nach seiner Lektüre ziemlich ähnlich geworden. Lesen ist ja immer auch ein Suchen. Sich selbst in anderer Menschen Träumen wiederzufinden. Im Vergleich zu wachsen versuchen.
Ich habe meinen "Pint“ mit anderen Augen angesehen.
Mit anderen Händen angefasst.
Frauen kennengelernt ohne sie wirklich kennenzulernen.
Ich hab auch eine June kennengelernt. Die June mit den hochgesteckten blonden Haaren?
Blond
jung
gefährlich
verführerisch
geheimnisvoll...
Seine geliebte June, die ihn beinahe in den Wahnsinn trieb?
Weil der Trieb stärker ist als jede Vernunft. Intellekt ertrinkt in langen Beinen und großen Brüsten. In blond, brünett, schwarz und rot.
Nein, nicht seine June, die Meine!
Sie hieß eigentlich nicht June, sondern Josefine, aber ich nannte sie Josi, klang nicht ganz so provinziell, und wenn ich etwas hasste, dann war es Provinzialität.
Fort von kleinlichem Nachbargeschwätz, raus aus der engen zwei Zimmerwohnung mit dem geklebten braunen Linoleumboden, dem Kaltwasserhahn, dem Sparherd, der nach Kohlen schrie, die man ängstlich des nächtens dem Kellerloch entreißen musste, dem weißen Lohnsäckchen, das der Vater am Monatsersten der Mutter in die abgearbeiteten Hände drückte,
ihre enttäuschten Blicke erhaschend,
ihrer beider Sprachlosigkeit lauschend,
ihre mangelnde Zärtlichkeit füreinander aus den Augenwinkeln zu ertappen,
die Zeugen Jehovas von der Türschwelle zu scheuchen,
die hölzernen Treppenhausstiegen wöchentlich kehren zu helfen,
das ewige Jammern der Großmutter zu ertragen und trotzdem das Stück Glück mitgenommen zu haben um das weitere Leben in Angriff nehmen zu können.
Auf geht’s.
Voran, immer voran!
Schließlich kam ich ja von da und ging nach dort, in eine Großstadt, die nicht wirklich groß war, aber größer als alles, was ich bis dahin gekannt hatte.
Ich will sie hier einfach "Großöd“ nennen, damit du nicht alle Straßen googeln musst, die ich erwähnen werde, bedank dich nicht bei mir.
Ja, google mal Großöd!!!
Also: Josi hatte eine zu große Nase.
Aber das wusste ich noch nicht, als ich um Mitternacht....
nein,nein,nein.........
es war vier Uhr früh, Sommer und warm und das Pflaster der Sportgasse war so nass nach einem Platzregen, dass ich beinahe ausgerutscht wäre, als ich die sanfte Steigung in das "Sportbuffet“, die Lieblingskneipe aller Schlaflosen, hinauftorkelte.
“Wild thing, you make my heart sing, you make everything groovy...wild thing, da da dada“ von den Troggs sang ich launig vor mich hin.
Ein einsamer dunkelhäutiger Radfahrer hechelte mir entgegen, der die Zeitungen austrug, um die Menschheit nicht ohne wichtige Informationen zu hinterlassen.
“Guten Morgen, mein Lieber, lass die Zeitungen nicht nass werden, gute Nachrichten können nicht schwimmen und schlechte leider nicht untergehen, hahaha“, schrie ich ihm sinnloserweise nach. „Geh scheissen, Saufkopf“, war seine charmante Erwiderung, und er trat kräftig in die Pedale.“Ja,
sie lernen schnell Deutsch, diese intelligenten Einwanderer“, dachte ich noch.
Die Luft legte sanft ein feuchtes Handtuch um meinen Körper.
Ja, ich hatte ein bisschen getrunken, oder vielleicht auch ein bisschen zu viel.
Egal.
Ich war Musiker und kam gerade aus dem "Stadl", dem Lokal, in dem ich wie jeden Abend gespielt hatte.
Tanzmusik für Lebenslustige von acht Uhr abends bis drei Uhr früh.
Ein seltsames Unterhaltungsetablissement: Am Eingang eine Vitrine mit im Kernöl ersäuften Salaten.
Der Chef grillte Cevapcici, Plescavica, gespickte Leber und und andere Feinheiten. Es roch nach Süden und ranzigem Fett. Ein paar Schritte nach vor dann die langgestreckte Theke.
Danach links und rechts kleine, aus Holz geschnitzte Logen und dazwischen die Tanzfläche.
Der auf sich bewegende Füße wartende Vergnügungsschlauch.
Der Schweißgeruch der Tänzer für Ewigkeiten eingesogen von den hölzernen Stehern zwischen den Logen.
Such dir eine Loge aus, es ist gemütlich!
Die Weinauswahl: Bedenklich!
"Stierblut" aus Ungarn in dunkelrot mit Kopfwehgarantie oder "Hemd in Arsch“ ziehender Weißwein.
Alles in Allem: Spaßfaktor, denn sonst wären die Bude und ihre Gäste nicht täglich voll gewesen.
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