Der Alte wies auf eine steinerne Tafel, auf der die Erstbesteigung des Tafelbergs durch einen Europäer verewigt worden war. Der portugiesische Seefahrer Antonio de Saldanha hatte das 1503 vollbracht.
Weil es bis zum Kap zu weit für eine Tagestour war, kehrten sie in die Stadt zurück und nutzten den Nachmittag für einen Bummel durch das Zentrum von Kapstadt, wo sie vom Bahnhof aus über die Strand Street zum Castle of Good Hope gelangten. Dieses sternförmige Kastell mit fünf Bastionen, mit Kanonen bestückt, war 1666 erbaut worden. Dreitausend Matrosen hätten dafür nur ein Jahr benötigt. Allerdings blieb diesem Relikt aus der Zeit der Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC), die als Residenz der Gouverneure am Kap diente, ein Angriff bis heute erspart.
Beeindruckend auch der Botanische Park mit seltenen Bäumen und Rosensträuchern, Companys Garden genannt. Denkmäler erinnerten an den Diamantenkönig und Landeroberer Cecil John Rhodes und Sir George Grey, der einst Gouverneur am Kap war. Jan van Riebeek, dessen Denkmal sie schon am Hauptbahnhof gesehen hatten, gründete Kapstadt in dem er eine Versorgungsstation für die Schiffe der VOC eröffnete. Seine Gemüsebeete waren dann auch der Ursprung des Companys Garden.
Das Kaufhaus GARLIC fiel von seiner Größe her auf, der Name allerdings, erinnerte eher an die grandiosen Steaks in Camps Bay.
Müde vom ungewohnten Wandern, landeten sie am Abend wieder an Bord.
Der letzte spanische Trawler legte ab und ging in See. „HILDEGARD“ verholte zum Bunkerpier, wo bis in die Entlüftungen hinein gebunkert wurde. Dakar sollte ja nicht mehr angelaufen werden. Nachdem auch die Frischwassertanks voll aufgefüllt waren und Frischproviant an Bord gestaut war, verließ auch „HILDEGARD“ Kapstadt.
Alles lief recht gut, es gab nur wenige Störungen, was immer gut für die Stimmung an Bord ist. Die Ladekühlanlage lief einwandfrei, und bei Temperaturen um minus zweiundzwanzig Grad näherte man sich dem Äquator, gut gerüstet also für wärmeres Seewasser. Mit steigenden Lufttemperaturen versammelten sich die Leute abends wieder mehr an Deck. Es war eine Gruppe um den Koch, die anscheinend den Elektriker nicht vergessen konnte und in der der Assistent der Vier-Acht-Wache nun über die Schiffsleitung und insbesondere den Chief herzog, dem er es in Kapstadt mal so richtig gezeigt hatte. Dabei kam er immer unpünktlicher und oft nicht nüchtern auf Wache. Weil der Zweite das deckte und ihm sogar gestattete, auf Wache zu schlafen, bekam Flarrow das sehr spät mit. Dann aber bekam der Assistent mehrere Verwarnungen, und als er eines Morgens den Wachdienst verweigerte, die fristlose Kündigung. Da er nun als Passagier weiter fuhr, bekam er die Eigner-Kabine, und der Zutritt zum Wohnbereich der Besatzung wurde ihm untersagt. Das konnte nicht wirklich verhindert werden, zeigte aber, dass man sich nicht auf der Nase herumtanzen ließ. Seine Mahlzeiten hatte er im Salon einzunehmen, wovon er aber nur selten Gebrauch machte, und Alkohol durfte ihm nicht verkauft werden.
Der Kapitän legte ihm schon einmal die Rechnung für die Passage bis Vigo vor und verlangte seine Unterschrift. Da er sich weigerte, machte ihm der Alte klar, dass er dann mit einer Klage der Reederei zu rechnen hätte. Seine Freunde wurden nachdenklich, als ihnen das bekannt wurde. Neben den Reisekosten für den Ersatzmann kämen dann eventuell auch noch die Gerichtskosten auf ihn zu. Das könnte ganz schön teuer werden.
Der Kapitän nutzte die bestehende Situation, den Kantinenverkauf von Alkohol stark einzuschränken, womit eine mehr realistische Betrachtung der Situation, auch bei den fröhlichen Zechern, die Oberhand gewann. Der Versuch des Passagiers, die Sache ungeschehen zu machen, scheiterte aber an Flarrow, der das rundweg ablehnte.
Sie hatten Kap Verde passiert, und mit dem einsetzenden Nord-Ost-Passat wurden die Nächte frischer, was die Ausgucks veranlasste, die Dufflecoats hervor zu holen.
Flarrow stand am Fahrstand, als das Telefon klingelte. „Wir haben Feuer im Schiff.“ Und weil die Stimme des Ersten so entspannt klang, antwortete Flarrow: „Natürlich, im Kombüsenherd, weil der Koch morgen früh Brot backen wird.“ – „Nein, nein, es brennt wirklich, eine Matrosenkammer im Wohndeck Steuerbord. Wir müssen wahrscheinlich mit der Fahrt runter gehen und wegen der Windrichtung auch den Kurs ändern.“ – „O. k, wir treffen uns im Hauptdeck am Niedergang zum Wohndeck.“ So begann Flarrows erster Einsatz in Sachen „Feuerlösch“. Am Niedergang wurde einem Matrosen gerade der Rauchhelm KÖNIG aufgesetzt. Das war ein Monstrum aus einem anderen Jahrhundert, aber noch immer als Atemschutzgerät auf deutschen Schiffen zugelassen. Das war der eigentliche Skandal. Die Luftversorgung des Trägers erfolgte nämlich über eine Handpumpe, die durch einen Gummischlauch mit dem Rauchhelm verbunden war, aber die Bewegungsfreiheit stark einschränkte. Die gläserne Sichtscheibe des Helms beschlug meistens und machte seinen Träger blind. Der Rauchhelmträger musste beim Abstieg in das Wohndeck zwei Wendungen von je neunzig Grad vollziehen und geriet sofort außer Sicht. Es dauerte jedoch nicht lange, da tauchte er aus dem dunklen Wohndeck wieder auf, weil er in Atemnot gekommen war. „So eine Scheiße!“, brüllte der Erste, „das war der zweite Versuch!“
Flarrow, der inzwischen über den Brandherd informiert worden war, machte sich seine eigenen Gedanken. Das Feuer brannte in einer Kammer, die direkt am Maschinenraumschott lag. Dahinter gab es einen fast leeren Brennstofftank, mit leichtem Dieselöl, das gegebenenfalls gasen würde! Er schnappte sich einen Feuerlöscher, ein nasses Taschentuch und empfahl dem Ersten einen C–Schlauch anzuschlagen, damit man notfalls mit Seewasser löschen konnte. „Die Feuerlöschpumpe läuft, ihr braucht nur das Ventil aufzudrehen.“ Damit stieg er in das Wohndeck hinunter. Beleuchtung gab es nicht mehr, da jemand den Gang aus Sicherheitsgründen stromlos gemacht hatte und Notstrombeleuchtung war auf „HILDEGARD“ ein Fremdwort. Er erreichte die Kammer, riss die Tür auf, sah den brennenden Kleiderschrank und entleerte den Feuerlöscher fachgerecht am Brandherd. Die Füllung war ausreichend. In der starken Rauchentwicklung tastete er sich, wegen tränender Augen fast blind, zurück. Atemluft wurde knapp, und dann bog er zu früh nach links ab und landete unter dem Niedergang anstatt daneben. Er fühlte noch das Ölzeug der Decksleute und begriff seine Situation, bevor er ohnmächtig wurde. Weil der Erste mit zwei Mann auf das Wohndeck hinab gestiegen war und auf den rückkehrenden Flarrow wartete, konnten sie ihn bergen. An der frischen Luft kam er schon bald wieder zu Bewusstsein, und bis auf die Rauchvergiftung, die ihn noch eine Woche lang quälte, war er unverletzt. Über die Brandursache wurde natürlich spekuliert.
Die Ausgucks durften nachts auf der Brücke nicht rauchen, weil das ihre Sehkraft minderte. Deshalb erlaubte der Wachhabende dem Ausguck, wenn nichts Besonderes anlag, nach zwei Stunden die Brückennock für eine Zigarettenpause zu verlassen. In diesem Fall hatte der Ausguck die Pause dazu benutzt, seinen Dufflecoat aus dem Kleiderschrank in seiner Kammer zu holen. Da das Schiff rollte, schwangen auch die Kleider im Schrank hin und her. Wenn man nun beide Hände benötigte, den Mantel aus dem Schrank zu nehmen, hatte man die brennende Zigarette natürlich im Mund. Eine Berührung der Glut mit den Kleidern genügte dann durchaus. Das konnte sich auch der Alte zusammenreimen und stellte die entscheidende Frage nicht. Im Protokoll stand deshalb: „Aus nicht geklärter Ursache“
Ein paar Tage später, im kalten Atlantikwasser, zeigten die in der Ladung ausgelegten Fernthermometer Temperaturen um minus fünfundzwanzig Grad an. Der Alte staunte und fragte Flarrow, wie kalt es denn noch werden solle. „Das will ich ja gerade wissen“, antwortet Flarrow, „aber ich denke, dass es noch ein oder zwei Grad mehr werden. Unsere Lukendeckel sind nicht sehr dicht, außerdem schlecht isoliert.“ – „Da sind wir ja für Deutschland fein raus, oder? Chief, ich hätte, ehrlich gesagt, nicht geglaubt, dass Sie das schaffen würden.“
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