Der BBC-Monteur war pünktlich mit zwei Farbigen erschienen. Ein Engländer, und als Flarrow meinte, er hätte nur zwei Mann erwartet, sagte der: „Well, it’s me and these two guys; they count fifty percent each, Sir.” Flarrow warf ein Auge auf die Leute von BBC und sah, dass der Monteur die Arbeit machte. Die beiden Farbigen waren wirklich nur Hilfskräfte.
Gegen sechzehn Uhr erschien der wachhabende Assistent bei Flarrow, weil sein Kollege, der inzwischen ausgeschlafen hatte, die Wache nicht übernehmen wollte. Der sagte, er hätte ja Null-Acht-Wache und wollte jetzt an Land. Das Boot ginge ja gleich. Flarrow machte ihm klar, dass die Wachen wegen ihm geändert werden mussten. Das Ergebnis sei, dass er jetzt die Abendwache hätte, die er umgehend anzutreten habe. Und dann kam die Frage, warum er gestern Abend zum Wachwechsel nicht an Bord war. Außerdem hätte er sich auch heute Morgen nicht zurück gemeldet. Kaltschnäuzig behauptete er, das Boot verpasst zu haben, und ein privates Boot sei ihm zu teuer, er hätte auch gar kein Geld mehr gehabt und im Übrigen müsse er jetzt los, denn sonst würde er ja das Boot verpassen. Flarrow machte ihm klar, dass dies Arbeitsverweigerung sei, welche zur fristlosen Kündigung führen könnte und was ein Flug nach Deutschland kosten würde. „Sie haben eine dienstliche Anweisung, sofort Ihre Hafenwache anzutreten.“ Dies sagte Flarrow natürlich in Gegenwart des Zweiten, der dem Assistenten gut zuredete, doch der drehte sich nur um und verschwand. Kurz darauf kam Jan an, mit dem sich der Assistent inzwischen abgesprochen hatte und erklärte sich bereit, die Abendwache zu übernehmen. Da er einen Ersatzmann vorweisen konnte, war ihm der Landgang nicht zu verweigern, und die schriftliche Verwarnung, die er am nächsten Tag wegen Überziehen des Landurlaubs bekam, regte ihn nicht weiter auf. Flarrow hatte verloren, und das sollte noch schlimme Folgen haben. Aber was sollte er tun? Dem Assistenten konnte man nicht viel anhaben, Gefahr war ja nicht im Verzug. Er hatte mit Jan einen Deal gemacht, der hier an Bord üblich war und den der Assistent nun ausnutzte. Außerdem hatte sich herumgesprochen, dass der Chief für Jan die Wache gegangen war. Das wurde von der Mannschaft als Schwäche ausgelegt und allgemein belächelt. In den nächsten Tagen lief das Bordleben wieder normal, Jan hielt sich an seine Abmachung, er war scharf auf Überstunden, um Geld zu verdienen und ließ die Finger vom Alkohol.
Die Arbeiten an der Hauptmaschine liefen problemlos, so dass Flarrow Zeit fand, sich ein bisschen umzusehen. Es war später Nachmittag, als Flarrow an Deck kam. Er blickte hinauf zu dem gewaltigen Massiv des Tafelbergs, der, eingegrenzt von Devils Peak östlich und Lions Head westlich, wie ein Schutzwall vor der Stadt lag. Nebel zog sich auf dem über tausend Meter hohem Plateau zusammen und verdichtete sich sehr schnell. Und dann, nach einigen Minuten wälzte sich die Wolkenwand über die Plateaukante hinab auf die Stadt zu, deren Abwärme den Nebel genauso schnell wieder auflöste, wie er entstanden war. Es war das, was die Kapstädter das „Tischtuch“ nennen, das meist Regen ankündigt. „Ein tolles Schauspiel“, meinte der Alte, und da hatte er Recht.
Abends ging Flarrow mit dem Ersten Offizier an Land. Sie fuhren hinaus zur Camps Bay, wo ihnen ein Restaurant empfohlen worden war. Es gab hervorragende Steaks mit reichlich Knoblauch und den berühmten roten Wein der Cap Region. Es wurde ein interessanter Abend auf der Terrasse des Restaurants. Der Erste fragte Flarrow nach seiner Zeit bei der Fischerei und wollte seine Meinung zur Überfischung der Meere hören. Zu meiner Zeit, meinte Flarrow, sprachen nur wenige von Überfischung. Niemand dachte damals daran, so weit im Süden zu fischen, wie heute. Die Bestände im Nordmeer reichten noch. Von Überfischung sprach man also nicht, obwohl sie bereits stattfand. Die Fischer wichen mit immer besseren Fangschiffen und neuer Ortungstechnik nach Norden in neue Fanggründe aus. Da für Frischfisch die Reisezeit zu lang wurde, begann man damit, einen Teil des Fangs zu frosten. Extrem leistungsfähige Kälteanlagen kühlten den frisch gefangenen Fisch innerhalb von sechs Stunden auf minus dreißig Grad Celsius herunter. Damit wurde er für lange Zeit lagerfähig und behielt dabei seine Qualität. Mit der Frosterei begann aber auch die Fischverarbeitung an Bord, denn man frostete ja nur Filets und nicht den kompletten Fisch. So entstanden Fabrikschiffe, die ihren gesamten Fang auf See verarbeiteten und gefrostetes Filet, Tran und Fischmehl anlandeten. Sie konnten leicht hundertfünfzig Tage auf See bleiben und in ferne Fanggründe entsandt werden, wie beispielsweise den Südatlantik. Die Überfischung würde auch hier kommen, die Frage war nur, wie lange die modernen Fangschiffe dafür brauchen würden. Über diesem Vortrag war es Abend geworden. Die Sonne versank im Meer, und mit der kurzen Dämmerung kamen die Sterne hervor, die schon bald vom nachtschwarzen Himmel herab funkelten.
Ein Taxi brachte sie zur Waterfront, wo das Nachtleben pulsierte. Sie suchten sich eine Bierkneipe, weil der Rotwein so durstig gemacht hatte, bewunderten attraktive Mädchen in extrem kurzen Minis und kehrten mit dem letzten Boot an Bord zurück.
Am nächsten Morgen stand der Kapitän vor Flarrows Koje und schimpfte über den Knoblauchgestank. Das sei ja kaum auszuhalten. Das „Garlic-Steak“ von Camps Bay ließ grüßen, aber Flarrow und den Ersten störte das wenig.
Am kommenden Sonntag wollte der Alte auf den Tafelberg. Das Wetter war gut und so zogen sie zusammen mit dem Zweiten Offizier los. Mit der Seilbahn, der Cable Way, ging es nicht nur am bequemsten, sondern auch am schnellsten. Nach zehn Minuten Fahrzeit erreichten sie das über tausend Meter hohe Plateau. Tier- und Pflanzenwelt überraschten, vor allem eine Art Meerschweinchen (Dassies), die einem schon fast über die Füße liefen, aber auch scheue Bergziegen, Steinböcke und dreiste Paviane.
Kapitän der „HILDEGARD“ auf dem Tafelberg
Sie brauchten einige Zeit, um die atemberaubende Aussicht auf Kapstadt und seine am Fuß der Berge liegenden Siedlungen zu erfassen. Das Hafengebiet mit den großen Duncan und Ben Schoeman Docks und der geschützten Reede, wo große Tanker ankerten, die Frischproviant aufnahmen oder Besatzungswechsel durchführten. Dagegen fiel das kleine, schon fast historisch zu nennende Victoria Basin kaum auf. Wenn man aber genau hinschaute, konnte man sogar die „HILDEGARD“ mit den Trawlern an den Bojen erahnen. Im Süden breitete sich die False Bay aus, die falsche Bucht. So genannt von enttäuschten, ersten Seefahrern, die nach ihrem Landfall erkennen mussten, dass dies nicht die Table Bay war und dass sie Kapstadt verfehlt hatten. Die Kap-Halbinsel, als westliche Eingrenzung der False Bay, erstreckt sich weit nach Süden, wo sich ungefähr fünfzig Kilometer entfernt das Cape of Good Hope befindet.
Bartolomäus Diaz, der 1487/88 auch an der Table Bay vorbei bis zum Südkap gekommen war, entdeckte dieses Kap erst auf der Rückreise und nannte es „Kap der Stürme“. Der portugiesische König dagegen, der an Geld, Gold und Gewürze dachte, änderte später den Namen in Kap der Guten Hoffnung.
Vasco da Gama umsegelte zehn Jahre später auch das Südkap und konnte nun Kurs auf Indien oder die Gewürzinseln absetzen. Wenn auch mit Hilfe arabischer Lotsen, erreichte er schließlich Calicut, und die Gute Hoffnung seines Königs konnte sich nun erfüllen.
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