Das Dorf Nowomlinsk liegt etwa drei Werst vom Terek entfernt und ist durch einen dichten Wald von ihm getrennt. Auf der einen Seite des Weges, der durch das Dorf führt, zieht sich der Fluß hin, auf der andern Seite liegen üppig grünende Wein- und Obstgärten, hinter denen die Sanddünen der Nogajschen Steppe sichtbar werden. Das Dorf ist mit einem Erdwall und einer stacheligen Dornenhecke umgeben. Hohe, auf Pfeilern ruhende Torwege mit kleinen, schilfgedeckten Dächern bezeichnen die Einfahrt ins Dorf und die Ausfahrt aus ihm, und neben dem Torweg steht auf einer Holzlafette eine Kanone, ein unförmliches Ding, das die Kosaken irgendeinmal irgendwo erobert haben, aus dem aber seit hundert Jahren kein Schuß abgegeben wurde. Ein Kosak in voller Ausrüstung, mit Säbel und Gewehr, steht zuweilen neben dem Torweg auf Posten, zuweilen auch nicht; das eine Mal macht er vor dem vorübergehenden Offizier Front, das andre Mal nicht. Unter dem Dache des Torwegs steht auf einem weißen Täfelchen mit schwarzer Farbe geschrieben: »266 Häuser, 897 Seelen männlichen Geschlechts, 1012 Seelen weiblichen Geschlechts.« Die Häuser der Kosaken ruhen alle auf Pfählen, eine Elle hoch oder mehr über der Erde; sie sind sauber mit Schilfrohr gedeckt und mit hohen Giebelbalken versehen. Alle sind, wenn nicht neu, so doch gut im Stande und sauber, mit mannigfach geformten Treppen und Aufgängen. Sie sind nicht eng aneinandergereiht, sondern bilden in geräumiger, malerischer Lage breite Straßen und Gassen. Vor den hellen, großen Fenstern vieler Häuser ragen hinter den Zäunen dunkelgrüne Pappeln und zartbelaubte Akazien in duftig weißer Blütenpracht über die Dächer empor; grell schimmernde gelbe Sonnenblumen wachsen ebenda zwischen rankenden Weinreben und Winden. Auf dem geräumigen Marktplatze sieht man drei Läden mit Schnittwaren, Sämereien, Johannisbrot und Pfefferkuchen, und hinter einer hohen Pallisade und einer Reihe alter Pappeln erhebt sich, länger und höher als alle übrigen Häuser, das mit zweiflügeligen Fenstern versehene Haus des Regimentskommandeurs. Nur wenige Menschen sieht man an den Wochentagen, zumal im Sommer, in den Straßen des Dorfes. Die Kosaken sind im Dienst, in den Wachthäusern und auf Streifzügen; die Alten sind auf die Jagd, auf den Fischfang oder mit den Weibern zur Arbeit in die Gärten gegangen. Nur die Allerältesten, die Kinder und die Kranken bleiben daheim.
1 Obergewand
2 tatarische Schuhe
Es war einer jener ganz besonderen Abende, wie sie nur im Kaukasus vorkommen. Die Sonne war hinter die Berge gesunken, doch war es noch hell. Das Abendrot bedeckte wohl ein Drittel des Himmels, und von seinem lichten Hintergrund hoben sich die mattweißen Massen der Schneeberge scharf und deutlich ab. Die Luft war dünn, unbewegt, wie akustisch gestimmt. Der tiefe Schatten der Berge fiel in einer Länge von etlichen Werst auf die Steppe. In der Steppe, jenseits des Flusses, auf den Wegen, überall war es still und leer. Wenn einmal da oder dort eine Gruppe von Reitern auftauchte, blickten auch schon die Kosaken aus dem Wachthause und die Tschetschenzen aus dem Aul voll Verwunderung und Neugier nach ihnen hin und suchten zu erraten, wer die verdächtigen Leute wohl sein mögen. Sobald es Abend geworden, ziehen sich die Menschen aus Furcht voreinander in ihre Wohnungen zurück, und nur das Raubtier und der Vogel schweifen frei, ohne den Menschen zu fürchten, durch die Einöde. Unter munterem Geplauder eilen die Kosakenfrauen aus den Weingärten, wo sie die Ranken angebunden haben, noch vor Sonnenuntergang heim. In den Gärten, wie in der ganzen Umgegend, wird es einsam; im Dorfe dagegen herrscht um diese Stunde ein lebendiges Treiben. Von allen Seiten ziehen die Leute zu Fuß, zu Pferde oder auf knarrenden Wagen dem Dorfe zu. Die Mädchen eilen in aufgeschürzten Hemden, mit Gerten in der Hand, fröhlich schwatzend nach dem Tor, dem Vieh entgegen, das in einer Wolke von Staub und Mücken, die ihm aus der Steppe folgen, dicht gedrängt heranzieht. Die satten Kühe zerstreuen sich in den Straßen, und die Kosakenmädchen in den bunten Beschmets laufen zwischen ihnen hin und her. Man hört ihr lautes Gespräch, ihr munteres Lachen und Kreischen, und zwischendurch tönt das Brüllen des Viehs. Dort kommt hoch zu Pferde ein Kosak in Feldausrüstung, der sich Urlaub erbeten hat, vom Wachthause her nach seiner Hütte, neigt sich zum Fenster und klopft daran. Auf dieses Zeichen erscheint sogleich der hübsche Kopf einer jungen Kosakin, und man hört sie beide lachen und vertraulich miteinander sprechen. Da kommt ein zerlumpter nogajscher Knecht mit scharf vorspringenden Backenknochen auf einem Wagen herangefahren: er hat Schilfrohr in der Steppe geholt, fährt den kreischenden Wagen auf den sauberen großen Hof des Jessauls 1, nimmt den die Köpfe bewegenden Ochsen das Joch ab und ruft dem Hausherrn auf tatarisch irgend etwas zu, worauf jener ihm in derselben Sprache antwortet. An der Pfütze, die fast die ganze Straße einnimmt, und neben der die Dorfleute schon seit vielen Jahren mühsam an den Zäunen entlang dahergekrochen sind, geht eine barfüßige Kosakin mit einer Tracht Holz auf dem Rücken behutsam vorüber; sie hebt dabei ihr Hemd über die weißen Waden empor, und ein von der Jagd heimkehrender Kosak ruft ihr scherzend zu: »Heb's doch noch höher auf, Schamlose!« und er legt auf sie an; die Kosakin läßt das Hemd los, und zugleich fällt ihr das Holz auf die Erde. Ein alter Kosak mit aufgestreiften Hosen und offener, grauhaariger Brust kehrt vom Fischfang zurück, über der Schulter ein Netz mit noch zappelnden, silberglänzenden Heringen; um es näher zu haben, klettert er über den verfallenen Zaun des Nachbars, bleibt dabei mit seinem Kittel am Zaun hängen und zerreißt sich ihn. Dort schleppt ein Weib einen trockenen Ast, und um die Ecke erschallen die Schläge einer Axt. Die Kosakenkinder kreischen beim Kreiselspiel, das sie überall auf der Straße, wo nur ein ebener Fleck ist, betreiben. Um sich ein Stück Weges zu sparen, klettern die Weiber über die Zäune. Aus allen Schornsteinen steigt der scharfduftende Rauch des getrockneten Kuhdüngers, der zum Heizen verwandt wird. Auf jedem Hofe erschallt verstecktes Lärmen, das der stillen Nacht vorausgeht.
Mutter Ulitka, die Frau des Fähnrichs und Schulmeisters, ist ebenso wie die übrigen Weiber nach dem Hoftor gegangen und erwartet das Vieh, das ihre Tochter Marianka auf der Straße herantreibt. Kaum hat sie noch das Tor geöffnet, als auch die riesige Büffelkuh, von den Mücken gefolgt, sich brüllend hindurchdrängt; hinter ihr her folgen langsam die satten Kühe, schauen mit den großen Augen die ihnen bekannte Hausfrau an und schlagen sich mit dem Schwänze in gleichmäßigem Takte die Lenden. Die schlanke, hübsche Marianka durchschreitet das Tor, wirft die Gerte fort, schließt den Heckenzaun wieder ab und läuft, so rasch sie kann, mitten unter das Vieh, jagt es auseinander und treibt es im Hofe umher. »Zieh doch die Schuhe aus, du Teufelsmädchen, du hast sie ganz schief gelaufen!« ruft die Mutter laut. Marianka fühlt sich durch die Bezeichnung »Teufelsmädchen« durchaus nicht gekränkt, sie nimmt das Wort vielmehr als Kosenamen und fährt munter in ihrer Beschäftigung fort. Ein Tuch verhüllt Mariankas Gesicht; sie trägt ein rosa Hemd und einen grünen Beschmet. Sie verschwindet unter dem Schutzdach des Hofes hinter dem feisten, stattlichen Vieh, und man hört nur noch von den Ständen her ihre Stimme, die der Büffelkuh zärtlich zuredet: »Nun steh doch endlich still! Seh' nur einer an! Ruhig, Mütterchen! ...« Bald darauf geht das Mädchen mit der Alten aus dem Kuhstall nach der Milchkammer, und jede von ihnen trägt einen großen Topf mit Milch – den Ertrag des heutigen Tages. Aus dem Lehmschornstein der Milchkammer steigt alsbald der Rauch des Kuhdüngers empor, die Milch wird in Kaimak 2umgekocht; das Mädchen schürt das Feuer, und die Alte begibt sich ans Hoftor zurück.
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