Drake nahm die Veränderung mit einer hochgezogenen Augenbraue und unverhohlenem Interesse zur Kenntnis. „Erstaunlich“, er legte den Kopf schief und schien sie weiter zu analysieren.
„Ich dachte, ich sei nicht der erste Gestaltwandler, den Sie treffen“, bemerkte Ever schnippisch.
„Das bist du nicht.“ Drake verzog den Mund zu einem freudlosen Lächeln. Seine vollen Lippen bekamen grausame Züge. „Ich bin nur immer wieder aufs Neue fasziniert von dieser seltenen Gabe.“
Ever trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Sie wurde das Gefühl nicht los, für Drake eine Art seltenes Insekt zu sein – nicht besonders wertvoll, aber dennoch interessant. Bei dem Gedanken, dass dieser Mann nun für das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse hier in Torch Creek und der Gegend rund um den Sunset Crater verantwortlich sein wollte, zog sich ihr unangenehm der Magen zusammen. Sie wünschte sich James zurück, mit aller Macht.
„Wie lange wird James noch fort sein?“, fragte sie ohne Umschweife.
Drake lachte kurz auf. „Sehr lange. Du solltest nicht davon ausgehen, ihn noch einmal in deinem Leben wiederzusehen. Allerdings …“, er starrte einen kurzen Moment gedankenverloren zum Fenster hinaus und wandte dann seinen Blick wieder Ever zu, „kann ich das nicht mit Sicherheit sagen. Ich habe es noch nicht bis ins letzte Detail berechnet. Es gibt wichtigere Dinge als das.“
„Wichtigere Dinge?“, entgegnete Ever fassungslos. Drake sprach mit einer Gleichgültigkeit, die sie schmerzte.
Er bedachte sie mit einem mitleidigen Blick. „Ob und wann James Nathan zurückkehrt, ist für das Weltgeschehen völlig irrelevant. Daher ja. Es gibt weitaus wichtigere Dinge.“
Erneut kochte Wut in ihr hoch, doch diesmal schaffte sie es, ihre Emotion zu bezwingen. Ihr Äußeres blieb unverändert. Ever atmete einmal tief durch. Sie hasste diesen Mann. Er würde ihr keine Hilfe sein und nicht an ihrer Seite stehen, so wie James noch vor kurzem. Drake war schlicht kaltherzig, arrogant und berechnend.
Doch er war auch ein Wächter – so alt wie die Zeit selbst und schier allwissend – es konnte gut möglich sein, dass er dennoch die eine oder andere Antwort für sie hatte.
Ever nahm sich zusammen und fuhr fort: „Das alte Haus in der Baker Street. In dem zwei Selbstmorde geschahen. Ich nehme an, Sie wissen darüber Bescheid.“
Lukas Drake hob das Kinn und sah Ever an. Er wusste nicht, worauf sie hinaus wollte und war auf der Hut. „Ich weiß über alles Bescheid, was es über Torch Creek zu wissen gibt“, erwiderte er schließlich unverfänglich.
„Spukt es dort?“, fragte Ever rundheraus. „Ich meine, die beiden Frauen, die dort starben. Wandern sie als Geister umher?“
„Nein. Das tun sie nicht“, antwortete der Wächter knapp. „Die Frauen haben ihren Frieden.“ Seine Stimme hatte wieder den beiläufigen Tonfall angenommen, die sie bereits zu Beginn ihres Gesprächs gehabt hatte. „Du musst jetzt gehen“, fügte er dann hinzu und wandte sich wieder zu der Vitrine um, die er bei Evers Eintreffen betrachtet hatte. „Meine Zeit ist wertvoll und ich habe viel zu tun.“
Ever sog scharf die Luft ein. Es erschien ihr nicht so, als sei Lukas Drake sehr beschäftigt; er wollte sie einfach loswerden, das war alles. Sie betrachtete seinen Rücken. Nun, wenn er wollte, dass sie ging, konnte er das haben; sie verspürte keine Lust, noch länger in der Gesellschaft dieses undurchsichtigen Mannes zu verweilen.
Ohne ein Wort des Abschieds machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ mit einem schalen Gefühl das Museum.
20. August. Evers Haus. Nachmittag.
„Happy Birthday, Süße!“ Issy fiel ihrer Freundin stürmisch um den Hals. „Ist das nicht Wahnsinn? Jetzt bist du volljährig! Du kannst tun und lassen, was du willst.“
„Oh, naja.“ Ever grinste. „Erzähl das mal meinem Dad. Ich glaube, ihm ist diese Zahl völlig gleich.“
„Na komm schon, dein Dad ist doch cool“, mischte Charlotte sich ein, die hinter Issy gestanden hatte. Nun trat sie vor und schloss Ever ebenfalls in die Arme. „Auch von mir alles Gute. Aber dein Geschenk bekommst du erst heute Abend, verstanden?“
Issy klatschte in die Hände. „Okay, Mädels. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Es gilt, die größte aller Partys zu schmeißen!“
Charlotte hob eine riesige Tasche hoch, die sie in der Hand trug. „Also, hier haben wir Luftschlangen, Ballons und Kerzen. Im Wagen sind noch ein paar Kisten mit Kram. Und um fünf wird die Torte geliefert!“
„Ihr habt eine Torte bestellt?“, fragte Ever überrascht. „Na, was denkst du denn?“ Charlotte und Issy tauschten einen bedeutungsvollen Blick. „Man wird nur einmal im Leben achtzehn. Da darf doch eine große Torte nicht fehlen!“
„Ich hab euch lieb“, sagte Ever und lächelte ihre Freundinnen an.
„Wir dich doch auch, Süße, wir dich doch auch.“ Issy schloss Ever erneut in die Arme und Charlotte drückte beide. Dann löste sie sich wieder als Erste aus der Umarmung. „Ich möchte ja nicht nörgeln, aber ich habe hier einen Ruf zu verlieren.“ Partys zu planen, die ganzen Vorbereitungen zu koordinieren, die Gästelisten zu erstellen und all diese Sachen waren Charlottes große Leidenschaft; als Issy sie gebeten hatte, sich mit ihr gemeinsam um die Feier zu Evers Geburtstag zu kümmern, hatte sie begeistert zugesagt. Es lag ihr daran, dass es nun auch wirklich großartig wurde.
„Okay, wir fangen mit den Girlanden an, dann hängen wir die Ballons auf. Die Luftpumpe liegt noch im Auto.“
„Ich gehe sie holen und bringe gleich die anderen Sachen mit“, antwortete Issy und hüpfte fröhlich hinaus.
„Hallo, Charlotte“, grüßte Michael, als er die Treppe herunter kam.
„Hi Mr. Crest. Und, sind Sie heute Abend auch dabei?“
Ever warf Charlotte einen vernichtenden Seitenblick zu. Ihren Adoptivvater auf der Party dabei zu haben – und mochte er auch noch so 'cool' sein – fand sie keine besonders verlockende Vorstellung.
Michael sah Evers Blick und lächelte entschuldigend. „Oh, ich denke, ich ziehe es vor, mir die Lakers anzusehen. Nichts gegen deine Partys, Charlotte. Ich fürchte nur, ich würde den Altersdurchschnitt geradezu bombastisch in die Höhe treiben.“
„Ach, kommen Sie schon, Mr. Crest. Das wird lustig!“, hakte Charlotte nach.
Ever knuffte ihre Freundin in die Seite. „Charlotte!“
„Was?“
Ever rollte mit den Augen.
„Wirklich, ich lasse mir lieber erzählen, wie es war. Und Ever“, er sah seine Tochter eindringlich an, „bis spätestens morgen Mittag habt ihr alle Spuren beseitigt, okay?“
„Klar, Dad.“ Ever sprang die paar Stufen zu ihrem Vater hinauf und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Mach dir keine Sorgen. Wir lassen das Haus schon stehen.“
Michael Crest lachte. „Das hoffe ich doch.“ Er wandte sich um. „Na gut. Ich bin dann mal weg. Räumt die zerbrechlichen Sachen beiseite, in Ordnung?“
„In Ordnung, Dad. Wir machen das schon.“ Leichtfüßig hüpfte Ever hinter ihrem Vater her, zurück zu der am Fuße der Treppe stehenden Charlotte.
Als Michael gerade hinaus ging, kam Issy mit Tüten, Girlanden und allerlei sonstigem Kram bepackt zurück. „So, ich hab alles mitgebracht. Wir können anfangen.“ Sie ließ alle Tüten bis auf eine fallen und schloss die Tür hinter sich. Dann griff sie hinein und holte eine Flasche heraus. „Tada! Ich dachte, wir lassen es uns schon beim Schmücken ein bisschen gut gehen.“
„Wodka? Spinnst du?“ Ever lachte und nahm ihrer Freundin die Flasche ab. „Dann sind wir in spätestens einer Stunde alle blau und das Haus muss sich selbst schmücken.“
„Ich wollte ihn doch nicht pur trinken“, gab Issy zurück und holte eine weitere Flasche mit Orangensaft hervor.
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