Peter zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. „Das wird ein entspanntes Jahr. Ich werde es genießen, wenn ihr alle weg seid.“
„Glaub nicht, nur weil wir anderen aufs College gehen, behalten wir dich nicht mehr im Blick“, warnte seine Schwester tadelnd, aber mit einem Lächeln. Ihr kleiner Bruder schoss gerne mal über die Stränge und die Wahl seines Freundeskreises war nicht die beste. Vor allem in jüngster Zeit. „Ich werde es mitkriegen, wenn du Unfug treibst.“
Peter grinste nur und Ben klopfte mit der flachen Hand auf den Tisch. „Leute, wir sind zum Feiern hier, schon vergessen? Also: Wer will noch etwas trinken?“
12. August. Tom’s Bar & Grill. Mitternacht.
„Zu mir oder zu dir?“, fragte George verführerisch, als die Freunde sich vor der Tür des Grills verabschiedet hatten und verschiedene Richtungen einschlugen.
„Wohin auch immer du mich entführst.“ Ever lächelte verliebt. Es war ein schönes, geborgenes Gefühl, George an ihrer Seite zu wissen. Der dunkle Vampir strahlte Stärke aus und sein Blick zog sie regelmäßig in einen Bann, dem sie sich nicht entziehen konnte – oder wollte. George legte schließlich den Arm um ihre Schultern, zog sie an sich und eine Weile sprach keiner von ihnen ein Wort. Der Weg zu seinem Haus war nicht weit und die Nacht mild und sternenklar.
Kurz vor dem Ziel brach Ever das Schweigen. „Lukas Drake“, sagte sie im Gehen. „Ich kann es immer noch nicht glauben, dass er James Platz eingenommen hat.“
„Geht mir ähnlich. Ich hoffe so wie du, dass James zurückkehrt. Und, dass er Drake dann auf den Mond schießen wird“, kommentierte George halb im Ernst und halb zum Spaß.
„Du hasst ihn, stimmt’s?“
George runzelte die Stirn. „Ach nein, so kann man das nicht sagen. Wächter sind mir einfach generell suspekt und ich kann Issys Enthusiasmus ihm gegenüber nicht nachvollziehen, das ist alles“, wiegelte er die Frage ab.
„Aber James hast du doch vertraut, oder etwa nicht?“ Ever blieb kurz vor Georges Haustür stehen und drehte sich zu dem Vampir um, als wolle sie ihm den Weg versperren, um eine Antwort zu erhalten. James hatte ihr verdammt viel bedeutet und nun vermisste sie ihn, dass es schier schmerzte.
„Zumindest mehr als Drake“, räumte er gezwungenermaßen ein. George wusste um James‘ Bedeutung für Ever. Aber ganz unabhängig davon mochte er ihn tatsächlich ganz gerne. Dann lächelte er sanft. „Aber du solltest dir keine Sorgen machen, ich bin einfach misstrauisch und nicht besonders glücklich darüber, Drake in unserer Nähe zu wissen. Das ist meine Natur.“ Er beugte sich vor und gab Ever einen zärtlichen Kuss auf den Mund, um sie vor weiteren Fragen über den neuen Wächter abzuhalten. „Da spricht sozusagen mein übertriebener Beschützerinstinkt.“
Ever kicherte leise. „Ich kann schon ganz gut auf mich selbst aufpassen.“
„Ich weiß“, erwiderte George. Er stand vor ihr und sah ihr direkt in die Augen, als ihre Lippen sich erneut fanden. Für eine ganze Weile versanken sie beide in diesem Kuss, bis George sich sanft von ihr löste, um die Haustür aufzuschließen.
„Komm rein.“ Er hielt die Tür weit auf und machte eine einladende Handbewegung. „Aber schau dich besser nicht zu genau um.“
„Warum denn das?“, fragte Ever überrascht und trat ein. Ihr Blick fiel sofort auf den massiven, antiken Schreibtisch, der in der Mitte des Wohnzimmers stand und nicht wirkte, als gehöre er tatsächlich hierher. „Ah, ich verstehe. Immer noch dein Einzug.“
George seufzte. „Oh ja. Ich bin immer noch dabei, mich einzurichten. Heute früh kamen noch ein paar Sachen, die ich bei einem Bekannten eingelagert hatte. Und nun finde ich einfach keinen Platz für dieses verdammte Ding.“ Er ging voraus ins Wohnzimmer und klopfte auf die blank polierte Tischplatte des Schreibtischs. „Ich habe ihn jetzt schon an so ziemlich jede Wand in jedem Zimmer dieses Hauses gestellt und nirgendwo sieht er wirklich gut aus“, meinte er missmutig. „Ich fürchte, ich werde mich von ihm trennen müssen.“
„Bist du verrück?“, fuhr Ever auf. „Der ist wunderschön und muss doch ein Vermögen wert sein!“
„Was nutzt es, dass er ein Vermögen wert ist, wenn er einfach nicht in dieses Haus passen will?“ George zuckte ratlos mit den Schultern. „Weißt du, was merkwürdig ist? Je mehr ich auspacke und je mehr ich mich hier einrichte, desto mehr seltsame Dinge geschehen.“
Ever runzelte fragend die Stirn. „Was meinst du?“
„Naja … Sachen verschwinden und tauchen ganz woanders wieder auf, Vorhänge, die ich zugezogen habe, sind plötzlich wieder offen … Keine Ahnung, die typischen Spukgeschichten eben.“
Ever stellten sich unwillkürlich die feinen Härchen in ihrem Nacken auf. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, fuhr George fort: „Aber eigentlich stört mich das nicht. Ich bin schließlich ein Vampir, was soll mir schon passieren?“ Er lachte kurz auf. „Aber manchmal nervt es ein wenig.“
Ever fand die Angelegenheit weit beunruhigender als er. „Du solltest das nicht ganz so sehr auf die leichte Schulter nehmen“, warnte sie, „du kennst doch die Geschichte dieses Hauses?“
„Jaja. Die Vorbesitzer waren ein junges Ehepaar, doch die schwangere Ehefrau hat Selbstmord begangen und danach wollte ihr Mann nicht mehr hier wohnen. Naja, ich kann ihn verstehen.“
„Der Punkt ist“, Ever hob bedeutungsvoll die Hände und verlieh ihrer Geste noch mehr Ausdruckskraft, indem sie die Farbe ihrer smaragdgrünen Augen deutlich dunkler werden ließ, „dass die Frau überhaupt keinen Grund hatte, sich umzubringen. Mein Gott, sie waren gerade dabei, das Kinderzimmer einzurichten … und sie waren glücklich verheiratet!“
„Man kann nicht in die Menschen hineinschauen, Ever“, bemerkte George pragmatisch. „Wer kann schon wirklich sagen, was in ihrem Inneren vor sich ging? Vielleicht war sie in Wirklichkeit verdammt unglücklich und niemand wusste davon.“
Ever schüttelte den Kopf. „Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Und außerdem war es ja auch schon die zweite Tote in diesem Haus.“
George nickte. „Ich weiß. Auch die Frau des Besitzers davor hatte sich das Leben genommen – auf dieselbe Art und Weise: Sie hat sich ebenfalls die Pulsadern aufgeschnitten.“
„Vor den Augen ihres kleinen Sohnes – er war höchstens zehn!“, fügte Ever geschockt hinzu. „Ich frage dich: Welche Mutter tut so etwas?“ Sie schüttelte angewidert den Kopf bei dem Gedanken. „Du kannst es drehen, wie du willst: In diesem Haus sind schlimme Dinge geschehen.“
George trat dicht vor seine Freundin und sah ihr schmunzelnd in die Augen. „Sag bloß, du glaubst an Geister?“
„Mein Freund ist ein Vampir“, stellte Ever trocken fest. „Ich selbst kann die Gestalt jedes Wesens annehmen, das ich mir vorzustellen vermag. Also ja“, sie legte den Kopf zur Seite, „ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die wir nicht erklären können. Und Geister gehören da definitiv dazu.“
„Ich gebe zu, Sie haben verdammt gute Argumente, Miss Crest“, meinte George sichtlich amüsiert. „Aber ich bleibe dabei: Was stört es mich? Selbst wenn es Geister sind – sie können mir nichts tun. Und dir auch nicht.“
Ever schüttelte sich. „Ich weiß nicht, mir läuft es eiskalt den Rücken herunter, wenn ich nur daran denke.“
„Dann denk einfach nicht daran“, flüsterte George mit hypnotischer Stimme und senkte langsam den Kopf. „Denk an … denk an etwas Schönes.“
Ever lachte leise und war kurz davor, sich ihrem Schicksal zu ergeben. „Hm, und was könnte das sein?“
„Nun …“ George gab ihr einen sanften Kuss auf den Mund. „Du könntest zum Beispiel an mich denken.“ Langsam ließ er seine Hände ihren Rücken hinab gleiten, schob sie unter ihr zartes Shirt und fuhr über die weiche, nackte Haut darunter. „Und an meine Hände. Daran, wie sie dich berühren.“
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