Die Kommissarin Mareke Menke stand übermüdet von einem Urlaubsrückflug vor der Leiche. Sie hatte dummerweise ihren Urlaub bis zum letzten Tag ausgedehnt und gedacht, dass sie aufgrund ihrer Jugend das nächtliche Fliegen gut wegstecken konnte. Weit gefehlt, der Urlaub in Mexiko war aufregend, doch sehr anstrengend gewesen. Sie hatte sich mit der Lösung des letzten Falles weder im privaten noch im dienstlichen Bereich nur Freunde geschaffen. Im Präsidium wurde sie geschnitten und der des Mordes an der Schulleiterin überführte Polizeirat Horst Mertens hatte mehr Freunde bei der Polizei, die es immer noch nicht wahrhaben wollten, dass nun der Herr Polizeirat Mertens rechtskräftig verurteilt worden war und seine Jahre im Gefängnis absitzen musste.
Ihre Mutter hatte sich von ihrem Vater scheiden lassen, das Hotel auf Baltrum war verkauft worden und aus dem Tonfall am Telefon mit ihrer Mutter schloss sie, dass man Mareke wohl die Schuld am Scheitern der Ehe gab. Mareke ärgerte sich, hätte sie bloß ihrer Mutter nichts davon erzählt, dass ihr Mann in dem dubiosen Chatraum unterwegs war. Ja, es hatte einen Moment gegeben, wo Mareke ihren Vater für den Mörder an Helene Zimmersohn gehalten hatte. Es waren aber nur Gedankenspiele gewesen und dafür sollte man sich selber nicht abstrafen. Das Leben konnte schon sehr merkwürdige Kapriolen mit einem veranstalten.
Der Arzt hatte die Leiche von Ricarda Harms-Otte untersucht. In ihrer Schürzentasche hatte man einen Brief gefunden, der offensichtlich von einem Stalker der hartnäckigen Sorte verfasst worden war. Darin hatte er seine Liebe zu Ricarda erklärt, die anscheinend schon Jahrzehnte dauerte. Also sagte Mareke mit einem Kopfbrummen des Jetlags zu ihrer Assistentin, sie solle in der neugegründeten Sonderkommission ‚Blumenmarkt’ die bereits bewährten Kollegen zusammen holen und in der Richtung eines älteren Stalkers ermitteln. Es könnte gut und gerne ein alter Bekannter der Polizei sein.
Mareke hatte sich schon beim Betreten der Blumenhalle für diesen SOKO-Namen entschieden und wollte sich dafür die Genehmigung der neuen Polizeirätin Frau Jelte Oltmanns holen. Die Polizeipräsidentin Frau Helma Kaufmann wollte sie damit nicht behelligen. Alles lief eingespielt, wortlos und ohne Arbeitsfreude ab. Mareke nahm sich vor, sich bei einem langen Spaziergang alleine über ihren weiteren Berufsweg klar zu werden. Die feindliche Stimmung hier im Polizeipräsidium Emden würde sie auf Dauer nicht durchhalten. Sie war der Meinung, ihre Arbeit bisher gut zu gemacht zu haben, die Straftäter suchte sie sich schließlich nicht selber aus. Wenn ein Polizeirat ein Verbrechen beging, war dieser für sie nichts anderes als ein Straftäter. Denn vor dem Gesetz waren schließlich alle gleich. Sie würde genau so gegen den Präsidenten des Landgerichtes Aurich vorgehen, wenn dieser strafrechtlich in Erscheinung treten würde.
Mit diesem Rechtsverständnis war sie zur Polizei gegangen und zum Glück unterstützte sie die Staatsanwaltschaft Emden in ihrer Auffassung. Das hatte ihr in einem Gespräch der Oberstaatsanwalt Dominic Großerjahn gesagt, worüber Mareke sehr froh war. Er hatte ihr auch zugesagt einzugreifen, falls das Mobbing unter den Kollegen bei ihr zu einer Belastung wurde. Und das war es geworden, weswegen sie außerplanmäßig Urlaub genommen und sich eine teure Reise nach Mexiko gegönnt hatte, ein heimlicher Traum. Man braucht im Leben immer eine Liane, an der man in Gedanken dahin schwingen konnte, dahin, wo es einem Freude machte. So hatte man Kraft, schwere Dinge im Leben zu überstehen. Das konnte ein Hobby sein, ferne Länder oder ein neues Auto, das man in Gedanken schon einmal fahren möchte. Hoffnung und Vorfreude sind die größten Verhinderer, dass man in Depressionen versinkt, sich aufgibt und mit schlechter Laune durchs Leben geht. Das zerrt nur am eigenen Lebensgerüst, macht alt, krank und lässt einen schließlich verzweifeln. Weitere Vorstellungen in dieser Richtung verweigerte Mareke sich gegenüber.
Die Spurensicherung arbeitete schnell und wortkarg, das hatte aber nichts mit Mareke zu tun. Die Kollegen der Spusi redeten nie viel. Der Bestatter Ingo Harms, mit der Toten nicht verwandt oder verschwägert, zog sich in seiner Nervosität mehrfach die Handschuhe an und wieder aus. Er räusperte sich schließlich und trat von einem Fuß auf den anderen, er wusste nicht, wie er sich bemerkbar machen sollte, denn er hatte noch einen dringenden Abholtermin in einem Altenstift. Er sagte zu seinem Assistenten: „Tagelang ist nichts und dann drubbelt sich alles. Es ist zum Mäusemelken und am späten Abend muss ich mir das Gemecker meiner Frau anhören, dass ich heute und wieder ausgerechnet an ihrem Geburtstag mit Leichen zu tun habe. Als würde ich das extra machen, um sie zu ärgern. Dabei müsste sie doch als Tochter eines Bestatters aus Oldenburg wissen, wie es in unserem Beruf zugeht.“
Der Mitarbeiter sagte wohl mehr, um die Zeit zu überbrücken: „Kannten Sie die Blumenfrau Harms-Otte?“ Ingo Harms sah ihn von der Seite misstrauisch an, denn er kannte den schwarzen Humor seines Assistenten und fragte sich, welche Breitseite aus dem schwarzen Kabinett nun wohl wieder von ihm abgefeuert werden würde. „Nee, wieso? Es gibt in Ostfriesland viele die Harms heißen,“ sagte Ingo Harms und blickte verunsichert den Mitarbeiter an. „Aber nicht Harms-Motte,“ erwiderte der Mitarbeiter. „Nicht Motte, du Holzkopf, Otte mit O, wie Otto. Geht das in deinen mit Alkohol vernebelten Schädel nicht rein? Du hast wieder eine Fahne. Ich werde mir demnächst einen anderen Mitarbeiter suchen und dich rauswerfen.“ Der Mitarbeiter sah ihn an, griff in die Tasche und schraubte einen großen Flachmann mit Schnaps auf, nahm den Kopf in den Nacken und ließ ohne zu schlucken durch jahrelange gekonnte Übung den farblosen Schnaps gleich bis in den Magen durch den Schlund laufen. Er drehte die Flasche zu und meinte: „Macht nichts, dann werde ich eben wieder arbeitslos, mir doch egal. Dann bekomme ich wieder Stütze vom Vater Staat.“
Der uniformierte Polizist fing den besorgten Blick des Arztes auf, der lange den Mitarbeiter des Bestatters ansah. Der Polizist ging zu ihm: „Hör mal, du Saufbruder, wenn du jetzt mit deiner Leichenkutsche fährst, sitzt du heute Nacht bei mir auf der Wache hinter Gittern, verstehst du mich? Ich habe Nachtdienst und bei meinen Streifenfahrten werde ich dich im Auge behalten.“ Ingo Harms zog nun zum wievielten Male die Handschuhe wieder aus: „Keine Angst, den Führerschein haben eure Kollegen aus Aurich diesem trostlosen Heini schon vor drei Monaten abgenommen. Mir ist nicht erklärlich, wie diese verkrachte Existenz überhaupt einen Führerschein bekommen hat.“ Der Mitarbeiter schraubte wieder die Flasche auf und bevor er diese an den Mund setzte, sagte er mit belegter Stimme: „Den habe ich auf dem Jahrmarkt in Rechts-up-Weg geschossen.“ Ingo Harms meinte: „Da gibt es keinen Jahrmarkt, du Torfkopp! Du hast mir einmal erzählt, es war in Upgantschott, aber dein Gedächtnis lässt vom Trinken schon nach und du Hohlkopf merkst das nicht einmal.“
Der Bestatter wandte sich an den Polizisten: „Sag mal, wie lange dauert das denn noch, wann kann ich die Dame in mein Kühlhaus bringen?“ Der Polizist zuckte mit den Schultern: „Da musst du die Dame dort fragen. Aber die Leiche musst du bestimmt zur Gerichtsmedizin fahren.“ Der Leiter der Spusi nickte Mareke zu, die das kurze Gespräch vom Bestatter mitbekommen hatte. „Sie können die Leiche nun mitnehmen und bitte zum Pathologen Doktor Schreiber bringen.“ Ingo Harms war erleichtert und stieß heftig seinen Mitarbeiter an, der schon wieder in die Tasche zu seinem Schnaps greifen wollte.
Mareke hatte während ihrer Ausbildung bei der Polizei gut aufgepasst und war in ihrer Abschlussklasse die beste Polizeischülerin gewesen. Sie hatte die Informationen der erfahrenen Polizeilehrer wie ein Schwamm aufgesogen und hatte ein fast fotografisches Gedächtnis. Sie konnte sich Passagen aus den Lehrbüchern zu den verschiedensten Thesen und Themen einfach aus dem Gedächtnis abrufen. Ihre Vorgesetzten mussten dies auch erkannt haben, da sie Mareke in ihrem jungen Alter schon eine solche Stufe in der Polizeiführung hatten hochkrabbeln lassen. Sie hatte, seitdem sie die Verantwortung für die letzten Fälle bekommen hatte, schnell dazugelernt und nahm gerne Vor- und Ratschläge von älteren Kollegen an und war nicht böse darum, wenn auch andere Mitglieder ihres Teams andere Meinungen als sie hatten.
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