Jacques Varicourt - Die Delphin Therapie
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Ein Hotel, eine Bahnhofskneipe, verwirrte Zeitgeister, sowie die Tagespolitik, vermischt mit Suff und jeder Menge Sex, versuchen Deutschland neu zu bewerten. Alles wird in einem neuen Licht betrachtet, ohne dabei auf Altbewährtes zu verzichten.
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Die Zeit raste nämlich mit einmal unglaublich schnell dahin. Einen Tag, bevor die Delphin-Therapie abgeschlossen war, packten ich und Bianca unsere Koffer. Wir schauten uns auch noch mal die die Delphine an; wir promenierten entlang des Meeres und genossen die Sonne; wir gingen Essen, und spät am Abend bumsten wir ein bisschen. Ja, und am Tag des Abfluges waren wir froh, dass es nun endlich wieder ins Hotel Lüders ging, Florida war zwar schön gewesen, die faszinierende Delphin-Therapie zu beobachten war ebenso schön gewesen, und dennoch wollten wir den 24. Dezember mit unseren Kindern sowie unseren Freunden im Hotel in Ottensen verbringen. Ja, und als wir dann am frühen Morgen des 24. Dezembers alle im Flieger in die Heimat saßen, kribbelte es in mir und in Bianca, - das ist, so glaube ich, auch ganz natürlich, wenn man sich auf die Heimat freut, nicht wahr? Kurz nach dem Start der Maschine verzog sich Bahama-Thomas mit Ilse, wie schon auf dem Hinflug, in die erste Klasse und beide begannen sofort heftigst zu vögeln, und zwar wieder so hemmungslos, dass wir in der zweiten Klasse alles mitbekamen, die zwei trieben es irrsinnig laut: Unnatürlich laut für unsere Begriffe. Gichtkrallen-Bernd schlug daraufhin vor, dass wir einen Film gucken sollten, damit wir durch das Gestöhne von Bahama-Thomas und Ilse nicht gestört werden. Alle stimmten Gichtkrallen-Bernd seinem Vorschlag zu. - Schlagartig wurde es in der zweiten Klasse dunkel, man hörte das Surren der Filmleinwand, die von der Decke automatisch herabgelassen wurde, und dann begann eine Dokumentations-DVD über das Dritte Reich: Es wurde ganz, ganz still in der zweiten Klasse, denn plötzlich ging die Dokumentation los. Gebannt sahen wir den Vorspann, und schon erschienen bekannte Damen wie: Emmy Göring, Magda Goebbels, Leni Riefenstahl, Eva Braun und viele andere Repräsentantinnen des Drittes Reiches mehr. Gichtkrallen-Bernd schrie daraufhin wie von Sinnen: „Das ist sie, das ist Eva Braun, dass ist die Herrscherin vom Berghof, die langjährige Freundin- und spätere Ehefrau von unserem Führer Adolf Hitler! Mein Gott, was für ein bezaubernder Anblick, sie ist so wunderschön, so unvergleichlich reinrassig, so unverbraucht, so... ich möchte am liebsten mit ihr schlafen. - Oh, ja, ich muss schon sagen, auf dieser Großleinwand wirkt das alles viel echter, viel näher und viel intimer als zuhause vor dem Fernseher. Ach, Leute, wie ist das geil – ein Dreifaches: Sieg Heil, wenn ich bitten darf, meine Damen und Herren! Ich könnte sterben vor Freude,“ ließ Gichtkrallen-Bernd uns, völlig außer Rand und Band, wissen. So euphorisch, so dynamisch und so leidenschaftlich hatten ihn die Drogenabhängigen- und auch die Alkoholiker bereits auf dem Hinflug erlebt, und es war in der Tat beeindruckend mit welcher Inbrunst Gichtkrallen-Bernd, die zum Teil farbigen Bilder, in sich aufsog und begeistert mitfieberte, wenn ihm irgendwelche bekannten Persönlichkeiten der Vergangenheit auf der Großbildleinwand gegenübertraten.
Noch während der Dokumentation war ich eingeschlafen, Bianca weckte mich, als wir bereits in Hamburg gelandet waren.
Wir, so wie auch alle anderen, checkten aus und dann begaben wir uns in unsere vertrauten Gefilde. Wir fuhren mit dem Taxi nach Ottensen, ins Hotel Lüders. - Kaum dass ich unseren Taxifahrer bezahlt hatte, hielt vor dem Hotel Lüders ein Krankenwagen mit quietschenden Reifen an. Sekunden später sahen wir, wie offensichtlich ein Notarzt im weißen Kittel mit: Magda, Heide und Rudolf Lüders, den völlig besoffenen Ralf durch die Eingangstür des Hotels nach draußen zum Krankenwagen führten. Die Türen des Krankenwagens öffneten sich, zwei Pfleger legten Ralf umgehend auf eine Bahre und schnallten ihn fest, anschließend schoben sie ihn in den Krankenwagen hinein, verschlossen die Hintertür und brausten mit Blaulicht auf- und davon. Als Heide Lüders uns sah, sagte sie: „Kommt nur herein, es ist zwar Heiligabend, aber diesen Heiligabend, nein, den werden wir wohl alle im Gedächtnis behalten.“ Ein wenig besorgt lotste uns Heide in den Frühstücksraum, welcher von einem leuchtenden Tannenbaum feierlich geschmückt war, - ja, und dort, jenseits des Baumes saßen: Bert Teufel, Chantal, Kirstin Lüders, die Grishams und die Studentin Sybille von Burg. – Keine/keiner sagte etwas, die Stimmung war, ich würde nachträglich sagen: Im Arsch. Nur unsere Kinder fielen uns freudig um den Hals. Sie wollten endlich ihre Geschenke haben, um damit zu spielen, ich erlaubte es ihnen diese, welche sich in einem Schrank im Frühstücksraum befanden, auszupacken, sie bedankten sich bei uns allen artig, und dann verschwanden sie, wie die Wilden, in ihren eigenen Zimmern, die sie mittlerweile ganz für sich alleine besaßen – Heide Lüders hatte das so veranlasst und wir fanden das pädagogisch in Ordnung. Heide stellte mir und Bianca etwas Alkoholisches, etwas stark Alkoholisches (einen Mix) auf den Tisch, bevor sie sich selber hinsetzte, Rudolf Lüders saß bereits. Magda sagte zum Thema Ralf zu uns: „Ralf war schon vorhin, vor ungefähr einer knappen halben Stunde, hier im Hotel an der Rezeption, in einem dramatischen Zustand gewesen; er hatte sich fürchterlich in eine „Aldi-Markt-Tüte“ erbrochen, ferner hatte er immer wieder bittere Tränen der Verzweiflung geweint. Er hat, wenn ich das einmal so sagen darf: Kontrollverluste! Die Sache mit der Eckkneipe hat ihm ungeheuerlich zugesetzt, er kommt mit dem Rauswurf, welchen Doris zu verantworten hat, einfach nicht klar, er ist verrückt geworden, ich trage mich mit dem Gedanken, dass ich mich von ihm scheiden lasse. Ich kann nicht mehr, ich bin am Ende mit meinen Nerven- und mit meinem Latein. Irgendwann ist auch mal Schluss! Das einzig Gute ist, dass Ralf „freiwillig“ ins Krankenhaus wollte.“ „Wann kommt Ralf denn wieder?“ Fragte ich. „In vier Tagen soll er, wenn alles „normal“ verläuft, entlassen werden, sagte der Arzt zu mir. Er, der Arzt, will Ralf nämlich nicht für längere Zeit dabehalten, er will ihn lediglich nüchtern bekommen, damit er, Ralf, von selber, der Trunksucht entsagt und seine Fehler einsieht.“ Ich nickte nachdenklich mit dem Kopf.
Hamburg-Harburg, am Brunnen, Dienstag, den 29. Dezember 2009, 10:33 Uhr – es war Tauwetter, dennoch kalt und ungemütlich.
Ich hatte mir gerade ein Bier aufgemacht, den ersten kräftigen Schluck zu mir genommen, da erschien Bahama-Thomas, mit zwei Dosen Bier, sowie einem Flachmann in den Händen setzte er sich zu mir auf die Bank. „Guten Morgen,“ sagte er. Dann leerte er den Flachmann auf EX, entsorgte die leere Flasche im Mülleimer und öffnete die erste Dose Bier und trank, nein, er trank nicht im herkömmlichen Sinne – er soff. Er soff schnell, gierig und maßlos. Nachdem das alles geschehen war, stellte er seine Dose Bier ab, und sagte zu mir: „Ich muss dir etwas anvertrauen, das von dringendster Wichtigkeit ist, es dreht sich nämlich um die Delphin-Therapie. Es sind Probleme aufgetreten, die selbst „ich“ nicht vorhersehen konnte.“ „Das klingt aber wirklich besorgniserregend, was ist denn bloß los mit dir, Bahama-Thomas? Und vor allem fällt mir auf, dass du so hastig säufst? Warum säufst du so hastig?“ „Hastig? Ich bin seit gestern durchgehend stramm, ich glaube, wenn ich nicht aufhöre, dann könnte es sein, dass ich „freiwillig“ ins Krankenhaus gehe.“ „Freiwillig? Du etwa auch?“ Sagte ich überrascht. „Wie meinst du das: Du auch?“ Fragte mich Bahama-Thomas mit aufblitzenden, versoffenen Augen. „Ach,“ sagte ich, „es ist unwichtig, es hängt mit Ralf zusammen, - nicht der Rede wert, kommen wir zurück auf dich. Was ist denn nun der Grund für die ungewohnte Aufregung deinerseits?“ „Das will ich dir sagen: Die Delphin-Therapie hat nicht bei allen so angeschlagen wie es zu erwarten gewesen wäre. Es gibt da gewisse Komplikationen bei einzelnen Leuten aus dem Container und auch hier vom Brunnen.“ „Was denn für Komplikationen?“
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