Am Schalter mit dem Buchstaben "S" reihte er sich ein. Vor ihm waren zwei Personen. Er holte schon mal das alte Foto aus seiner Tasche. Nach einer Weile war er dran und eine jüngere Frau fragte ihn ob er eine neue Adresse melden wolle.
"Äh, nein, ich bin nicht aus Hamburg. Ich komme aus München und suche einen alten Freund. Also das ist so, wir waren zusammen bei der Bundeswehr und im Telefonbuch steht sein Name nicht mehr. Können Sie mir da helfen?"
Bei diesen letzten Worten hielt er der Dame das Foto hin. Etwas überrascht nahm sie es in die Hand.
Plötzlich sah er wie sie lächelte.
"Ja, ja, ich weiß schon wir sehen da mit dem Grünzeug auf dem Helm ein bisschen bescheuert aus."
Sie reichte ihm das Foto zurück und fragte: "Wie hieß denn ihr Freund?"
"Sebald, Oskar Sebald. Er müßte jetzt so alt sein wie ich."
"Warten Sie einen Moment."
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch vor einen Bildschirm.
Ferdinand dachte: Komisch, normalerweise müßte sie jetzt ins Archiv gehen und einen dicken Wälzer Papier holen. Diese Computer haben alles verändert.
Nach einer Weile sah ihn die junge Frau an und sagte:
"Es gibt in Hamburg mehrere Personen mit dem Namen Sebald... Moment mal, aah hier ist ein Oskar Sebald."
"Ach und Sie haben da seine Adresse?"
"Ja, ja, aber eigentlich darf ich aus Datenschutzgründen seine Adresse nicht herausgeben".
"Aber ich kann ihn im Telefonbuch von Hamburg nicht finden. Dann könnte ich ihn ja anrufen."
"Wissen Sie", sagte die junge Frau", es gibt natürlich Fälle da ziehen die Leute weg und melden es nicht. Vielleicht hat er auch kein Telefon."
"Na sowas," erwiderte Ferdinand, " da komme ich den weiten Weg von München und dann kann ich ihn nicht finden. Und dann hat er nicht mal ein Telefon. Gibts denn heute noch sowas?"
Ein etwas verlegenes Lächeln und sie sagte: "Vielleicht will er absichtlich kein Telefon oder er kann es sich nicht leisten."
"Also ein Telefon hat doch heute jeder", antwortete Ferdinand. "Oh Entschuldigung, das war nicht so gemeint. Aber wenn ich die Adresse hätte könnte ich ja mal nachfragen ob er dort noch wohnt."
Die junge Frau überlegte eine Weile und sagte dann: "Ich gebe ihnen die Adresse, ausnahmsweise. Eigentlich darf ich das nicht..."
Sie schrieb etwas auf einen Zettel und reichte ihm diesen.
"Viel Glück! Ach und falls Sie ihn dort nicht mehr antreffen, dann wär es nett, wenn sie mir das melden. Hier meine Telefonnummer mit Durchwahl. Sie erreichen mich dann direkt hier an meinem Arbeitsplatz."
Ferdinand hatte sich den Zettel schon geschnappt und sagte: "Ja, das mach ich, weil Sie so nett waren."
Er kaufte sich einen Stadtplan und sah die Adresse nach. Mit der S-Bahn fuhr er zu einer Station die seinem Ziel am nächsten lag. Unterwegs zu der Adresse kam er an einem Bratwurststand vorbei. Er war hungrig. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es schon Mittag war.
"Was solls denn sein junger Mann?"
"Eine Semmel mit der roten Bratwurst da... und Senf."
"Ah ein Besucher aus Bayern", sagte der Verkäufer.
"Kommt sofort."
Während er wartete überlegte Ferdinand, dass es wohl das Wort Semmel, aber vor allem sein Dialekt war, nach dem ihn der Verkäufer sofort eingeordnet hatte. Hier hieß das ja wohl Brötchen. Während er noch überlegte warum Oskar kein Telefon hatte reichte ihm der Verkäufer die leckere Semmel. Er zahlte und biss herzhaft das hervorstehende Wurstende ab.
Der Verkäufer nickte ihm aufmunternd zu und bevor dieser fragen konnte sagte Ferdinand: "Sehr gut!"
Es war ein großes fünfstöckiges Wohnhaus. Nicht die beste Adresse wie der abbröckelnde Putz an der Frontseite belegte. Zehn Klingelschilder. Schnell hatte er sie beäugt. Kein Oskar Sebald. Was jetzt? Ein wenig ratlos stand Ferdinand vor der Eingangstür. Sollte er irgendwo klingeln?
Nicht notwenig. Die Tür öffnete sich und eine Frau mittleren Alters stand plötzlich vor ihm. Er wich zwei Schritte zurück.
"Oh Entschuldigung ich habe gerade einen Namen auf den Schildern gesucht. "
Die Frau wandte sich wortlos ab und streifte ihn nur mit einem kurzen Blick.
"Hallo... aber er wohnt ... ."
Die Frau wandte sich kurz um. "Sie wollen bloß was verkaufen."
"Nein, nein ich suche nur einen Freund aus alten Zeiten."
Es war sein Dialekt der die Frau innehalten ließ.
"Wie ist denn sein Name?"
"Oskar, Oskar Sebald heißt er. Wir waren zusammen bei der Bundeswehr. Vor langer... ."
Während er sprach erschienen ein paar Falten auf der Stirn der Angesprochenen. Sie schien zu überlegen, unterbrach ihn jetzt.
"Oskar Sebald? Ja, der hat hier mal gewohnt. Aber das ist schon lange her. Ich glaube er mußte damals raus aus der Wohnung, weil er seine Miete nicht bezahlt hat."
"Wissen sie vielleicht wohin er gezogen ist?"
Schulterzucken. "Keine Ahnung. Versuchen Sie's doch mal auf dem Einwohnermeldeamt."
"Da war ich schon. Die konnten mir nichts sagen."
"Ja, mehr weiß ich auch nicht. Entschuldigung aber ich habs eilig."
Ferdinand nickte und bedankte sich.
Was konnte das bedeuten? Warum hatte sich Oskar nicht abgemeldet, oder seine neue Adresse dem Amt mitgeteilt? Er hat seine Miete nicht bezahlt.
Dann hat er wohl Mietschulden gehabt, dachte Ferdinand. Und wollte verschwinden. Wahrscheinlich in eine andere Stadt. Na, dann würde es kein Wiedersehen mit Oskar geben. Schade. Aber er wollte ja auch diese Stadt kennenlernen. In seinem Kopf arbeitete es noch immer. Oskar als Mietpreller? Das konnte er sich nicht vorstellen. Damals bei der Bundeswehr hatte er ihn als guten Kumpel geschätzt. Wobei... ein bisschen leichtsinnig war er schon gewesen. Hatte sich auch immer wieder mal mit Vorgesetzten angelegt. Wenn er dann einen Rüffel bekam lachte er nur.
Er fuhr mit der Bahn zurück Richtung Hauptbahnhof. Das Wetter war gut, immer wieder schaute die Sonne hinter ein paar weißen Wölkchen hervor. Auf dem Vorplatz sinnierte er eine Weile. Was muß man in Hamburg unbedingt gesehen haben? Na klar. Den Hafen. Also zurück in den S-Bahntunnel. War nicht schwer. Ein paar Stationen nur und er wäre bei den Landungsbrücken. Ferdinand sah auf die Uhr.Vierzehnuhrdreißig. Das paßte. Er fuhr über die Rolltreppen in den Untergrund. Schon zwei Minuten später ratterte seine Bahn ein. Sitzplatz gab es um diese Zeit auch. Kurze Zeit später verließ die Bahn den Untergrund und Ferdinand staunte, dass er nun auf Hochgleisen Richtung Hafen fuhr.
Wenige Minuten später las er am Zuganzeiger die Worte >LANDUNGSBRÜCKEN<.
Schon auf dem erhöhten Bahnsteig sah er den Dreimaster der im Hafen lag. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses endlos lange Reihen von Kränen und Trockendocks. Ja, das wollte er alles sehen. Warum war er nie mit seiner Frau hierher gekommen?
Über Treppen ging es hinunter auf die Straße. Gleich darauf stand er vor einem langgezogenen, wuchtigem Gebäudekomplex. Hier mußte ja auch der berühmte Fischmarkt sein. Es wimmelte von Menschen. Touristen, dachte er. Genau wie ich. Ein Durchgang in dem großen Gebäude brachte ihn zu einer ganzen Reihe schräger Abgänge die dem Ort den Namen gaben - Landungsbrücken.
Er ging die etwa sechzig Meter lange Schräge nach unten. Noch mehr Menschen. Eine gut fünf Meter breite Hafenmole an die das Wasser der Elbe schwappte. Und hier reihte sich Ausflugschiff an Ausflugschiff. Die meisten ähnelnden schnittigen Yachten mit zwei Oberdecks. Alles drängte auf diese Schiffe um eine Hafenrundfahrt zu erleben. Aber auch kleinere Barkassen boten Fahrten in die Speicherstadt an. An der langen Mole, der Landseite zugewandt, fügten sich Kioske, die Hamburger Spezialitäten anboten, und Andenkenlädchen nahtlos aneinander.
Ferdinand gönnte sich eine Fischsemmel und ein Bier. Hamburgisch herb. Dann löste er eine Karte für die große Rundfahrt. Er bereute es nicht. Vorbei an Trockendocks, riesigen Containerschiffen die gerade ent-oder beladen wurden und den Großkränen zwischen deren riesigen Auslegern die Container wie Spielzeug aussahen. Auf der gegenüberliegenden Seite Hamburgs Villenviertel, eingebettet in viel Grün. Genußvoll atmete Ferdinand die frische Luft ein und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Wohin war Oskar gegangen? Oder besser wohin war er verschwunden? Er fand keine vernünftige Erklärung. Alles nur Spekulation. Vielleicht war er tatsächlich in eine andere Stadt gezogen. Und lebte dort friedlich als Rentner, genau wie er. Ob er je geheiratet hatte? Schließ dieses Kapitel ab, sagte eine innere Stimme zu ihm.
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