Ich war mir nicht sicher, obwohl mich das Thema interessierte. »Das bleibt unter uns?« fragte ich ihn.
»Claro, compañero, wir können es auch so machen, dass wir manchmal einfach locker telefonieren. Weißt du schon, wo du dort wohnen wirst?«
»Wilson soll ein Haus gemietet haben, in dem was frei ist.«
»Scheiße! Aber mach dir erst mal ein eigenes Bild von ihm. Vielleicht kommst du ja klar mit ihm.« Er lachte in sich hinein.
»Ist er so schlimm?«
»Er ist ein Riesenarschloch, ein Wichtigtuer.«
»Warum hasst du ihn so?«
»Ich hasse ihn nicht, ich verachte ihn ganz einfach. Die Welt ist voll von solchen Deppen, in jedem Land, auf allen Ebenen. Seine Eitelkeit und seine Selbstliebe sind seine Persönlichkeit, mehr ist da nicht. Aber ich sage dir, was noch schlimmer ist: Dass solche Typen Erfolg haben, liegt nur daran, dass die Welt voll von Heinis ist, die auf solche Typen reinfallen, dass es Strukturen gibt, die mehr vom Schein, als vom Sein leben.«
Ich sah das ähnlich, langsam wurde er mir richtig sympathisch.
»Bist du zu allen so offen? Ich meine, woher weißt du, dass ich das alles nicht einfach an Peter und Wilson weiterreiche?«
»Wirst du nicht, ich habe eine gute Menschenkenntnis. Außerdem hat mich Peter selber gebeten, dir die lokale Lage nahezubringen und das ist eben meine Wahrnehmung. Wahrscheinlich hatte er Schiss, es selber zu tun, weil die Lage in der Chiquitania ja im Moment halt doch Gefahrenstufe Orange ist. Eine Stufe vor Rot, das bedeutet dann Abreise für alle Entwicklungshelfer. Aber glaub mir, das ist halb so heiß, wie getan wird. Lass uns gehen, ich bringe dich ins Hotel. Oder wo willst du jetzt hin?« Er rief den Ober und bat um die Rechnung. Als der kam, zahlte er und lehnte jede Kostenbeteiligung ab. »Das geht aufs Haus, mein Lieber. Hast du heute Abend Zeit? Ich habe noch etliches auf Lager, das du wissen musst.« Mir war's recht, ich hatte eh nichts vor. Außerdem hatte ich nicht verstanden, worauf er mit seinem Kommentar über die Haudegen am Nebentisch hinaus wollte. Er würde um acht bei mir im Hotel vorbeikommen.
Ich ließ mich von ihm ins DED-Büro bringen, ich hatte endlos Zeit übrig und keine Lust im Hotel fernzusehen. Im Büro war ziemlich viel los - viele junge Leute standen herum, alternative Lebenseinstellungen und Helfersyndrome durchzogen durch die Lobby. Ich klopfte an Christinas Tür und fragte nach der Bibliothek, die sie vormittags erwähnt hatte. Sie begrüßte mich wieder strahlend und wies mir den Weg.
Das DED-Büro war in einem großen, modernen Einfamilienhaus mit wandgroßen Fenstern in bester Lage untergebracht. Die Büros der festen Mitarbeiter waren im ersten Stock, das Kaminwohnzimmer im Erdgeschoss bildete den Eingangsbereich mit Sitzecke, ein großes Konferenzzimmer schloss sich an und das ehemalige Esszimmer neben der großen Küche war zur Bibliothek mit langem großen Arbeitstisch umfunktioniert. An den setzte ich mich und konnte mich problemlos ins WLAN einloggen, um meine Mails abzurufen. Im Postfach war aber nur Pornospam und Werbung von Flugbörsen, die ich in der Vergangenheit genutzt hatte. Ich versuchte, aus ein paar Metern Entfernung die Titel auf den Buchrücken zu lesen. Ich war zu faul, aufzustehen und erwartete sowieso nicht viel. Soweit ich erkennen konnte, handelte es sich meist um intern editierte Literatur der deutschen Entwicklungshilfe und verschiedener Nichtregierungsorganisationen. Ich hatte die Sorte Literatur schon in Bonn während der Vorbereitungszeit kennengelernt, meist einseitig positivistische Arbeits- und Projektberichte. Ich fragte mich, ob das je jemand lesen würde. Ich musste an den Leitfaden zur Wirtschaftsentwicklung denken, den Peter Dijkstra mir in die Hand gedrückt hatte.
Da fiel mir eine interessant aussehende, groß gewachsene junge Frau in Jeans und weißem T-Shirt ins Auge. Sie stand am anderen Ende des Raumes, zunächst mit dem Rücken zu mir. Mir gefielen gleich ihre schlanken, gebräunten Arme und ihre breiten Hüften bei schmaler Taille. Ihre dunkelbraunen Haare reichten ihr bis an die Hüfte. Ich musterte sie eine Weile ausgiebig, sie konnte mich ja nicht sehen. Als sie sich leicht zur Seite drehte, sah ich ihren großen schönen Busen. Jetzt muss nur noch das Gesicht gut sein!, sagte ich mir. Als sie sich ganz zu mir herumdrehte, blickte sie mich unvermittelt an, aus grünen, weitstehenden Augen. Ihre Gesichtszüge waren irgendwie hart, ich konnte aber zunächst nicht sagen, warum. Später würde ich diesen Eindruck auf den Verlauf ihrer Augenbrauen zurückführen. Ihr Gesicht wirkte irgendwie maghrebinisch und sehr interessant. Sie lächelte mich kurz an und verließ die Bibliothek mit einem Buch in der Hand. Ich hörte, dass sie draußen an Christinas Tür klopfte und mit ihr sprach. Ihr Spanisch hatte einen französischen Akzent. War sie Entwicklungshelferin? Es gab Ausländer, die als Entwicklungshelfer arbeiteten, aber eher Schweizer oder Holländer. Für Franzosen war es eher untypisch, deutsch zu sprechen oder überhaupt, sich auf Nichtfranzösisches einzulassen. Sie kam nicht mehr zurück in die Bibliothek und ich wünschte mir insgeheim, ein echter Aufreißer zu sein, oder zumindest die Gabe zu haben, leicht ins Gespräch zu kommen. Aber mein Mund blieb umso fester verschlossen, je attraktiver Frauen für mich waren. Vielleicht würde ich sie gar nicht mehr wiedersehen und so versuchte ich, nicht mehr an sie zu denken. Ich dachte an meine Ex-Frau und überlegte, ob ich schon in der Lage wäre, eine neue Beziehung zu starten. Obwohl zwischen uns bittere Trennungsfeindseligkeit herrschte, war ich emotional eher träge. Andererseits hatte ich bei der Französin deutlich dieses Gefühl im Unterleib gespürt, das sich einstellt, wenn man eine Frau ansieht, die man anziehend findet. Was Frauen anbelangte, neigte ich eher dazu, meinen Gefühlen als meinem Verstand zu trauen.
Ich versuchte, an was anderes zu denken und surfte im Internet, las Nachrichten, recherchierte über San Ignacio. In Deutschland hatte ich mir nur Fotos von Reiseberichten angesehen, jetzt wollte ich mehr Informationen zur politischen Lage vor Ort haben. Im bolivianischen Netz war einiges zu finden, das meiste bestätigte Tomás' Einschätzung: Die Berichterstattung in den lateinamerikanischen Medien ist weniger analytisch, sondern besteht einfach aus Berichten über Tatsachen oder über Zusammenhänge, die für solche gehalten werden. Trotzdem konnte ich mir aus den Berichten über kurz zurückliegende, vor allem gewaltsam verlaufene Ereignisse ein etwaiges Bild von der Lage in Bolivien machen; vor allem über den sich verschärfenden Konflikt zwischen Hoch- und Tiefland. Neben dem Namen des Präsidenten Evo Morales, seinem Vize Tomás García Linera und einer Unzahl mir unbekannter Politiker fiel hierbei vor allem immer wieder ein kroatisch klingender Name: Branko Marinkovich, Präsident des ›Comité Cívico‹ von Santa Cruz. Was das genau sein sollte, wusste ich nicht und beschloss daher, Tomás am Abend nach dem Mann und seinem Spezialkomitee zu fragen.
Ich war am späten Nachmittag ins Hotel zurückgekehrt, duschte und zog mich schnell an. Tomás kam um Punkt acht Uhr, er ließ mich von unten über die Rezeption rufen. Ich freute mich, ihn zusehen. Seine bissige Art gefiel mir. Wir gingen zu seinem Ford Fiesta und zu meiner kompletten Überraschung saß die junge Frau aus dem DED-Haus auf der Rückbank. Wir stiegen ein und er stellte mir Odile Monchardon vor. Ich gab ihr die Hand, denn im engen Auto war der sonst übliche Begrüßungskuss nicht machbar. Tomás erklärte mir, dass Odile freie Journalistin sei, Beiträge für die französische Tageszeitung ›Le Canard Enchaîné‹ schrieb und sechs Monate in Bolivien bleiben würde, um ein Buch zu schreiben. Ich schwieg die meiste Zeit der Fahrt – wie häufig bei Anwesenheit für mich sehr attraktiver Frauen.
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