»Wir gehen in ein deutsches Lokal, das ist ganz gut. Nicht nur, weil es da deutsches Essen gibt, sondern weil es gute Qualität ist.«
»Okay, prima.« meinte ich. Mein Beifahrerfenster ließ sich nicht herunterleiern und es war krachheiß im Auto. Als er das Auto gestartet hatte, fing die Klimaanlage an, mir ihren abgestandenen Gestank voll ins Gesicht zu blasen. Ich protestierte nicht, obwohl ich Klimaanlagen hasste. Die Fahrt wäre anders gar nicht machbar gewesen.
Nachdem er angefahren war und sich in den massiven Verkehr eingeordnet hatte, fragte er nach meiner Familie. Mir wurde plötzlich klar, dass ich die letzten beiden Tage fast überhaupt nicht an sie gedacht hatte. Ich würde am Nachmittag meine Kinder anrufen.
»Der geht's gut, danke.« Ich war vormittags nicht der große Redner, jetzt wurde ich noch wortkarger.
»Wann kommen die an?«
»Die kommen gar nicht, Tomás.« Ich bemühte mich, neutral zu klingen, ich fühlte mich irgendwie erwischt. Es war mir unangenehm, ihm von meinem Rausschmiss von zuhause erzählen zu müssen. »Meine Frau hat mich vor zwei Wochen rausgeschmissen und will nicht herkommen. Sie ist Ecuadorianerin und hat keinen Bock auf Lateinamerika. Lustig, was?«
»Sie wird irgendwann zu dir zurückkehren. Wenn du das dann noch willst.« meinte Tomás nach einer kurzen Weile.
»Da wäre ich nicht so sicher. Die Auseinandersetzung war zuletzt recht bitter. Woher willst du das so genau wissen?«
»Weil es immer so ist. Es sei denn, du machst jetzt grobe Fehler. Ich würde mich erst mal total zurückziehen.« Mich überraschte die Sicherheit, mit der er meinen Fall analysiert zu haben glaubte.
Tomás fuhr wie ein Henker. Nicht so sehr schnell, sondern einfach grauenhaft schlecht. Er wechselte die Spur, ohne zu blinken, ohne Schulterblick und so weiter. Er hupte außerdem die ganze Zeit. Ich vermutete eine Zwangshandlung, um seinen selbstaufgebauten Fahrstress auf die anderen Verkehrsteilnehmer zurückzuübertragen.
»Naja, ich mach jetzt halt hier erst mal mein Ding alleine. Zwei Jahre sind ja genug Zeit, um manches zu verarbeiten.«
»Hmm …« meinte Tomás und schwieg eine Weile. Mein Eindruck war, dass er meine Lage irgendwie zu kennen schien. Ich war jedenfalls froh, dass das Thema Familie erst mal beendet schien, eine Minute zuvor wären mir fast die Tränen runtergelaufen, als er mich danach fragte.
Santa Cruz outete sich im kolonialen Zentrum immer mehr als eine wirklich hübsche Stadt. Die Säulengänge waren allgegenwärtig, und rund um die Plaza Mayor schön gestaltet, mit kunstvollem Stuck dekoriert. Die Frauen waren zum Teil hübsch, hatten gute Figuren, manche zumindest. Beim näheren Hinsehen schien mir die Frauenschaft dann geteilt: einerseits wirklich schöne Vertreterinnen der Gattung, anderseits grauenhaft fette und schwabbelige Mollusken; nicht zu reden von den Männern - älter als dreißig waren fast alle fette Säcke.
Das Restaurant ›La Casona‹ war in einem klassischen Gebäude untergebracht, zweistöckig. Der Wirt war Deutscher, verheiratet mit einer Bolivianerin, Helmut Stockbach, Küchenmeister aus Andernach am Rhein.
Schön vor allem der Innenhof: Ein geschmackvoller Garten mit Springbrunnen in der Mitte, umgeben von balkonartig angelegten Rundgängen im ersten Stock; die Gästeplätze unten waren im Innenhof verteilt. An den Wänden hingen Indianerhandarbeiten und Naturgegenstände, wie ausgehöhlte Kürbisse und sackartige Vogelnester. Das sonst übliche Deutschland-Trallala war nicht vorhanden, zum Glück. Ich war zufrieden, dort anzukommen und hörte Tomás zunächst wieder mal nicht mehr zu. Als wir uns gesetzt hatten, verlor ich mich darin, die anderen Gäste zu studieren. Viele europäische Gesichter, reiche bolivianische Familien mit nervigen Kindern und ansonsten Abenteurerfratzen.
Am Nebentisch hatten zwei deutsch miteinander redende Haudegen Platz genommen, beide im Paramilitärlook gekleidet, der eine klein und dicklich, der andere lang und dürr. Nach einer Weile gesellte sich eine dralle, grellgeschminkte Bolivianerin mit ihrer schwabbeligen Tochter zu ihnen und die Haudegen fingen an, Edelsteine abzuwiegen, welche sie aus ihrem Dschungelcamp mitgebracht hatten und nun an die Händlerin verscheuern wollten. Ganz schnell ließen sie die Steine, die in verschiedenen Farben leuchteten, über die Feinwaage wischen. Die Männer radebrechten spanisch, die Alte sprach rattenschnell ihren Tieflanddialekt. Alle schienen sich blendend zu verstehen. Nach zwanzig Minuten brach das Ganze ab und alle vier küssten sich zum Abschied. Das Geschäft war gelaufen, ohne dass Ware oder Geld den Besitzer gewechselt hätte. Tomás bemerkte, dass ich die Szene beobachtet hatte.
»Die kommen von ganz tief drin. Die sind zwei Monate im Busch, dann kommen sie raus, verscheuern ihren Kram, gehen dann in den Puff und lassen sich volllaufen. Dann brauchen sie noch drei Tage, um ihren Kram einzukaufen, den Kater loszuwerden und verschwinden dann wieder dahin, wo sie hergekommen sind.«
»Scheinen harte Typen zu sein.«
»Sind sie auch. Den Kleinen kenne ich, der war in den Neunzigern Fremdenlegionär. Ein Ostdeutscher, sogar ausgezeichnet in der NVA. Nach der Wiedervereinigung ist er zur Legion. Dort blieb er zehn Jahre und hat sich dann nach Brasilien abgesetzt. Brasilien ist ein hartes Pflaster, auch die Typen werden alt, so ist er nach Bolivien gekommen. Hier scheint es sich besser und ruhiger angehen zu lassen. Den anderen kenne ich nicht, aber der Kurze hat schon etliche Typen abgemurkst.«
»Du klingst wie ein Insider.« meinte ich. »Hat der dir das erzählt?«
»Ich bin ein Insider. Und ja, ich bin mal mit dem versackt, nicht hier, sondern im deutschen Biergarten. Der war stockvoll und hat geglaubt, sein hinterstes Stübchen auskehren zu müssen. Ich hab's mir angehört, hab mich dann aber heimlich verdrückt, als er auf dem Tisch eine Schnarchpause eingelegt hatte. Das ist eine andere Welt, in der die leben, sag ich dir. Die sind die meiste Zeit voll und gleichzeitig gewaltbereit; das ist nicht die lockere Gesprächsrunde. Die sind immer parat, den Abzug zu drücken, und über die Art von Leuten wollte ich jetzt ein bisschen mit dir reden.«
Mir war nicht klar, was er meinte. »Tomás, ich verstehe nicht, auf was du raus willst. Ich habe auch keinen Bock, mit solchen Typen zu verkehren. Warum redest du die ganze Zeit davon, dass in San Ignacio die Post abgeht und du mit mir über solche Gestalten reden möchtest.«
»Pass auf. Ich erkläre es dir von verschiedenen Seiten. Du bist ein harter Bursche, das habe ich gleich bei deiner Ankunft in mein Büro gemerkt. Du bist nicht so wie die anderen Schluffies, die hier antanzen und am liebsten chantend den Locals irgendwelche Konzepte nahebringen wollen, die denen eigentlich am Arsch vorbeigehen. Du hast Mumm.« Na, wenn er das glaubte … »Aber versprich mir eines: kein Wort zu Peter.«
»Welcher Peter?« fragte ich.
»Na, Peter Dijkstra, dein Koordinator!« meinte er. »Der Typ ist eigentlich so ein Lila-Latzhosen-Heini ohne cojones 4. Die Sorte von Entwicklungshelfer kenne ich zu gut. Machen den ganzen Tag rum, um ihren Job und den der ihnen zugeordneten Entwicklungshelfer aufzublasen, damit alles ganz wichtig ist und alle ihren Job behalten.« Tomás wurde mir immer sympathischer.
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»So habe ich mir die auch immer vorgestellt. Ist das tatsächlich so?« Seine Offenheit brachte mich zum Lächeln.
»Davon kannst du verdammt ausgehen.« Tomás trank einen tiefen Zug aus seinem Paulaner Weizenbier. »Letzthin war ich im Chaco, da kam mir eine unserer Neuen entgegen, die war etwa einen Meter neunzig lang und wog schätzungsweise hundertfünfzig Kilo. Die arbeitet da jetzt in einer Region, in der die Leute im Winter immer noch Hungerperioden durchmachen. Sie arbeitet in der Armutsbekämpfung. Die hat sich ihren Ehepartner aus Afrika mitgebracht, ihrem letzten Einsatzort. Die stehen da auf so fette Weiber.« Er trank noch einen Schluck und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. »Bueno, das zum Thema Kollegen.« Der Ober kam gerade vorbei, Tomás leerte sein Weizenbier und bestellte zusammen mit dem Essen ein neues. Er nahm Schweinshaxe, ich Suprême de Poulet.
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