Vor vier Tagen hatten sie zehn Kilo Plastiksprengstoff in einer Mülltonne vor dem Eingangsportal des Anwesens eines Staatsministers hochgehen lassen. Dass der dabei nicht draufgegangen war, war Nebensache.
Der gewünschte Effekt des Anschlags auf einen präsidententreuen Politiker war nicht ausgeblieben – in den rebellierenden Tiefländern war die Gewaltbereitschaft noch mal zwei Stufen nach oben gerückt.
Dann der Anschlag auf den regierungskritischen Kardinal, ebenfalls eine auf dessen Anwesen platzierte Bombe, nur doppelt so stark. Das Arschloch hatte überlebt, wenn auch schwer verletzt. Auch wenn es in diesem Fall besser gewesen wäre, wenn er draufgegangen wäre! Die Wirkung des Anschlages entsprach trotzdem genau seinen Erwartungen: Die katholische Bevölkerung war empört, dass die kirchenfeindliche Regierung und ihr Indianerpräsident gegen ein kirchliches Oberhaupt einen Terroranschlag verübt haben sollten. Und genau danach sah das Ganze aus: wie eine Replik des Präsidenten an die Tiefländer für den Anschlag gegen ihren Staatsminister. Die Presse, die der Sache der Tiefländer treu ergeben war, leistete das Ihre, damit die Sachverhalte auch genau so dargestellt wurden. Was war das überhaupt für ein Scheißamt, Staatsminister. In diesem Land wimmelt es nur so von Staatsministern…
Utazási ging in Gedanken noch einmal den Plan für den heutigen Tag durch, den entscheidenden Tag, der den Schlusspunkt unter all die Anstrengungen des vergangenen Jahres setzen würde. Um Punkt neun Uhr würden an zuvor festgelegten Stellen in verschiedenen Vierteln von Santa Cruz, in denen die stinkenden Hochländer die Mehrheit stellten, ein paar von denen einfach umgelegt, einfach so, auf offener Straße. Er selber hatte die bezahlten Kopfgeldjäger rekrutiert und ihnen klar gemacht, dass es schwierig werden würde, da rauszukommen, wenn der Lynchmob erstmal richtig in Fahrt kommen würde. Dem Geld hatten sie dann aber nicht widerstehen können. Utazási war's eh recht, wenn sie dabei krepieren würden. Je mehr Blut floss, desto besser.
Idealerweise würden die Schwachköpfe nicht vergessen, dabei hochlandfeindliche Parolen zu brüllen. Dann würden die freiwilligen Scharfmacher dazukommen, um den Mob aufzupeitschen und in Blutstimmung zu versetzen. Überall das Gleiche - saudumme Fanatiker, die ihr Scheitern und ihren Frust durch Fremdenhass zu bewältigen versuchten. Die Bauern im Schach des Bürgerkriegs …
Bald würden die bereitstehenden Tieflandtruppen der örtlichen Kasernen, die unter seinem Kommando standen, in die entsprechenden Viertel einrücken und den vermeintlichen Aufstand der Einwanderer aus dem Hochland blutig niederschlagen. Die geneigte Presse war gebrieft und hatte bereits Stellung bezogen. In den nächsten Tagen würde über den Versuch einer bewaffneten Übernahme der Stadt durch die Highländer berichtet werden; man würde vorbereitete Waffendepots entdecken.
Am Vortag hatten er und Chico sogar schon die mit Fotoshop manipulierten Pressefotos angesehen, welche auf den Titelseiten erscheinen würden. Die Presseheinis hatten irgendwelche unveröffentlichten Archivfotos ausgegraben und Chicos englischem Computerspezialisten zum Bearbeiten überlassen. Richtig perfekt waren die geworden. Die Originale zeigten fäusteschwingende Hochländer bei irgendeiner ihrer zahllosen Demonstrationen; denen waren durch digitale Bildbearbeitung vom Engländer einfach Schusswaffen in die Hände gepflegt worden.
Ähnliche Szenarien würden sich an mehreren politisch und damit strategisch wichtigen Orten im ganzen Tiefland abspielen. Er hatte mit den von ihm inszenierten Aktionen in den vergangenen Monaten erreicht, dass die Stimmung am Überkochen war. Utazási war stolz auf sein Planungswerk. Er war Architekt von Bürgerkriegen.
Im ganzen Land standen mehr als tausend Mann unter schweren Waffen bereit und warteten auf den heutigen Tag. Die Schlüsselpositionen des militärischen Kommandos waren mit Söldnern aus allen Erdteilen besetzt. Die Bewaffnung war gut. Ein Kinderspiel, bei der ganzen Kohle, die bereitstand, dachte er sich und grinste verschmitzt. Über zweihundert Millionen Dollar hatten die Kroaten aus Santa Cruz von den Amerikanern bekommen, damit sie im Tiefland einen separaten Staat ausriefen. Immer zahlen die Amerikaner, die Idioten … Nun ja, die mehr als 1,2 Milliarden, die er seit einem Monat auf seinem und Chicos Konto hatte, hatten die Amerikaner nicht freiwillig rausgerückt. Da hatte er mit seiner Hacker-Truppe schon ein bisschen nachhelfen müssen. Aber das war auch dringend notwendig, denn er kannte die Amerikaner nur zu gut aus den Balkankriegen - wenn die merkten, dass sie am Drücker waren und dass man von ihnen abhing, ließen sie einen nach Lieferung und Leistung auch gerne mal abblitzen, sie zahlten einfach nicht.
Er erinnerte sich genau an Sounders Zusammenbruch, als der gemerkt hatte, dass die ganze Kohle seiner amerikanischen Gauner unter seiner, Utazásis Kontrolle war. Utazási hatte ihm versichert, dass es nur eine Art Pfand sei. Oder besser gesagt, eine Bürgschaft. Und er würde das Geld nach der Separation und seiner ordnungsgemäßen Bezahlung wieder zurückbekommen. Einen Scheißdreck kriegt er zurück, der verdammte Schlappschwanz, dachte sich Utazási. Der Ungar gehorchte seinem Tick, Luft stoßweise durch die Nase auszuatmen.
Sollte der Plan für die Morgenstunden aufgehen - und er war bislang noch jedes Mal aufgegangen, an allen Orten, an denen Utazási Zwietracht gesät hatte - würde der Rest ein Kinderspiel werden. Die Söldnerführer und ihre bolivianischen Freischärler würden die wenigen Kasernen des Tieflandes, die noch unter der Leitung von Hochland-Generälen standen, plattmachen, was weiß Gott eine Leichtigkeit sein würde - die hatten zum Teil noch einschüssige Sturmgewehre! Beim ersten Nachladen beißen die ins Gras!
Anschließend würden der Oberkroate Branko Marinkovich und seine Logen-Wichser aus Santa Cruz ins Parlament der Provinz Santa Cruz spazieren und einen eigenen Staat ausrufen. So einfach ist Separation … Er hatte auf diese Weise den Serben im Balkankrieg einen Landesteil nach dem anderen weggenommen. Er hatte es dort geschafft, dass sich seit Jahrzehnten gut bekannte Nachbarn plötzlich die Köpfe einschlugen. Und er hatte es hier in Bolivien geschafft.
Bald würde die Sonne ihre ersten Strahlen über der Stadt ausbreiten. Er hatte Lust, auf den Balkon zu gehen und eine 'Lider' zu rauchen. Chico hasste Zigarettengeruch und regte sich immer wegen seiner Qualmerei auf. Er fand aber seine Zigaretten nicht, auch nach gründlichem Suchen. Da er sowieso Lust hatte, ein paar Schritte zu machen, beschloss er, zur Rezeption zu gehen und sich einen Vorrat zu besorgen, solange noch Zeit war. Bald würde es zu hektisch werden - sie würden kurz nach Ablauf der für heute geplanten Aktionen die weite Reise zu den alten Nazis in den Busch im Nordosten des Landes antreten, wo die Kommandozentrale lag.
Er trat auf den Gang und schloss leise die Tür hinter sich. In dem Moment, als er sich umdrehte, trat aus dem Aufzug am Ende des Ganges ein Mann und kam auf ihn zu. Utazási musterte ihn misstrauisch und versuchte zu analysieren, ob von dem Fremden eine Gefahr ausging. Der Mann war um die Vierzig, schlank, kurzgeschorenes Haar und wirkte athletisch. Auf seiner rechten Stirnseite befand sich ein Verband, der sich über die Schläfe zum Hinterkopf zog. Unter den Jeans schauten schwere Lederstiefel hervor und er trug ein enganliegendes hellblaues Hemd. Eigentlich unauffällig, aber gerade deswegen stufte Utazásis Gefahrenraster den Mann als verdächtig ein. Der Mann wäre gut als ein Agent irgendwelcher Spezialkräfte durchgegangen.
Utazási schaltete auf Kampfbereitschaft, entsicherte mit einer kurzen Handbewegung die Heckler und Koch unter seinem Jackett und steuerte mit ruhigen Schritten auf den Fremden zu. Der kam ihm lächelnd entgegen, hob den Arm in Brusthöhe, sein Daumen zeigte nach oben. Utazási war verblüfft und erwiderte das Zeichen, ebenfalls lächelnd. Der Mann ging vorbei, Utazási ging weiter zum Fahrstuhl. Innerlich kochte er. Es war mit dem Arschloch von Hotelmanager ausdrücklich besprochen worden, dass die ganze Etage des Hotels ausschließlich für Chico und seine Leute reserviert war! Utazási witterte Gefahr. Der Mann sah nordeuropäisch aus, sicher kein Amerikaner, die hätte Utazási auf hundert Meter erkannt. Beim Einbiegen in den Lift schaute er unauffällig in Richtung des Fremden, um zu sehen, in welches Zimmer er verschwinden würde. An der Biegung des Ganges drehte sich der Fremde zu Utazási um, und fragte ihn, wie viel Uhr es sei. Er tippte dabei auf sein Handgelenk.
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