Die Anreise nach La Paz war kompliziert gewesen, weil der DED mir einen Billigflug mit drei Zwischenstopps und insgesamt zwölf Stunden Wartezeit gebucht hatte. Der Flughafen von La Paz lag eigentlich nicht in La Paz selber, sondern in einer Stadt oberhalb von La Paz, die El Alto hieß und ziemlich groß, aber völlig desolat und trostlos war, besonders bei Nieselregen und Nebel um sechs Uhr morgens. Fehlgeschlagene Versuche von Urbanismus, kranke streunende Hunde und auf den Bürgersteigen liegende Alkoholkranke. Der Flughafen sah beim Verlassen des Geländes aus, wie nach einem beschissenen Bürgerkrieg. Ausgeweidete Uraltflugzeuge, ausgebrannte Hangars, herumwehende Plastiktüten. Das Morbide in Lateinamerika kann seinen Charme haben, aber nicht für mich an jenem Ort zu jener Uhrzeit.
Untergebracht war ich im Norden der Stadt bei Anneliese San Martín, der Chefin des DED-Büros in La Paz. Ein deutschstämmiges altes Walross aus einer anderen, vergangenen Zeit. Meine Apartmentwohnung auf ihrem Anwesen war okay, ein Museum der deutschen fünfziger Jahre. Da ich an einem Freitag angekommen war, hatte ich das Wochenende vor mir, ohne genau zu wissen, was ich tun könnte. Ich lief einfach los und verfiel in eine schwere, depressive Verstimmung. La Paz war triste, hässlich, kalt und machte auf mich den Eindruck, als laste ein böser Fluch auf der Stadt. Dauernd schlug das Wetter um. Kam die Sonne raus, was selten passierte, musste man sich die Klamotten vom Leib reißen, war der Himmel bewölkt, fröstelte man sofort. Die Luft hatte einfach keine Konsistenz, sie war zu dünn und konnte keine Wärme speichern.
Alle Restaurants im Norden waren grauenvoll. Schlafen war auch nicht der Knüller, ich wachte dauernd auf, hatte einen flachen, unruhigen Schlaf. Am darauffolgenden Montag kam es zu einem kurzen Treffen mit meinem Koordinator, Peter Dijkstra. Ein Holländer, der Deutsch sprach, aber lieber spanisch reden wollte. Also unterhielten wir uns auf Spanisch. Er schilderte mir knapp mein Aufgabengebiet. Ich wusste tatsächlich nicht mehr, als dass es um lokale Wirtschaftsförderung in San Ignacio de Velasco ging, einem kleinen, aber wegen der strategischen Lage auf politischer Ebene recht bedeutenden Kaff im bolivianischen Tiefland an der brasilianischen Grenze. Der Bürgermeister namens Erwin Mendez war mein lokaler Partner, was bedeutete, dass ich ihm irgendwie beisitzen sollte, damit das mit der wirtschaftlichen Entwicklung vor Ort besser klappte.
Ich mochte Peter Dijkstra nicht, er war ein kurzgeschorener, hohläugiger Unsympath. Die Gespräche mit ihm verliefen kurz, es war ein von beiden Seiten uninteressiert geführtes Briefing. Er hatte zwei Regionen zu betreuen, eine davon war die Chiquitania, ein Gebiet, das mehrere Munizipien umfasste, von denen eines, San Ignacio, mein Einsatzgebiet war. Es würde nicht einfach werden, war seine Einschätzung; Erwin Mendez sei ein Schlitzohr und ein Vertreter der kreolischen 1Unterdrücker, wie er es nannte. Die Wahl Mendez' als Partner des DED vor Ort sei gefallen, weil der DED sich letztlich erhoffte mit ihm als Verbündeten und Chef des flächenmäßig größten Munizips der Chiquitania, am meisten in der Region erreichen zu können.
1Kreolen sind im lateinamerikanischen Sprachgebrauch die Nachkommen europäischer Einwanderer.
Meinen Auftrag erläuterte er mir nur grob. Morgen würde ich die Weiterreise ins Einsatzgebiet antreten. Ich fragte nicht viel nach. Ich hatte mir bis dahin wenig Gedanken gemacht, was auf mich zukommen würde und wollte es erst mal dabei belassen. Nachdem er mir noch ein paar Entwicklungshelfer, die gerade im DED-Büro waren, vorgestellt hatte, drückte er mir zum Abschied noch ein Manual über erfolgreiche lokale Wirtschaftsförderung in die Hand - es würde sich als sehr nützlich erweisen.
Ich verließ das Büro, es befand sich in der Zona Sur, dem wohlhabenden Stadtteil von La Paz. Es war dort weniger morbide, aber nicht schöner als im Norden. Ich lief an endlosen Zeilen von Geschäften und Fast-Food-Restaurants vorbei. Supermarktartige Sportartikelgeschäfte, Damenmode, Damenunterwäsche, DVD-Straßenverkäufe, Telefonkabinen, Internet, chinesischer Plastikschund, Handyläden, Straßenverkäufer, Geldwechselstuben … das übliche Programm der Konsumgesellschaft. Es war bereits halb sieben am Abend und es dämmerte. Ich suchte mir ein nettes Restaurant, aß zu Abend und begab mich anschließend zurück zu Annelieses Anwesen im Norden. Obwohl ich etliches an Wein getankt hatte, fiel mir das Schlafen schwer. Dauernd wachte ich auf und rang nach Luft, als ob immer ein Atemzug fehlen würde. Außerdem schmerzten mir die Knochen und der Kopf. Ab vier Uhr morgens lag ich wach im Bett und versuchte erst gar nicht, nochmal einzuschlafen. Eine Stunde später rief ich mir ein Funktaxi zum Flughafen. Der Flug ging um sieben und ich war heilfroh, La Paz verlassen zu können.
Ich stand von meinem Hotelbett auf und schaute aus dem Fenster. Es war drei Uhr am Nachmittag. Ich machte kurz das Fenster auf, schloss es aber gleich wieder, die Hitze draußen haute mich fast um. Ich brauchte eine Weile, bis ich innen die Temperatur der Klimaanlage richtig eingestellt hatte, man musste das iterativ machen und sich langsam an die richtige Einstellung rantasten. Ich fand sie bei 27°C und schlief nochmal ein, das Schlafmanko der letzten Tage forderte seinen Tribut.
Ich wachte um acht Uhr abends mit großem Hunger auf, ging runter an die Rezeption und fragte nach der Gegend, wo man hier so ausging, um was zu trinken und zu essen. Eine neue, ebenfalls dicke Rezeptionistin nannte mir die Adresse eines Asaderos 2in einer angesagten Gegend. Sie bestellte mir ein Funktaxi, das mich auf eine nahe gelegene, sehr befahrene Avenida und schließlich zu meinem Zielrestaurant brachte.
2Steakhouse
Ich war sehr zufrieden, das Essen war prima und der Service ausgezeichnet. An der Wand hingen die Büchsen von Butch Cassidy und Sundance Kid, beide waren auf ihrem Abenteuertrip nach Bolivien erschossen worden, genau wie Che Guevara gut sechzig Jahre später. Hoffentlich würde ich hier lebend rauskommen, scherzte ich mit mir. Zurück im Hotel ließ ich nochmal den Plan für den kommenden Tag Revue passieren. Ich würde die Büroleiterin des DED in Santa Cruz treffen, die mir alles Weitere, vor allem das Praktische, erklären würde. Mir würde mein Auto übergeben und dann sollte ich in die Chiquitania zu meinem Einsatzgebiet fahren.
Am nächsten Morgen fuhr ich mit dem Bestelltaxi ins DED-Büro von Santa Cruz. Christina Villácis hieß die sympathische Büroleiterin, sie zeigte mir alles. Sie gab mir eine Einführung in die Abrechnungspraxis des DED. Ich musste alle Belege sammeln und zusammen mit den auszufüllenden spezifischen Formularen monatlich einreichen. Sie beglückwünschte mich zu dem neuen Toyota Prado.
»Hombre, da hast du ja richtig Glück gehabt. In San Ignacio fahren die Kollegen noch mit Autos aus den Achtzigern rum.«
»Na, hoffentlich falle ich da nicht unangenehm auf.«
»Nooo, die freuen sich auf deine Ankunft, ich habe heute Morgen mit Wilson Mendoza gesprochen. Wilson arbeitet im Thema Landkonflikte in San Ignacio. Er ist einer unserer Besten vor Ort. Er schlägt vor, dass du bei ihm im Haus wohnst.«
»Ach ja?« Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Klar suchte ich was zum Wohnen, aber diesen Wilson kannte ich ja nicht.
»Wilson ist Kolumbianer, er kommt also aus einer Krisenregion und weiß, wie man mit Konflikten umgeht.«
»Wie arbeitet er denn im Thema Landkonflikte?«
»Er schlichtet die. Genau weiß ich auch nicht, was er macht, aber euer Koordinator, Peter Dijkstra, hält sehr viel von ihm.«
»Ah so.« Dieser Wilson konnte sympathisch sein oder auch nicht.
Es war später Vormittag geworden, als sie mir alle Mitarbeiter und deren Arbeitsgebiet vorgestellt hatte – ich konnte mir weder Namen noch Aufgabengebiete merken. Dann lud sie mich ein, mich zu Tomás Echeverría zu bringen, denn der sei ja, wie sie bereits wusste, meine nächste Station. Wir fuhren durch Santa Cruz und ich fand die Stadt eigentlich ganz schön, zumindest im Zentrum. Es gab nur wenige zweistöckige Häuser, die allermeisten waren einstöckig mit davorliegenden Säulengängen, die den Passanten ein Flanieren ohne Kopfverbrennung garantierten. Nur die Gebäude in den Häuserblocks um die Plaza Central waren zweistöckig. Es hatte etwas von Wildem Westen, ein Flair, wie ich es immer in Lateinamerika entdecken wollte. Es war aber ein Flair des Vergangenen, denn die urbane Realität sieht heute in den meisten südamerikanischen Metropolen anders aus.
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