„Jetzt mal ernsthaft: Was haben wir bis jetzt?“
„Erbärmlich wenig, um nicht zu sagen, eigentlich gar nichts. Der Ehemann hat ganze Arbeit geleistet. Sämtliche möglicherweise vorhanden gewesenen Spuren sind rettungslos zerstört. Ich habe eine Einsatzhundertschaft und eine Hundestaffel angefordert. Die sollen hier die ganze Umgebung umkrempeln. Vielleicht finden die ja etwas, was uns weiterhilft. Die Tatwaffe vor allem, das wäre schön.“
„Halten Sie es für denkbar, dass der Ehemann der Täter ist?“
„Wenn sich hier irgendwo in der Nähe die Tatwaffe findet, dann ja. Die kann er schließlich nicht verschluckt haben.“
Da kam Brombach herbeigelaufen und rief: „Joseph, der Wendlandt will mit dir sprechen. Ich habe gerade versucht, ihm ein paar Fragen zu stellen. Aber er hat wohl mitbekommen, dass mittlerweile der Leiter der Ermittlungen da ist, und da wollte er nur mit dem sprechen.“
„Dem Mann kann geholfen werden“, meinte Travniczek etwas sarkastisch und ließ sich von Brombach zu Wendlandt führen, der immer noch auf dem Baumstamm saß, auf den Martina Lange ihn gesetzt hatte.
„Joseph Travniczek mein Name, ich werde die Ermittlungen in diesem Fall leiten. Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
Wendlandt hob leicht den Kopf, schaute ihn kurz aus den rot verweinten Augen an und sagte dann nur ganz leise und kaum verständlich: „Ja, gewiss.“
Travniczek setzte sich und musterte ihn. Ein Riese von Mann, sicherlich fast zwei Meter groß, muskulös und respekt-
einflößend. Sein Gesicht war vom Weinen entstellt. Man konnte kaum erkennen, wie es normalerweise aussah. Travniczek dachte unwillkürlich an einen Bären, der so schwer verletzt war, dass er sich nicht mehr wehren konnte.
Schweigend saßen sie eine Zeitlang da, ehe Travniczek weitersprach: „Lassen Sie mich Ihnen zunächst meine aufrichtige Anteilnahme am Tod Ihrer Frau aussprechen. Nach dem, was ich da oben gesehen habe, muss das entsetzlich für Sie sein.“
Wendlandt nickte wortlos.
„Fühlen Sie sich trotzdem schon in der Lage, mir einige Fragen zu beantworten?“
„Fragen Sie“, war die tonlose Antwort.
„Sie sind der Bildhauer Freimuth Wendlandt?“
„Ja.“
„Und Ihre Frau war die Richterin am hiesigen Landgericht, Angela Wendlandt?“
Er nickte leicht.
„Wie kamen Sie an den Tatort? Waren Sie Zeuge des Verbrechens? … Herr Wendlandt, waren Sie Zeuge des Verbrechens?“
Jetzt erst murmelte er kaum hörbar: „Ohrenzeuge.“
„Wie soll ich das verstehen?“
Wendlandt richtete sich etwas auf, sprach aber mit vielen kleinen Unterbrechungen: „Ich habe es über das Handy gehört.
… Sie rief an, flüsterte etwas von einem Mann mit einem Gewehr. … Sie sagte noch, wo sie war. … Dann fielen zwei Schüsse, … dann war das Handy aus. … Ich bin dann sofort hier heraufgefahren. … … Es war furchtbar.“
„Haben Sie eine Ahnung, was Ihre Frau hier oben wollte?
Wollte sie vielleicht jemanden treffen?“
„Nein … nein, das glaube ich nicht. … Wir wollten heute noch nach Rom fliegen. … … Meine Frau wollte unbedingt den neuen Papst sehen. Wissen Sie, sie war streng katholisch. Es lag ihr sehr daran. … … … Ich kam um drei nach Hause. Sie hätte alles vorbereiten sollen. … Aber sie war nicht da und es war nichts vorbereitet. … … …Dann hat sie angerufen.“
„Eine letzte Frage für jetzt: Haben Sie irgendeine Ahnung oder Vermutung, wer das getan haben könnte?“
Wendlandt überlegte eine Weile, ehe er antwortete: „Ich weiß nicht. Als Richterin tritt man ja schon Leuten auf die Füße. … Sie hatte gerade ein Verfahren gegen jemanden aus der organisierten Kriminalität. … … Da ist noch etwas: In den letzten Wochen gab es Probleme mit einem Stalker. … Ich weiß nicht, was der von ihr wollte.“
„Doch noch eine letzte Frage, dann lasse ich Sie für heute aber wirklich in Ruhe: Haben Sie in der letzten Zeit irgendwelche Veränderungen an Ihrer Frau bemerkt?“
„Ja, … doch, ja. … Es war in der Vorweihnachtszeit. Da kam sie eines Abends nach Hause und war … irgendwie … völlig verstört. Seit der Zeit war sie … ständig müde und auch, wie soll ich sagen, verschlossen. … Ich habe nicht herausgefunden, was eigentlich los ist. … Sie sagte nur, sie sei überarbeitet und bräuchte bald eine Pause. … … Aber das war sicher nicht alles.“ Es fiel ihm bei den letzten Sätzen immer schwerer zu spre-
chen. Der Mann tat Travniczek einfach unendlich leid.
„Dann will ich jetzt nicht weiter in Sie dringen. Wir müssen uns bald noch einmal sehr ausführlich über Ihre Frau unterhalten. Aber das hat noch etwas Zeit. Vielen Dank für Ihre Bereitschaft, jetzt schon auszusagen. Sie haben mir damit sehr geholfen. Eine Frage noch: Wo wollen Sie jetzt hin?“
„Ich … ich werde nach Hause fahren.“
„Haben Sie da jemanden, der sich um Sie kümmert?“
„Nein.“
„Halten Sie das aus, jetzt allein zu sein?“
„Es muss halt irgendwie gehen.“
„So ganz überzeugt mich das nicht. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich fahre Sie jetzt runter nach Ziegelhausen. Ich kann mich, wenn ich darf, dann gleich etwas in Ihrer Wohnung umsehen. Es ist für mich wichtig, möglichst schnell auch einen Eindruck zu bekommen von der Umgebung, in der Ihre Frau gelebt hat. Und dann können wir sehen, ob Sie es wirklich allein schaffen oder doch Hilfe brauchen.“
Freimuth Wendlandt hatte sich hinten in seinen Wagen gesetzt und Travniczek das Steuer überlassen. Die Fahrt verlief schweigsam bis auf einige kurze Hinweise Wendlandts zur Fahrtroute. Kurz vor acht erreichten sie den Moselgrund 25 a. Als der Hauptkommissar die Autotür zuwarf und auf das Wendlandtsche Anwesen sah, blieb er unwillkürlich voller Bewunderung stehen. Zwischen schlanken, hoch aufragenden Zypressen stand auf einem großen, leicht ansteigenden Grundstück eine Villa, deren großzügige Anlage verriet, wie gefragt Wendlandt als Bildhauer sein musste. Der Bau war zweistöckig mit flachem, grasbewachsenem Dach. In dem nach Westen gerichteten linken Flügel hatte offenbar der Meister sein Atelier, das über beide Stockwerke reichte. Das nach außen leicht aufsteigende Dach ruhte auf sechs schlanken, silberglänzenden Metallstützen. Hinter den reinen Glaswänden sah Travniczek eine größere Zahl verschieden großer Skulpturen. Die wollte er sich auf jeden Fall bald genau ansehen. Der Wohntrakt war gegen Südosten gerichtet und bildete mit dem Atelier einen stumpfen Winkel. Sein ganzes Obergeschoss nahm das sehr große Wohnzimmer ein. Es war nach außen hin nicht durch eigentliche Wände, sondern durch leicht abgedunkelte Glasfronten begrenzt, die einen nahtlosen Übergang zu einer riesigen, um den ganzen Bau führenden Sonnenterrasse zuließen. Im Untergeschoss waren dann die weiteren Wohnund Schlafräume untergebracht.
Dieser Bau strahlt perfekte Harmonie aus, fand der Hauptkommissar, und hat bei aller Großzügigkeit überhaupt nichts Protziges, sondern wirkt wie eine freundliche Einladung zum Wohlfühlen.
Travniczek fragte den Bildhauer: „Haben Sie den Bau selber entworfen? Die Handschrift eines echten Künstlers ist unverkennbar.“
Wendlandt nickte kaum merklich und murmelte vor sich:
„Und jetzt war alles umsonst.“
Er ging voraus und führte den Kommissar über eine breite Treppe ins Obergeschoss. Im Wohnzimmer empfand Travniczek sofort auch die Einrichtung als geschmackvoll, ja wohltuend. Die hellbraunen, zierlichen Rattanmöbel mit fast weißen Stoffbezügen, zwischen denen einige kleine, aber künstlerisch wertvolle italienische Statuetten den Augen Fixpunkte boten, schufen eine Atmosphäre voller Leichtigkeit, die zum Bleiben einlud. Und dass der ganze Raum auf einen gleichfalls hellbraunen Flügel ausgerichtet war, erregte natürlich zusätzlich Interesse und Sympathie des Hobbypianisten Travniczek.
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