Gegenüber von meinem Platz saß ein Typ, der die Aufmerksamkeit der weiblichen Teilnehmer auf sich zog. Er sah offensichtlich super aus und war äußerst redegewandt.
Daneben gab es auch den Kumpeltyp am rechten Ende des gegenüberstehenden Tisches. Er nahm immer wieder Blickkontakt auf, lächelte, und machte ab und zu ein Witzchen.
Ein oder zwei Teilnehmer sagten den ganzen Tag über gar nichts und taten, als wären sie überhaupt nicht anwesend. Der Rest der Gruppe war normal.
Ich wurde müde. Ich wollte nun endlich gehen und Feierabend machen. Wir hatten heute, glaube ich, alle möglichen Arten von Verletzungen behandelt. Dabei wurde beispielsweise darauf eingegangen, was zu tun ist, wenn einem Freund zufällig bei einem Mountainbikeunfall mitten im Gebirge der Finger abgerissen würde. Das wusste ich nun. Nach etlichen Vorführungen und Fragen hatte ich schließlich das Ende des ersten Lehrtages vor Augen. Der Musterschüler des Kurses stellte jedoch noch die Frage, ob er den automatischen Defibrillator noch einmal ausprobieren dürfe, um ganz sicher im Umgang damit zu sein. Mir wollte der Kopf auf die Tischplatte fallen. Ich konnte mich gerade noch davon abhalten.
In diesem Augenblick rettete die Kursleiterin die Gruppe und beschloss, die Schulung für heute zu beenden. Sie antwortete bestimmt und freundlich, sie hätte dies bereits demonstriert und versicherte, dass der automatische Defibrillator so konstruiert sei, dass er für jeden einfach zu bedienen und quasi idiotensicher wäre. Daraufhin wünschte sie uns noch einen angenehmen Rest des Tages und verabschiedete sich bis zum nächsten Morgen.
*
Den ganzen Tag über hatte ich immer wieder versucht, der kurvenreichen Blonden in die hübschen blauen Augen zu sehen und ihr ein Lächeln abzugewinnen. Leider schien sie das nicht sonderlich zu interessieren. Stattdessen hatte sie immer wieder zu diesem Lackaffen hinüber gelächelt, der mir gegenüber saß. Mir war aufgefallen, dass die beiden sich in der Pause schon angeregt unterhalten hatten. Morgen, nahm ich mir vor, würde ich es bei der Brünetten versuchen. Vielleicht hatte sie mehr Interesse für meine Flirtversuche, hoffte ich jedenfalls.
Ich fand meine eigene Erscheinung eigentlich ganz passabel, obwohl mir bewusst war, dass ich schon lange nicht mehr beim Friseur war. Meine dunklen Haare waren schon so lang, dass sie sich bereits in mein Gesicht kräuselten. Außerdem hatte ich es heute nicht mehr geschafft, mich zu rasieren. Aber ich bin recht groß, relativ sportlich und ein eher zurückhaltender Typ. Nun ja, meine Beiträge an diesem Tag waren eher halbwegs amüsant gewesen. Obwohl ich selbst ziemlich über meine Idee gelacht hatte, in einen Schuh zu atmen, wenn man beginnt zu hyperventilieren und gerade keine Tüte dabei hat.
Ich war überzeugt davon, dass Frauen eine Antenne dafür haben, wie man mit ihnen redet. Man müsste genauso quatschen können, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wie dieser Labertyp von gegenüber. Ich dagegen hatte verbal nicht immer etwas an der richtigen Stelle parat, womit ich meine Gesprächspartnerinnen beeindrucken konnte. Dieser Lackaffe jedoch schien das gut drauf zu haben, mit Erfolg, wie man sah.
„Wow, das gleiche habe ich auch gerade gedacht“, sagte er zu der Blonden und war dabei etwas lauter geworden, so dass ich den Gesprächsfetzen mitbekam. So ein Schauspieler, dachte ich genervt.
„Hey, wie heißt du noch mal?“, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als ich von der Seite angesprochen wurde. Ich schaute überrascht auf. Es war der Kumpeltyp, einer der Teilnehmer, den ich heute Morgen schon vor Beginn des Kurses kennengelernt hatte.
Als wir alle noch in der Eingangshalle standen und auf die Kursleiterin warteten, kam er zielstrebig auf mich zugesteuert und verwickelte mich in ein kurzes Gespräch. Er hielt mich nun wahrscheinlich für einen neuen Freund.
„Ich heiße Jan, das habe ich dir doch heute Morgen schon gesagt“, erwähnte ich gleichgültig.
„Ich wollte ja auch nur noch einmal deinen Nachnamen wissen“, hakte er nach. Das hatten wir auch schon, dachte ich.
„Schuster! Jan Schuster!“, ich wunderte mich. Er wiederum nannte mir seinen Namen erst auf mein höfliches Nachfragen hin. Er stellte sich mit Franky vor.
Franky, ich konnte nicht glauben, dass es sein richtiger Name war, aber es interessierte mich auch nicht wirklich.
Er war blond, groß und mir fiel auf, dass er sehr kräftig gebaut war. Irgendwie war er mir unsymphatisch, aber dieser Eindruck drängt sich mir bei recht vielen Menschen auf.
„Wieso fragst du?“, wollte ich wissen.
„Weil ich glaube, dass ich dich irgendwoher kenne“, antwortete er.
„Ja stimmt, wir kennen uns schon seit einer Ewigkeit, und zwar genau seit heute Morgen. Das ist verdammt lange, bei diesem aufregenden Kurs hier!“, kam es aus mir heraus.
„Also ich finde es hochinteressant hier, heute. Außerdem glaube ich, die Blonde da drüben flirtet die ganze Zeit mit mir!“, verkündete Franky stolz.
„Träum weiter, die hat doch nur Augen für diesen Lackaffen neben sich. Warum machst du eigentlich diesen Kurs hier mit?“, fragte ich.
„Einfach so! Ich frische meine Erste-Hilfe-Kenntnisse jedes Jahr auf.“
So einer war das. Der war tatsächlich freiwillig hier. Mir fiel meine Frage wieder ein: Woher kannte der mich?
Ich hatte in letzter Zeit jede Menge Leute in meinem neuen Job kennengelernt, vielleicht kannte er mich daher, oder aber auch von früher aus der Uni? Vielleicht schuldete ich ihm noch Geld? Oder hatte ich mal was mit seiner Schwester? Nein! Bestimmt nicht, wenn die so aussah wie er! Mir kam er jedenfalls überhaupt nicht bekannt vor.
„Da, schon wieder! Sie hat mich eindeutig angeschaut“, flüsterte Franky mir ins Ohr.
„Ja“, hauchte ich zurück, „hinter dir hängt eine große Uhr an der Wand! Da starrt sie die ganze Zeit hin.“
Franky drehte sich um und schaute ein wenig dümmlich auf die Uhr. „Oh“, sagte er, „es ist ja schon so spät? Der Tag ging wirklich schnell um.“
Ich schaute ihn schräg an.
„Jetzt sag doch mal“, fragte ich, „woher glaubst du, mich zu kennen?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete er, „warst du hier auf der Uni? Wir sind doch ungefähr im gleichen Alter.“
„Das könnte sein, ich hab dort ziemlich lange studiert“, antwortete ich. „Und du?“, hakte ich nach.
„Ja, ich war auch kurz auf der Uni und habe Philosophie studiert“, antwortete er.
„Dann kennen wir uns vielleicht von der Uni. Ich habe erst Anfang des Jahres meinen Abschluss gemacht“, sagte ich. „Was machst du denn beruflich?“, fügte ich hinzu.
„Ich gehe nicht arbeiten, dafür habe ich keine Zeit.“
Jetzt schaute ich wohl etwas dumm aus der Wäsche. Ich bemerkte, wie mir der Mund offenstand, als Franky fragte, „Was machst du denn am nächsten Wochenende?“
Einige Kursteilnehmer verfolgten mittlerweile unsere Unterhaltung. Die Gruppe hatte sich noch nicht aufgelöst, die meisten unterhielten sich noch oder packten zusammen. Ich glaubte zu sehen, dass einer der stilleren Kursteilnehmer, neidisch zu uns rüberschaute.
Genaugenommen hatte ich am Wochenende nichts Besonderes vor. Ich hatte zuerst überlegt am Samstag noch in die Firma zu fahren, das aber schnell verworfen. Am Samstag stieg eine kleine Feier bei Kathy, da wollte ich hin. Ich hatte zwar keine Chancen bei ihr, aber Kathy und ich waren gut befreundet und kannten uns schon ewig. Jedenfalls waren ihre Partys immer gut, sie sah gut aus und trug meistens kurze Klamotten. Aber was ging das Franky an, dem würde ich das sicher nicht erzählen.
„Am Wochenende gehe ich immer zu meiner kranken Mutter und helfe ihr hier und da ein wenig“, log ich. Heute war erst Mittwoch, das Wochenende lag noch in unerreichbarer Ferne.
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