Die Elster beschäftigte sich gerade mit einem besonders großen, glänzenden Ei. Sie hatte die Schale aufgepickt und zerrte daran herum. Etwas Braunes kam darunter zum Vorschein, aber dafür interessierte sie sich nicht. Mit aller Kraft riss sie an der glitzernden Schale herum und fetzte schließlich ein großes, dreieckiges Stück davon herunter. Überrascht ließ sie es fallen und beäugte es einen Moment lang misstrauisch, dann hob sie es wieder auf und erhob sich mit einem Satz in die Luft, um die Beute in Sicherheit zu bringen.
Miall keckerte verächtlich, aber so waren die Elstern halt. - Immer auf Raub aus! Besonders wenn etwas blinkte und glitzerte, war ihnen jedes Futter egal; dann mussten sie es unbedingt haben, um es in ihr Nest einzubauen! Miall verachtete so etwas. Sein Nest war auch ohne diesen Schnickschnack schön, und er war froh, dass Ciori so etwas nicht von ihm forderte!
Die Elster war weg und Miall flog auf den Boden, um sich den Schaden genauer anzusehen. Vorsichtig ging er hinter einem Maulwurfshaufen in Deckung und erst als alles ruhig blieb, hüpfte er noch ein Stück weit auf das Nest zu. - Ah, unter der glitzernden Oberfläche war die wirkliche Schale zum Vorschein gekommen! Dunkelbraun und fest schimmerte sie durch das Geflitter und der Geruch, den sie ausströmte, war so süß, dass er Miall fast betäubte.
Miall hielt Abstand, denn da waren noch viele andere Gerüche und keiner davon war angenehm. Das Nest stank fast so schlimm wie ein Rollmüffel, wenn es auch ein ganz anderer Geruch war. Eigentlich hatte Miall das Gelege ja genauer untersuchen wollen, aber es war ihm einfach nicht möglich, näher heranzugehen. Was er sah, reichte aber auch so schon: Ganz viele Eier in den verschiedensten Entwicklungsstadien lagen in dem Nest. Manche waren kleiner als Eicheln und andere größer als Kastanien. Die Krönung war aber das große Ei, das die Elster beschädigt hatte. Erst jetzt, als er direkt davor stand, konnte Miall erkennen, wie groß es wirklich war: Die ganze Brutkugel hätte darin Platz gehabt, es war einfach unglaublich!
„Vorsicht!“ rief Ciori aus der Baumkrone, aber Miall hatte selbst schon gehört, dass viele Wuchtig kamen. Unüberhörbar drangen ihre dumpfen Stimmen durch die klare Morgenluft und ihre Schritte ließen den Boden erbeben. Ein zartes Piepsen drang unter dem Schuppendach hervor und Miall erkannte Langfeders Stimme. Sofort fielen auch Flügelschlag und Blättersitz ein. Die Kleinen waren aufgewacht und hatten Hunger, aber darum konnte er sich jetzt nicht kümmern, denn die Wuchtig stürmten den Obstgarten. Ciori stieß einen schrillen Warnruf aus, und sofort waren die Kleinen ganz still.
Was für ein Durcheinander brach jetzt los! Miall flog auf und zog sich mit Ciori in den hinteren Teil des Gartens zurück. Trotzdem zitterte er vor Aufregung, als die Kleinwuchtig das Tor so heftig aufstießen, dass es an den Zaun krachte. Johlend rannten sie in den Garten und schon hatte eines von ihnen eines der bunten Nester entdeckt. Statt nun aber vorsichtig damit umzugehen, riss es das Gelege achtlos empor und fing sofort an, es zu plündern. Das andere Kleinwuchtig hatte derweil das nächste Versteck gefunden und zerstörte die Brutstelle auf genau dieselbe Art. Beide stopften sich schnell einige kleinere Eier in den Mund und so ging es immer weiter.
Einen Moment lang verspürte Miall den Impuls, die Nester zu verteidigen, aber die Großwuchtig standen ja daneben und konnten alles sehen. Sie schienen sogar damit einverstanden zu sein, dass die ganze Brut geplündert wurde, was sollte man da noch machen? - Wenn die Großwuchtig sich das gefallen ließen, dann war das nicht Mialls Sorge, auf jeden Fall merkte er sich aber, dass auch die Kleinwuchtig Nester ausraubten. Sie waren gefährlich! - Viel gefährlicher als die Großen, und Miall würde sehr darauf achten, dass sie der Brutkugel nicht zu nahe kamen!
Nach langer Zeit wurde das Geschrei leiser und die Bewegungen der Kleinwuchtig wurden langsamer. Die halb geplünderten Nester lieferten sie bei den Großen ab, die sie in denselben Karton zurückstellten, in dem sie gebracht worden waren.
Oh, du großer Sperling, dauerte das lange! Miall wurde vor Angst ganz steif, denn was sollte er tun, wenn nun eines der Kleinwuchtig auf die Idee kam, die Brutkugel zu plündern? Ob sie das Nest wohl riechen konnten? Ob sie sich wohl gleich ein Langes holten, um am Schuppen emporzuklettern? Wie konnte man der Katastrophe begegnen? Mialls Herz raste vor Aufregung und er sah, dass es Ciori nicht besser erging.
Irgendwann, nach viel zu langer Zeit, war der Karton dann endlich wieder voll und alle Wuchtig verließen den Obstgarten, wobei sie sich immer wieder suchend umsahen. Trotzdem war ihnen bei ihrem Raubzug eines der kleineren Nester entgangen, das halb unter dem Reisighaufen verborgen war. Also war für die Altwuchtig doch noch nicht alles verloren und sie würden in diesem Jahr vielleicht Junge haben, wenn die Eier auch elendig klein waren!
Die Stimmen der Wuchtig waren noch nicht verklungen, da stürzte Ciori sich auch schon auf den Komposthaufen und zog im Augenblick einen fetten Wurm daraus hervor. Miall tat es ihr gleich, denn die ganze Zeit hatten sie daran denken müssen, was für einen Hunger die Kleinen hatten und sie versuchten eilig das Versäumte nachzuholen.
Als die Sonne am höchsten stand, mussten sie noch mal unterbrechen, denn das Krallentier schlüpfte durch den Zaun, hockte sich auf einen von der Sonne eingewärmten Stein und begann sich zu putzen.
Ciori wurde wütend und auch Miall machte so viel Lärm, wie er nur konnte; aber so lange sie das Krallentier auch zeternd umkreisten, das alte Räubergesicht ließ sich nicht stören und schon gar nicht vertreiben. Fett und behäbig saß es da, schleckte sich die Pfoten nass und strich damit sein Fell glatt, ein Anblick, so abscheulich, dass Miall es kaum ertragen konnte.
Nervös schaute Miall immer wieder zum Schuppendach hinauf, aber zum Glück waren wenigstens die Kleinen still. Sie würden erst wieder anfangen, mit ihren hellen Stimmen Futter zu fordern, wenn sich vor dem Schlupfloch der Brutkugel etwas bewegte.
„Made, Mehlwurm, Maulwurf!“, schrie Miall von einem niedrigen Zweig aus der Katze zu, weil diese Tiere alle nicht springen können und er das alte Räubergesicht ärgern wollte. Die Katze tat so, als würde sie ihn nicht verstehen und putzte sich ruhig das Gesicht.
„Zerkratz Dir die Nase!“, zeterte Miall. „Los! Krallen raus!“, aber die Katze dachte nicht daran zu gehorchen und fing an, ihr Brustfell zu schlecken.
„Beiß zu und fall um!“, giftete Miall. Die Anwesenheit dieses schleckenden, schmatzenden Räubergesichts im Obstgarten war ihm unerträglich und er schrillte so laut, dass es seinen eigenen Ohren weh tat.
Plötzlich wirbelte ein graubrauner Schatten vom höchsten Baum herab, raste von hinten auf die Katze zu und streifte ihren Kopf fast mit den Flügeln, als er darüber hinwegschoss. Miall blieb fast das Herz stehen, als blitzschnell eine Krallenpfote emporschoss, die Ciori fast noch erwischt hätte. Bleich schimmerten die Waffen der Katze in der Sonne und sie duckte sich auf dem Stein zum Sprung. Endlich hatte das Krallentier seine widerliche Ruhe verloren!
Ciori war längst in das dichte Gezweig eines Busches eingetaucht. „Fürchtenix Katzenschreck!“ rief sie gellend, richtete sich hoch auf und sah sich stolz um.
Miall trippelte unruhig auf seinem Zweig hin und her. Der Schwanz der Katze bewegte sich wie eine haarige Schlange und ihre riesigen Augen fixierten Ciori, die in ihrem Busch aber vor jedem Angriff sicher war.
„Stinkfell!“ schrillte Miall, denn Katzenhaare riechen für Sperlinge abscheulich, und diesmal hatte er Erfolg. Das Krallentier warf ihm einen tückischen Blick zu und wusste einen Moment lang nicht, ob es ihn oder Ciori belauern sollte.
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