„Ha, Flüchtefix!“ Ciori landete mit einem eleganten Flugmanöver neben dem zitternden Miall und machte spöttische Bewegungen mit ihren Schwungfedern.
„Himmelsturz, Krallentier, Flügelbruch!“ schimpfte Miall. „Rollmüffel töten !“ Er hatte mal gesehen, wie eine Taube solch einem brüllenden Ungeheuer in den Weg gekommen war. „Federwolke, Erde liegen!“ versuchte er Ciori klar zu machen, was er gesehen hatte. „Krähenfutter!“
Ciori war bei Mialls Worten erschreckt zurückgewichen und da tat ihm sein Ausbruch schon wieder Leid. Mit einem kleinen Hopser war er bei ihr und schob sich so nah an sie heran, dass ihre Flügelspitzen sich berührten. Da spürte sie, dass er nicht wirklich verärgert war und dass er es nicht böse gemeint hatte. Gemeinsam flogen sie auf und strebten dem Nest zu, denn es wurde dunkel. Später, als sie alle gemütlich in der Brutkugel vor sich hin dösten, fiel Miall etwas ein, aber er sagte nichts, um die Kleinen nicht unnötig zu stören: Die Kleinwuchtig waren immer noch in dem steinernen Nest auf der anderen Straßenseite. - Das Rollmüffel hatte sie nicht mitgenommen und wenn sie morgen noch da waren, würde es ein unruhiger Tag werden!
Der nächste Morgen brachte Für Ciori und Miall eine ganze Reihe von Überraschungen. Noch bevor der erste Sonnenstrahl die Kronen der Obstbäume erreichte, waren sie schon unterwegs und stärkten sich für den herannahenden Tag. Solange Flügelschlag, Langfeder und Blättersitz noch schliefen, stöberten sie eilig unter Laub und im Gras, um sich selbst auch ein wenig Fettfutter zu gönnen. Schnell genug würden die Kleinen erwachen, und dann hieß es wieder, die leckersten Sachen abzuliefern.
Heute hatten sie kaum begonnen, im ersten Morgenlicht nach Futter zu suchen, da wurde es im Haus unruhig und bald darauf kam das Altwuchtig mit dem schütteren Pelz auf dem Kopf über die Straße. Es balancierte einen flachen Pappkarton, der mit den merkwürdigsten Dingen gefüllt war, die Miall je gesehen hatte. Es waren kreisrunde Nester, wie sie vielleicht eine Ente bauen würde, aber viel zu auffällig. Das seltsam kräuselige Gras, aus dem sie gemacht waren, war so grün, dass es den Augen weh tat und die Eier darin waren so schrill bunt, dass Miall auf seinem Ast verwundert kiekste. Das Wuchtig wollte offenbar brüten - aber doch hoffentlich nicht hier im Obstgarten!
Das Gartentor quietschte und das Altwuchtig schob sich ungeschickt hindurch. Fast wäre ihm dabei der Karton heruntergefallen. Vor lauter Schreck hüpfte Miall einen Ast weiter nach oben.
Das Wuchtig stellte den Karton auf dem Hauklotz vor dem Schuppen ab und sah sich um. Miall sah Ciori, die auf einem Ast über ihm saß, vielsagend an. Na, das würde schwer werden, für diese grellbunten Entennester, deren aufdringlicher Geruch selbst hier oben zu spüren war, ein geeignetes Versteck zu finden!
Ciori war ganz Mialls Meinung. „Bodenbrüter, Feindanlocker!“ schilpte sie verächtlich und machte eine spöttische Bewegung mit den Flügelspitzen, aber das Wuchtig reagierte in keiner Weise - es sah noch nicht einmal auf. Es schien zu überlegen, was es jetzt tun sollte. Unschlüssig stand es herum und jetzt wunderte sich Miall überhaupt nicht mehr, warum die Wuchtig so wenig Junge hatten. Der Morgen war noch kalt und die Gelege standen völlig ungeschützt auf dem Hauklotz. Begriff dieses Wuchtig denn überhaupt nicht, dass sie auskühlen würden? Die ganze Brut würde verderben, wenn es sich nicht schleunigst auf die Nester hockte, das war sicher!
Das Wuchtig dachte überhaupt nicht daran, die Gelege zu wärmen. Grunzend kratzte es sich am Kopf und nahm dann eines der Nester auf, um es im hohen Gras dicht bei einem Apfelbaum zu verstecken; aber wie dumm stellte es sich auch dabei nun wieder an: Statt es ordentlich zu verbergen, stellte es das Nest einfach ab und zupfte obendrein noch an dem Gras herum, bis so gut wie keine Deckung mehr da war. - Von einer vernünftigen Tarnung konnte hier nicht die Rede sein; baute das Wuchtig vielleich darauf, dass die schrillen Farben Nesträuber abschrecken würden? - Wenn es sich da nur nicht täuschte!
Das Altwuchtig stellte nun ein Nest nach dem anderen auf, aber es ging so tölpelhaft dabei vor, dass es Miall grauste! Ciori klammerte sich krampfhaft an den Ast auf dem sie saß und schüttelte sich vor Vergnügen. „Maulwurf! Oh, dummer Maulwurf!“ sang sie immer wieder und ihre Stimme zitterte dabei vor Belustigung, denn für Spatzen sind Maulwürfe die dümmsten Tiere, weil sie immer unter der Erde leben und den Wind und die Sonne scheuen.
Miall konnte seiner Frau nur Recht geben. - Kein Wunder, dass das maulwurfsblöde Altwuchtig allein hier im Obstgarten war. Kein, aber auch wirklich kein Weibchen konnte so dumm sein, sich um diese jämmerlichen Machwerke zu kümmern, die Nester darstellen sollten! Wie sollte man denn wohl brüten, wenn die Nester über den ganzen Garten verstreut waren? Es ging Miall ja eigentlich nichts an, aber er fand es direkt beschämend, wie dumm dieses Männchen sich anstellte.
Endlich war die unwürdige Vorstellung beendet und Miall war gespannt, auf welches der Nester das Wuchtig sich setzten würde, aber nichts dergleichen geschah. Es stellte sich nur stolz in die Mitte des Gartens und sah sich um, ganz, als habe es eine großartige Leistung vollbracht. Dann wandte es sich dem Gartentor zu, überquerte mit seinen plumpen, wuchtigen Schritten die Straße und war kurz darauf im Haus verschwunden.
„Oh Maulwurf! Oh, dummer Maulwurf!“ Ciori konnte sich überhaupt nicht beruhigen und auch Miall spürte ein Gefühl in sich, das irgendwo zwischen Verärgerung und Belustigung lag. Er vergewisserte sich kurz, dass niemand sonst im Garten war und schwang sich von seinem Ast herab, um eines der Nester näher in Augenschein zu nehmen. Da kam aber schon eine Elster herangerauscht und landete dicht vor dem Nest, in dem das größte und glänzendste Ei lag.
Mit Elstern war nicht zu spaßen! Eilig drehte Miall ab und landete mit ein paar Flügelschlägen wieder auf seinem alten Platz im Baum. Eine Elster! Ein Nesträuber! Sofort verdrängte die Sorge um die Brut alle anderen Gefühle und eine heiße Welle der Wut tobte durch Mialls Körper. Sollte die Elster es wagen, dem Schuppen und der Brutkugel zu nahe zu kommen, dann würde sie sich, Krallentier nochmal, gewaltigen Ärger einhandeln!
Ciori hatte von ihrem Platz aus alles verfolgt und machte nun ein paar ruckende Bewegungen, als wolle sie zum Nest fliegen, um die Jungen zu beschützen. Das verbot sich aber von selbst. Noch wußte die Elster nicht, dass es unter dem Schuppendach eine Brutkugel gab und es wäre der allergrößte Fehler gewesen, sie darauf aufmerksam zu machen! Ablenkung war die einzige Chance, die Ciori und Miall hatten, wenn sie noch näher herankam. Dann würden sie die Elster zu zweit so lange zeternd ganz dicht umkreisen müssen, bis sie aufgab und abzog! - Ein gefährliches Spiel, denn Elstern waren viel stärker als Spatzen und trotz ihrer Größe enorm wendig. Außerdem waren sie allesamt zänkisch und deshalb erfahrene Kämpfer, die ihre scharfen Schnäbel gut zu gebrauchen wussten!
Zum Glück war diese Elster im Moment nicht darauf aus, Spatzenküken zu verschlingen. Sie interessierte sich viel mehr für das große, bunt schillernde Nest am Apfelbaumstamm. Zuerst beäugte sie es nur aus der Entfernung, aber als sich nichts rührte, war sie mit ein paar schnellen Schritten heran, zerrte etwas von dem Gras aus dem Nest und brachte sich eilig wieder in Sicherheit. Der nächste Angriff wurde schon mutiger ausgeführt und als es klar war, dass das Nest völlig ohne Schutz war, sprang die Elster mitten hinein und machte sich an dem bunten Glitzerkram zu schaffen.
Auch wenn es nicht seine Nester waren, so fand Miall es doch schrecklich, mit ansehen zu müssen, wie die Elster über das Gelege herfiel. Es war doch bekannt, dass Elstern Nester ausraubten; warum passte das Wuchtig bloß nicht besser darauf auf?
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