Ciori saß etwas abseits und Miall sah am Zittern ihrer Schwungfedern, dass sie fluchtbereit war. Er spreizte langsam die Flügel und zog sie dann wieder eng an den Körper. Sie sollte sehen, dass er sich nicht fürchtete, und er wollte ihr etwas von seiner Ruhe vermitteln.
Die Wuchtig lärmten noch ein wenig herum, umschlangen einander und schließlich gingen alle ins Haus.
Ciori entspannte sich ein wenig und auch Miall richtete sich aus der geduckten Haltung auf.
„Atzung!“ vermutete Miall mit einem Seitenblick auf Ciori, denn er hatte schon herausbekommen, dass die Kleinwuchtig nicht wie Spatzenküken in ihrem eigenen Nest blieben, und auf Nahrung warteten, sondern dass sie gern andere Nester aufsuchten um dort die Vorräte zu plündern.
„Angst vorbei?“ Miall legte fragend den Kopf schräg.
Ciori blieb sitzen und knabberte verlegen an einer vertrockneten Knospe herum. Miall beschloss, das Thema fallenzulassen. Sie war manchmal unleidlich, wenn sie sich gefürchtet hatte.
Kaum hatte Miall den Gedanken zu Ende gebracht, da flog Ciori auch schon auf und raste auf eine Amsel zu, die in aller Unschuld auf der anderen Seite des Zauns im Gras stöberte. Sie landete knapp vor dem viel größeren Vogel und machte mit halb ausgebreiteten Flügeln zeternd noch ein paar wilde Sätze, sodass die erschreckte Amsel hastig aufflog und machte, dass sie davonkam.
„Futterdieb!“ stellte Ciori fest, als sie zurückkam. „Sturm gekommen, weggeweht!“ fügte sie zufrieden hinzu und kiekste vergnügt, als Miall sie „Fürchtenix“ nannte. Unverzüglich fing sie an, die halb verfaulten Blätter unter dem Reisig umzuwenden und auch Miall machte, dass er wieder an die Futtersuche kam, denn schließlich hatten die Kleinen immer Hunger.
Ciori und Miall hatten für nur drei Junge zu sorgen, was Ciori ein bisschen wenig fand, aber Miall war es ganz recht so. Flügelschlag, Langfeder und Blättersitz konnten ihre Eltern nämlich auch zu dritt ständig in Atem halten. Sie waren zwar erst drei Sonnen alt und winzig klein, aber sie bestanden fast nur aus weit aufgerissenen Schnäbeln, die ständig gestopft sein wollten. Kaum hatte die stolze Ciori ihnen ihre Nestnamen gegeben, da forderten sie schon Futter und ihre feinen Stimmen klangen so jämmerlich, dass man gar nicht anders konnte, als eilig etwas Nahrhaftes heranzuschaffen. Kaum waren aber der fette Falter, das würzige Würmchen oder der knusprige Käfer verschlungen, da ging es schon wieder los. „Gib, gib, gib!“ piepsten die Kleinen in einem fort und die Eltern gaben den ganzen Tag lang, was sie nur konnten.
Das Einzige, was Ciori und Miall für eine Weile von ihren Pflichten entband, war die Nacht. Wenn es dunkelte, beruhigten sich die Kleinen, kuschelten sich aneinander und schliefen. Dann endlich hatten die Eltern Zeit, ein wenig für sich selbst zu sorgen, bevor die Finsternis sich über den Obstgarten legte. Auch dabei mussten sie sich beeilen, denn wenn es kühl wurde, froren die Kleinen schnell. Die paar Federstoppelchen, die sie hatten, konnten die Körperwärme noch nicht halten und so deckte Ciori schon bald ihren Flaum über Flügelschlag, Langfeder und Blättersitz, die die wohlige Wärme dankbar genossen und sich bis zum frühen Morgen nicht mehr rührten.
Als letzter war dann Miall noch in der Dämmerung unterwegs, der, nachdem er selbst gefressen hatte, auch den einen oder anderen Käfer zu Ciori brachte, bevor die Dunkelheit ihn zwang, aufzuhören und sich mit in das Nest zu kuscheln. Es war anstrengend, aber es war auch schön, sich um die Kleinen zu kümmern. Man konnte förmlich dabei zusehen, wie sie gediehen und je unverschämter sie forderten, umso stolzer waren die Eltern.
Eine Zeit lang blieb es ruhig im Haus und die Futtersuche ging ungestört weiter. Miall hatte ganz dicht bei der Straße ein Stück lockerer Erde entdeckt und scharrte eifrig darin herum. Ein paar alte Grassamen kamen zum Vorschein und er pickte die, die noch nicht verdorben waren, vorsichtig heraus. Das war noch nichts für die Kleinen, die brauchten weiches Futter mit viel Fett, damit sie schnell wuchsen!
Plötzlich kamen die beiden Kleinwuchtig um das steinerne Nest herumgelaufen. Sie mussten es auf der anderen Seite, da, wo der kleine Teich und die vielen Blumen waren, verlassen haben. Ärgerlich über die Störung schwirrte Miall ein Stück weit in den Obstgarten hinein, wo Ciori gerade das Mistbeet untersuchte.
Laut waren sie, diese Kleinwuchtig! Ihre Stimmen taten den Ohren fast noch mehr weh, als das dumpfe Gebrummel der Älteren. Außerdem waren sie schnell. - Zu schnell für Mialls Geschmack. Sie rannten hin und her und man wusste nie, was sie im nächsten Moment tun würden. Miall überzeugte sich nochmals davon, dass Ciori im hinteren Teil des Obstgartens in Sicherheit war, stieg dann auf und setzte sich auf einen Ast, der bis an die Straße heranreichte.
Die Kleinwuchtig zogen dem Krallentier ein altes Hundehalsband an, so sehr es sich auch wehrte, und versuchten, mit ihm spazieren zu gehen. Miall hielt einen Augenblick lang inne und sah sich das Schauspiel schaudernd an. Er konnte das alte Räubergesicht zwar nicht leiden, aber trotzdem bekam er bei dem Anblick Herzklopfen. Ein Halsband, wie schrecklich! - Aber da konnte man mal sehen, was es brachte, wenn man sich mit den Wuchtig einließ! Die Katze schien im Moment derselben Meinung zu sein, sie maunzte jämmerlich und schon kam ein Großwuchtig aus dem Haus und machte eine Menge dumpfer Töne. Die Kleinwuchtig versuchten, auch etwas zu sagen, aber das ging ganz in dem Gedonner unter und schon war das Krallentier wieder frei. Hastig sprang es auf die Fensterbank, schlug mit dem Schwanz, legte die Ohren zurück und hob eine Pfote. Jeder der Krallentiere kannte, konnte sehen, dass es schlechte Laune hatte.
„Rumtreiber, Baumhocker, Luftgucker!“ gellte es aus dem Ginsterbusch vor dem Schuppen und sofort machte Miall sich schuldbewusst wieder an die Futtersuche. Ciori hatte ja Recht, man durfte die Kleinen nicht vernachlässigen. Trotzdem konnte er es sich nicht verkneifen, leise „Krallentier!“ zu rufen, als er den Kopf tief in die Blätter gewühlt hatte.
Ciori machte einen Luftsprung und raste „Wo, wo, wo?“ zeternd in den höchsten Wipfel.
„Wiewas?“ Miall reckte sich und sah sie fragend an.
„Einer ruft Krallentier !“ Ciori spähte misstrauisch durch die Zweige. „Komm schnell rauf!“
„Keine Zeit!“ Miall nahm geschickt einen fetten Käfer in den Schnabel. „Kinder warten - Baumhocker, Flüchtefix!“ Eilig flog er zur Brutkugel und gab Langfeder das Futter, weil der den Schnabel am weitesten aufriss. Sofort war auch Ciori da und brachte eine kleine Made aus dem Mistbeet die Blättersitz erhielt. Sie sah ein bisschen ärgerlich und zugleich verlegen aus. Flüchtefix ließ sie sich nämlich überhaupt nicht gerne nennen, und Miall nahm sich vor, keine blöden Späße mehr mit ihr zu machen. Schon ihr Nestname war Schrecklein gewesen, und sie hatte ihr ängstliches Verhalten nie ganz ablegen können. Sie kämpfte aber tapfer dagegen an und manchmal, wenn sie in Wut geriet, wurde sie so mutig, dass es Miall ganz flau im Magen wurde. Nur gut, dass sie hier auf dem Land lebten, und nicht mitten in der Stadt, denn dort herrschten noch ganz andere Sitten als hier und die Aufregungen nahmen kein Ende.
Die Kleinwuchtig blieben für den Rest des Tages hinter dem Haus und niemand kam über die Straße in den Obstgarten. Ciori und Miall fanden viel gutes Futter und als die Sonne sich dem Horizont näherte, waren die Kleinen so vollgefuttert, dass sie endlich Ruhe gaben und einschliefen.
Auf der anderen Seite der Straße wurde es laut. Miall und Ciori nahmen sich ein wenig Zeit, zu beobachten, was dort vor sich ging. Ein Großwuchtig war in das Rollmüffel geklettert, das nun einen furchtbaren Lärm und schlechten Geruch machte. Miall dachte daran, sich zurückzuziehen, aber die Neugier hielt ihn an seinem Platz und auch Ciori hielt stand. Die Kleinwuchtig wedelten in der Luft herum. Miall und Ciori waren fluchtbereit. Das Rollmüffel wurde immer lauter. Es brüllte mit heiserer Stimme, rollte los und stieß urplötzlich einen wilden Kampfschrei aus. - Ohne zu überlegen schwang Miall sich in die Luft und jagte davon, bis er sich am Ende des Obstgartens mit jagendem Herzen hinter einer flachen Mauer verbergen konnte. Hierher würde das Rollmüffel ihm nicht folgen, denn es jagte immer nur auf den breiten Steinstreifen, die die Wuchtig überall bauten.
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