„Jetzt lass uns erst einmal etwas frühstücken gehen. Dann bringen wir die Tiere raus und dann kannst du anfangen.“
Mittlerweile war Henry auch schon aufgestanden und er lächelte uns über seine Kaffeetasse hinweg an, als wir die Küche betraten. „Na, hast du Gru kennengelernt?“, fragte er mich. „Jepp“, gab ich als Antwort zurück. „Die meiste Zeit ist er echt lieb, aber manchmal ist er auch ein richtiger Dickkopf. Typisch Esel eben.“
„Was wollt ihr essen?“, unterbrach Margret uns.
„Was esst ihr denn immer zum Frühstück?“, fragte ich zurück.
„Es gibt Toast und Cornflakes. Und wir haben Marmelade und Käse und das alles.“
Ich entschied mich für Cornflakes, genau wie Henry.
„Was machst du eigentlich dann den ganzen Tag auf dem Feld?“, fragte ich ihn zwischen zwei Löffeln Cornflakes.
„Momentan ernten wir die ersten Kartoffeln, das geht noch bis in den Oktober. Und der Weizen muss auch noch geerntet werden.“
„Oha, da habt ihr ja richtig viel zu tun“, meinte ich.
„Ja, momentan kann man sich echt nicht über zu wenig Arbeit beklagen.“
„Warum soll ich dann nicht auf dem Feld helfen?“, fragte ich Margret.
„Ich brauche dich hier. Auf dem Hof gibt es auch immer viel zu tun. Und das mit dem Schuppen dürfte nicht deine ganze Zeit in Anspruch nehmen.“
„So, an die Arbeit!“, sagte Henry, nahm den letzten Schluck Kaffee und machte sich auf. „Wir sehen uns heute Abend.“
„Kommt er denn gar nicht zum Mittagessen?“, fragte ich, sobald Henry aus der Tür raus war.
„Wir essen nur abends zusammen. Mittags isst jeder nur einen kleinen Snack.“
Nachdem ich mit dem Frühstück fertig war, brachten Margret und ich Gru und die Ziegen auf die Wiese. Wie Henry prophezeit hatte, hatte Gru anscheinend an diesem Morgen eine störrische Phase und Margret konnte ihn nur durch gutes Zureden und viel Geduld aus dem Stall locken. Ich musste nur ein wenig aufpassen, dass die Ziegen zusammenblieben und sich nicht schon auf dem Weg zur Weide weitere Snackpausen gönnten.
„Das hätten wir geschafft“, sagte Margret, als sie endlich das Gatter schließen konnte. Ich beobachtete die Tiere noch kurz, wie sie zufrieden den Kopf am Boden hielten. Dann machte ich mich an meine Tagesarbeit. Margret hatte mir zuvor noch ein Paar Handschuhe gegeben. „Hier, die wirst du wohl brauchen“, hatte sie gesagt. Es war zwar erst kurz vor neun, allerdings spürte ich schon langsam die Sonne. Wieder so ein Vorurteil, dass es in Kanada immer kalt war, hatte sich als falsch erwiesen. Ich begann zuerst damit, alles was ich erreichen konnte, auszuräumen und neben die Scheune zu schaffen. Dazu gehörten Werkzeuge, aber auch viele einzelne Bretter, alte Fahrräder und Schubkarren. Letztere fanden sich vor allem im hinteren Teil des Schuppens. Beim Aufräumen merkte ich auch, wie viel Stauraum dieser eigentlich bot.
Ich war immer noch nicht ganz fertig, als Margret mich daran erinnerte, dass es Zeit war, etwas zu essen. Ich hatte mich so auf meine Aufgabe konzentriert, dass ich die Zeit ganz vergessen hatte, nur merkte ich langsam, wie die Sonne immer höher gestiegen war und jetzt vom Himmel brannte.
Ich betrat das Haupthaus und machte mir in der Küche ein Sandwich. „Ist es bei euch im Sommer eigentlich immer so heiß?“, fragte ich.
„Die Sommer sind schon recht warm, aber dieser ist echt eine Ausnahme“, sagte James. „Wie kommst du voran? Brauchst du Hilfe? Es tut mir echt leid um den Zustand des Schuppens. Das ist so eine doofe Angewohnheit geworden, einfach alles dort reinzustellen. So nach dem Motto: Aus dem Auge aus dem Sinn.“ Ich musste ein wenig lächeln. Ja, das kannte ich durchaus.
„Es geht schon“, sagte ich. James musste auch ein wenig lächeln. „Ja, ich glaube, keiner räumt gerne auf. Wir freuen uns hier über jede Hilfe, denn wir selbst können das nicht mehr machen. So kleine handwerkliche Sachen gehen noch, aber so ein komplettes Aufräumen leider nicht mehr.“ Ich nickte verständnisvoll.
Nach der Pause machte sich James auf, um zu schauen, wie Henry auf den Feldern vorankam und ich machte mich weiter – wieder hochmotiviert – an die Arbeit. Doch diese Motivation hielt nicht lange an und schon bald hatte ich keine Lust mehr, mich durch dieses Gerümpel zu kämpfen und alles zu sortieren.
„Hey, das sieht ja schon super aus“, lobte mich Margret. Ich habe diesen Schuppen schon lange nicht mehr leer gesehen. Ich lächelte ihr dankbar zu. „Die Räder könntet ihr vielleicht noch verwenden, man müsste vielleicht nur die Reifen reparieren“, bemerkte sie.
„Ja, das ist keine schlechte Idee.“
„Du musst heute nicht fertig werden, das reicht auch noch morgen oder übermorgen. Wenn du vielleicht noch die Ställe saubermachen und bei den Hühnern vorbeischauen könntest, dann hast du dir den Feierabend verdient.“
Ich freute mich innerlich. So machte das Arbeiten doch wieder Spaß!
Das Ausmisten der Ställe ging dann doch recht flott und ich freute mich über meinen Feierabend am frühen Nachmittag.
„So läuft das übrigens bei uns immer“, klärte Margret mich auf. „Wir lassen unsere Wwofer nie den ganzen Tag arbeiten, sondern immer nur von morgens bis in den frühen Nachmittag. Ihr sollt ja auch noch ein bisschen Freizeit haben.“
„Aber was ist mit Henry?“, fragte ich. „Er arbeitet doch den ganzen Tag draußen“, fragte ich. „Ja, das stimmt. Allerdings haben wir mit ihm ausgemacht, dass er Urlaub bekommt, sobald die Erntesaison vorbei ist. Und er war einverstanden. Momentan ist hier Hochsaison und zum Glück bekommen wir bald von Hilfe von Julius.“
„Julius?“, fragte ich, weil er Name trotz der englischen Aussprache doch sehr Deutsch klang.
„Ja. Er kommt auch aus Deutschland. Ein Landsmann von dir also“, sagte sie mit einem Lächeln. Da ich den Rest des Tages frei hatte, wusste ich noch nicht, was ich mit meiner freien Zeit anfangen sollte, doch James erklärte sich bereit, zu schauen, ob er auf die Schnelle ein Fahrrad fahrbereit machen könnte.
Ich wusste zwar nicht, woher, aber offensichtlich hatte er noch einen Schlauch und einen Mantel in petto und konnte eines der Räder neu bereifen. Dann machte ich mich auf, um ein wenig die Gegend zu erkunden.
Durch die Abgelegenheit konnte ich nahezu ungestört durch die Landschaft fahren. Nur hin und wieder kam mir ein Jeep von den anderen Farmen aus dem näheren Umkreis entgegen. Ich hielt an, als ich an einer Pferdekoppel vorbeikam. Pferde hatten mich schon fasziniert seit ich klein war und ich hatte sogar mehrere Jahre Reiterfahrung. Bei diesem Anblick der Tiere kam ein wenig Sehnsucht in mir auf. Auf der Koppel standen zwei Schimmel, ein Fuchs und ein Rappe – wirklich schöne Tiere. Ich suchte mir eine Stelle abseits der Straße, legte mein Rad ins Gras, setzte mich daneben und verbrachte die Zeit damit, diese Tiere zu betrachten. Das Ganze hatte für mich fast schon etwas Meditatives.
„ Hello? Everythings‘s alright? Are you okay“, hörte ich auf einmal eine Stimme über mir und ich schreckte hoch.
„ Yes, everything is fine. What‘s going on?“ , fragte ich verwundert.
„Sie lagen da so im Gras und haben sich nicht bewegt“, sagte die Stimme auf Englisch und erst jetzt merkte ich, dass sie einem jungen Mann gehörte. Ich setzte mich auf.
„Oh, Entschuldigung. Ich muss wohl eingeschlafen sein“, erklärte ich und irgendwie war mir die Situation leicht peinlich. Jetzt lachte der junge Mann.
„Okay, dann ist ja alles gut“, sagte er. „Ich bin übrigens Andrew. Aber alle nennen mich Andy.“
„Annie“, stellte ich mich vor. „Freut mich, Sie kennenzulernen.“
„Die Freude ist ganz meinerseits“, antwortete Andy. „Sind Sie neu hier? Ich habe Sie vorher noch nie gesehen.“
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