"Scheusal!", erklärte die Malerin. Ihre Augen strahlten.
"Da habe ich all die Wochen wie eine Verrückte gearbeitet, um die Bilder bis zur Ausstellung fertigzustellen, und nun liege ich hier und muss mich in Geduld üben." Sie seufzte auf. "Es ist wirklich zum Verrücktwerden."
"Vielleicht ist es möglich, die Ausstellung zu verschieben", überlegte Robert laut. "Soll ich mit dem Besitzer der Galerie sprechen? Soviel ich weiß, ist Mister Kessler ein sehr umgänglicher Mensch."
Seine Freundin schüttelte den Kopf. "Nein, lass nur, ich werde es schon schaffen", meinte sie.
"Darling, du darfst dich nicht übernehmen." Robert strich ihr durch die langen, blonden Locken. "Kommt es wirklich auf ein paar Wochen an? Ist deine Gesundheit nicht viel wichtiger, als alles andere?" Er sah ihr in die Augen. "Bitte denk darüber nach, Rebecca."
"Ich werde darüber nachdenken", versprach sie und schmiegte sich an ihn. "Ich werde Arthur Kessler morgen anrufen", fügte sie hinzu. "Und was macht deine Arbeit? Kommst du voran?"
"In den letzten Tagen nicht besonders gut", gab Robert zu. Außer der Melodie, die er für Rebecca komponierte, arbeitete er zusammen mit Paul Jones an einem eigenen Musical.
"Das tut mir leid", bemerkte sie.
"Da kann man nichts machen." Er küsste sie auf die Stirn. "Nachdem es jetzt mit dir wieder aufwärtsgeht, werde ich auch mit meiner Arbeit vorankommen."
"Hast du einen Stift?"
"Ja." Er nahm einen Drehbleistift aus seiner Jackettasche und reichte ihn ihr.
Rebecca griff nach dem Papierdeckchen, das auf ihrem Esstablett gelegen hatte. "Sitz still", befahl sie. "Dein Gesicht ist es wert, der Nachwelt erhalten zu bleiben." Sie blinzelte ihm zu.
"Dir scheint es wirklich wieder ausgezeichnet zu gehen", bemerkte Robert überrascht.
Rebecca begann, ihren Freund mit wenigen Strichen zu skizzieren. Noch während sie arbeitete, schien der Stift ein Eigenleben zu entwickeln. Plötzlich war es nicht mehr Robert, den sie zeichnete, sondern ein kleines, brennendes Flugzeug. Die junge Frau wollte bestürzt ihre Arbeit unterbrechen. Sie konnte es nicht. Wie ein Schraubstock hielt ihre Hand den Stift umklammert.
"Rebecca!" Robert sprang auf. "Darling, was ist?" Er sah die Angst in ihrem Gesicht, sah, was sie zeichnete.
Die junge Malerin gab ihm keine Antwort. Auf die brennende Tragfläche des Flugzeugs schrieb sie 'Anne-Louise". Erst dann ließ sie den Stift sinken. Verstört sah sie ihren Freund an. "Ich begreife das nicht", sagte sie kaum hörbar. "Was ist nur mit mir los. Ich ..." Fröstelnd zog sie die Schultern zusammen. "Ich habe so etwas noch nie erlebt. Es war, als hätte ich den Befehl erhalten, dieses Flugzeug zu zeichnen. Und während ich es zeichnete, sah ich es abstürzen."
"Es ist alles in Ordnung", versicherte Robert, wenngleich er an den Untergang der Felicitas denken musste, den Rebecca vorausgesehen hatte. Er konnte nur hoffen, dass ihre Zeichnung keinen Bezug zur Wirklichkeit hatte.
Liebevoll nahm er ihr Stift und Papier fort, dann zog er sie in die Arme. "Du bist immer noch krank", sagte er und hauchte ihr einen zärtlichen Kuss auf den Haaransatz. "Wenn Doktor Stone erfährt, dass du bereits wieder arbeitest, wird er mir dafür die Ohren lang ziehen."
"Lange Ohren würden dir nicht besonders gut stehen." Rebecca legte sich zurück. Ihr war schwindlig. Sie sah ein, dass sie sich übernommen hatte. "Ich glaube, ich sollte jetzt etwas schlafen", meinte sie matt und schloss erschöpft die Augen.
"Sehr vernünftig, Darling." Robert Hale stand auf. Die Skizze des brennenden Flugzeuges faltete er zusammen und steckte sie in seine Jackettasche. Er küsste seine Freundin ein letztes Mal, dann verließ er auf Zehenspitzen ihr Zimmer. Leise fiel die Tür hinter ihm zu.
Einige Tage später kehrte Rebecca nach Hause zurück. Robert Hale trug ihren Koffer die Treppe hinauf. "Ich habe bereits den Lunch vorbereitet", sagte er, als sie die Wohnungstür aufschloss. "Am besten, du legst dich nach dem Essen etwas hin. Ich werde mich um alles kümmern. Wenn du willst, bleibe ich ein paar Tage bei dir."
Die junge Frau drehte sich ihm zu. "Lieb von dir, Robert, aber es ist wirklich nicht nötig", erwiderte sie. "Ich fühle mich ausgezeichnet. Ich kann es kaum noch erwarten, wieder mit meiner Arbeit zu beginnen." Sie zog sich die Jacke aus und streckte sich. "Alles in mir schreit geradezu nach Pinsel und Palette."
"Denk daran, was Doktor Stone gesagt hat", bemerkte ihr Freund. Er stellte den Koffer im Korridor ab und griff nach ihrer Jacke, um sie aufzuhängen.
"Robert, bitte lass mir meinen Willen." Rebecca legte die Arme um seinen Nacken. "Du weißt, dass ich es nicht ertragen kann, wenn andere versuchen, über mein Leben zu bestimmen." So dankbar sie ihrem Freund für seine Fürsorge war, sie befürchtete, ihre Freiheit zu verlieren. Robert neigte zum Übertreiben.
"Schon gut." Er drückte sie an sich. "Ich werde mich dann mal um unseren Lunch kümmern." Liebevoll küsste er sie auf die Nasenspitze. "Oder hast du etwas dagegen?"
"Durchaus nicht." Rebecca ließ die Arme sinken. Sie wandte sich dem Atelier zu, das sie sich im hinteren Teil der Wohnung eingerichtet hatte. Tief atmete sie den vertrauten Geruch nach Leinwand und Farben ein. Wie in Trance betrachtete sie die Bilder, die entlang der Wände standen. Sie versuchte, sie mit den Augen eines Fremden zu sehen. Auch wenn ihre Arbeit während der letzten beiden Jahre immer wieder von Kritikern gelobt worden war, ein Rest Unsicherheit blieb. Oft hatte sie das Gefühl, nicht alles zu geben, was sie geben konnte.
Wenig später saßen sie auf dem Balkon beim Lunch. Robert hatte den Tisch sorgfältig gedeckt. Sogar an einen Strauß blassgelber Rosen hatte er gedacht.
Andere Frauen würden mich um so einen Mann beneiden, dachte Rebecca. Auch wenn sie sich undankbar vorkam, sie wollte nicht, dass Robert während der nächsten Tage bei ihr blieb. So gern sie ihn um sich hatte, wenn sie arbeitete, war sie am liebsten alleine.
Und wann arbeitest du mal nicht, fragte sie sich und seufzte unwillkürlich auf.
"Fühlst du dich nicht wohl?", fragte Robert erschrocken. Besorgt schaute er sie an. "Hast du Kopfschmerzen?" Er sprang auf. "Ich hole dir eine Tablette."
"Robert, bitte behandle mich nicht wie eine Invalide", bat Rebecca. Sie lachte, obwohl ihr eigentlich nicht nach Lachen zumute war. "Mit mir ist alles in Ordnung." Sie nahm sich von der Hühnerbrust. "Hat dir Paul den Rest der Texte gebracht?", fragte sie, um ihn von sich abzulenken.
"Nein, ich bekomme sie erst in einigen Tagen", erwiderte der junge Komponist. "Paul musste während der vergangenen Woche ständig Überstunden machen. Er ist einfach nicht dazu gekommen, die Texte zu vervollständigen." Er schenkte für Rebecca und sich Tee nach. "Das ist auch nicht weiter schlimm." Diesmal war er es, der aufseufzte. "Das Musical muss einfach ein Erfolg werden", fügte er hinzu. "Paul und ich haben soviel Arbeit hineingesteckt." Er hob die Schultern. "Nun, es hilft nichts, sich etwas vorzumachen. Es wird nicht leicht sein, einen Produzenten zu finden. Immerhin bin ich noch relativ unbekannt."
"Es wird euch gelingen, da bin ich mir ganz sicher." Rebecca lächelte ihm ermutigend zu und umfasste seine Hand. "Ich finde deine Musik wundervoll."
"Und das ist die Wahrheit?", fragte Robert unsicher.
"Natürlich, Robert", erwiderte die Malerin. "Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig es für einen Künstler ist, die Wahrheit über seine Arbeit zu hören. Ich würde dich da niemals anlügen."
"Das macht mich froh." Der junge Mann stand auf und trat hinter sie. Liebevoll legte er die Hände auf ihre Schultern. "Paul meinte, wir sollten wieder einmal etwas gemeinsam unternehmen. Wie wäre es am Samstag?"
"Bis zur Ausstellung habe ich wirklich keine Zeit", lehnte Rebecca ab und schob seine Hände von ihren Schultern. "Sag ihm, dass einem gemeinsamen Abend nach der Ausstellung nichts im Wege steht." Sie stand auf und begann den Tisch abzuräumen. "Wollte sich Paul nicht irgendwann an einen Roman wagen?"
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