Gestern brachte ich Tim mal wieder ein Gerät zur Reparatur ins „Klanghouse“, einem Musikladen. Tim ist auch ein Tastenmensch, hat Humor und im Gegensatz zu mir Ahnung von Elektronik. Er ist zentraler Anlaufpunkt für alle Musiker mit defektem Equipment und somit eine unersetzbare Person der Zeitgeschichte. Auch, wenn er ein für die breite Öffentlichkeit unsichtbares, licht- und luftdicht abgeschlossenes Arbeitsleben in stiller Zwiesprache mit seinem Lötkolben führt.
Seit einiger Zeit geben alle meine Geräte der Reihe nach ihren Geist auf. Ich bin also oft bei ihm im „Klanghouse“. Sobald das Letzte repariert ist, fängt das Erste an wieder Ärger zu machen. Das ist auch kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die meisten von ihnen seit 1998 kontinuierlich jede Woche zwei- bis dreimal im Einsatz sind. Warum ich das „Klang-house“ von 1998 bis 2008 gemieden habe, wird später noch zur Sprache kommen. Das lag weder an Tim noch an meinem alten Freund Sebastian Budde, dem Leiter der Gitarrenabteilung.
Während Tim in seinem kleinen Kabuff im hintersten Teil des „Klang-house“ – umgeben von einer Unmenge an defekten Geräten auf einer völlig zugemüllten Werkbank mit sich und der Welt zufrieden – ungestört vor sich hin lötet (und dabei den Überblick behält, was mir ewig ein Rätsel bleiben wird), drängelt sich bei Sebastian vorne die Kundschaft vorm Tresen. Auch, wenn man mit dem Klavier viel mehr Möglichkeiten hat, ist die Gitarre nach wie vor DAS Instrument in der Popmusik. Und die etwas längeren Gitarren mit den dickeren Saiten, die Bässe, verkauft er nebenbei auch noch mit. Im Vorbeigehen grüßen Sebastian und ich uns kurz. Die Wartenden mögen uns für flüchtige Bekannte halten. Aber das stimmt nicht. Eigentlich sind wir wie ein altes Ehepaar, das in Trennung lebt. Ich kenne Sebastian, seit ich 14 bin. Damals hatte er mich mit dem „Beatles-Virus“ infiziert. Davon und von unserem gemeinsamen musikalischen Weg werde ich ausführlich berichten. Jetzt schießt mir ein Satz durch den Kopf, den ich ihm im letzten Moment dann doch nicht im Vorbeigehen zurufe, weil ich mich vor seiner Kundschaft nicht wichtig tun möchte: „Ich schreibe jetzt ein Buch, sei lieber nett zu mir!“ Aber ich weiß auch so, wie er darauf reagiert hätte. Sebastian hätte spontan nur „Uuiiihh!“ gesagt. Darin hätte sowohl Erstaunen, als auch Skepsis gelegen. Und dann hätte er ein: „Gib alles!“ hinzugefügt und schnell einen weiteren Satz Saiten verkauft. Mit etwas weniger Kundschaft vorm Tresen hätte er vielleicht auch noch: „Mach’ Dein Ding!“ gesagt. Das ist die Lebensmaxime der „Klanghouse“-Mitarbeiter. Es hätte in meinem Fall bedeutet: „Tu’, was du nicht lassen kannst!“
Später, in einem Moment ohne Kundschaft, würde ihm etwas unbehaglich werden bei dem Gedanken, dass er in einem Buch vorkommt, das ich schreibe. Dann würde er sich schnell damit beruhigen, dass mein Vorhaben so groß ist, das es kaum den Weg bis in den Druck schaffen wird. Und dann würden ihm wieder leise Zweifel kommen, weil er meine Hartnäckigkeit kennt, wenn ich mir einmal etwas in den Kopf gesetzt habe. Aber all das würde er mir auf gar keinen Fall mitteilen. Ich weiß es trotzdem.
Als er einige Zeit später dann tatsächlich von mir per SMS über das Entstehen dieses Buches informiert wurde, äußerte er den Wunsch, ich möge darin bitte nett über seine Familie berichten. Er kennt sie gut genug, um zu wissen, wie viel literarische Angriffsfläche sie bietet. Ich konnte ihn beruhigen. Das Kapitel sei bereits geschrieben und ich fände, seine Familie käme ganz gut darin weg! Mit dem Risiko, dass in diesem Punkt vor allem die Meinung seiner Mutter von meiner abweichen könnte, muss ich leben...
„Und nun kommst Du! Was fällt Dir ein?“
Sich über alles und jeden frei auslassen zu können und das Ergebnis in gedruckter Form in alle Himmelsrichtungen zu verbreiten, versetzt einen Autor in eine Machtposition. (An dieser Stelle ein verspätetes „Hurra!“ auf den Buchdruck.) Dass er dabei selbst allzu schlecht wegkommt, ist auszuschließen. Ich habe aber auch von meinen Mitmenschen ein durchgehend positives Bild! Ich sehe sie als intelligente, durch Vernunft gesteuerte Wesen, die ihr eigenes Tun ebenso wie ich reflektieren und sich darum mir gegenüber genauso benehmen, wie sie es für richtig halten. Folgerichtig sollte es für keinen ein Problem sein, sich in meinem Buch wiederzufinden! Das ist für mich die „moralische Absegnung“, unser wie auch immer geartetes Aufeinandertreffen zu veröffentlichen. Und wer heute schlauer ist als früher und einiges anders machen würde, dem gratuliere ich dazu! Ich würde das mit Sicherheit auch tun.
Ich gehe davon aus, dass meine damalige Wahrnehmung der Ereignisse und ihre heutige Reflexion nicht vollständig sind und von der anderer Betroffener abweichen. Ich beanspruche für mich nicht „Zwerg Allwissend“ zu sein. Insofern bin ich auf Ergänzungen, Korrekturen und kontroverse Standpunkte gespannt; bitte aber ebenfalls gut reflektiert! Liebe Weggefährten: Bewahrt die Netiquette und schreibt Euch von der Seele, wenn Euch in meinem Buch etwas auf den Keksgeht! Gerne öffentlich auf Facebook...
„Irgendwie hab ich Dich trotzdem gern. Irgendwie bleibst Du mir immer fern.“ Frank Parthenios in seinem Lied „Vater und Sohn“.
„´Strings ’N’ Keys´ sind die intellektuelle Ausgabe von ´Jessen & Melzer´.“ Sebastian Budde
Ich bin Musiker. Darum möchte ich immer wissen, was gespielt wird. Und das auch im Leben. Meine beste Freundin Saskia kritisierte an diesem Kapitel, dass sie ihre kleinen grauen Zellen ganz schön in Schwung bringen musste, um meinen Gedankengängen folgen zu können. Sie warnte mich, dass ich manchen Leser hier vielleicht überfordere und verliere. Ich habe nicht vor, Sie zu imprägnieren (war das das richtige Fremdwort?), aber zu meiner Persönlichkeit gehört auch ein bisschen „Tiefgang“, für den auf der Bühne kein Platz ist. Dieses Buch versetzt Sie in die Lage, sich exemplarisch an mir ein Bild von einem Popmusiker zu machen. Ich bin mir bewusst, dass mich Psychologen nach der Lektüre vollständig durchschaut haben, bitte aber von Therapieangeboten abzusehen. Mir ist nicht zu helfen!
Da ich in den folgenden biographischen Kapiteln der Wahrheit und meinem selbst erteilten Unterhaltungsauftrag zuliebe nicht anders kann, als nicht nur mich, sondern auch meinen Vater Ihrem Lächeln auszusetzen, möchte ich mich vorweg bei ihm in aller Öffentlichkeit bedanken. Ohne ihn wäre ich nicht der, der ich bin. Ich bin gerne ich, und ich bin auch nur deshalb in bescheidenem Rahmen erfolgreich, weil ich ihm ähnlich bin. Die Grundlage aller meiner Handlungen habe ich, auch wenn er das bis heute nicht bemerkt hat, von ihm übernommen. Er gab in unserer Familie fürs tägliche Leben die praktische Maxime aus: „Wir tun alle Dinge so, wie sie am besten erledigt werden. Und wenn wir eines Tages herausfinden, wie man es besser macht, dann machen wir es so.“ Wow! Ob das auf seinem eigenen Mist gewachsen ist oder ob er Kant verinnerlicht hat, hat er uns bis jetzt nicht verraten. Eine andere Art, vernünftig das Leben zu bestreiten, war im Hause Porath undenkbar. Wenn ich diese grandiose Einstellung nicht übernommen hätte, könnte ich heute nicht als selbstständiger Musiker, dem kein Chef diktiert, was er zu tun hat, überleben.
Mein Vater ist unglaublich talentiert. Er ist promovierter Mediziner, hat unter anderem in Geschichte ein riesiges Faktenwissen und ist handwerklich so begabt, dass er so gut wie alle Arbeiten im und am Haus selbst ausführen kann. In dieser Vielseitigkeit ist er einmalig und bewundernswert. Ich kann ihm da nicht das Wasser reichen. Ob ich mit meinem Talent als Musiker und neuerdings als Autor dagegen anstinken kann, interessiert mich nicht. Er ist er, und ich bin ich. Ich verspüre keinerlei Drang ihm, mir, Ihnen oder irgendjemand anderem etwas zu beweisen.
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