Ein klitzekleines Kompliment, empfangen auf dem blauen Küchenstuhl sitzend, der eigentlich dazu dient, an die oberen Regalfächer zu kommen, inmitten einer wahnsinnig unordentlichen Küche, könnte der Wendepunkt der ganzen Geschichte werden.
Sollte ich das Flirten wirklich anderen überlassen? Sicherlich war mir zu diesem Zeitpunkt die Tragik dieses Komplimentes nicht bewusst. Ich glaube auch, dass Philipp das nicht beabsichtigt hatte und es tut auch gar nichts zur Sache. Fakt ist, es hat etwas mit mir gemacht; ein lang verschwundenes Gefühl geweckt.
...Bist halt so ne Sonne!...
Philipp beobachtete mich. Er sah mir beim Training mit meinen eigenen Hunden zu, hospitierte, ohne seinen eigenen Hund dabei zu haben, und wenn er danach ein paar Zeilen tippte, merkte ich, dass er nicht nur die Hunde beobachtete. Er bemerkte meine pinken Socken, wie ich die Arme in die Hüften stemmte, um Shannon bewusst nicht mit der Hand zu führen, meine Mimik, meine Gestik, wenn ich mit viel Freude trainierte und statt es einfach nur wahrzunehmen, schrieb er es mir. Seltsam. Ich hasse es, beobachtet zu werden. Es setzt mich unter Druck. Druck mag ich nicht.
Und wieder ließ es mich einfach nur lächeln. Ich hatte kein schlechtes Gefühl, obwohl ich wahrscheinlich nicht vorschriftsmäßig gekleidet war. Wenn er meine Socken wahrnahm, obschon ich Wanderschuhe anhatte, hing bestimmt wieder irgendein Hosenbein auf Halbmast. Ich achte nicht wirklich auf mich. Nicht dass es mir egal ist, ich finde es lediglich lästig.
Er nahm Dinge wahr und sagte sie mir, die mir eigentlich peinlich gewesen wären. Er schrieb sie mir aber so unbefangen positiv, dass sie das Gegenteil auslösten. Er schaffte es, mich einfach lächeln zu lassen, und zwar über mich selbst.
Habe ich erwähnt, dass ich ein Problem mit meinem Selbstbewusstsein habe? Er tat mir gut! Er betrachtete mich und ich sah mich plötzlich aus einer völlig anderen Perspektive. Es gefiel mir!
Er hat kein Selbstbewusstseinsproblem, so scheint es wenigstens. Oder doch, denn er hat zu viel davon, was ja auch nicht ganz unproblematisch ist. Ich tue mich ein wenig schwer, mir wirklich ein Bild davon zu machen, eventuell auch, weil ich es für unwichtig halte.
Er sagte, dass er mit Menschen oft Schwierigkeiten habe. Sie würden ihn nicht mögen, ihn für ein Arschloch halten und mir kommt es ein wenig so vor, als kokettiere er damit. Ich hoffe, ich tue ihm nicht unrecht.
Er ist nachdenklich und eventuell ähnlich direkt wie ich. Das stößt bei anderen auf Widerstand. Ich kann ein Lied davon singen. Auch mich mögen nicht alle. Im Gegenteil, manchmal ist das alles ein Kampf, hinterher tut es mir dann leid, aber Klappe halten ist in vielen Situationen nicht meine Stärke. Ich nehme mir dann immer vor, das nächste Mal doch diplomatischer zu sein, aber ist der Wutpunkt einmal berührt, läuft die Rage ohne den Verstand von alleine weiter.
Ich habe Glück. Ich kenne Philipp hauptsächlich alleine und nur durch Worte. Die sind witzig, nett und keineswegs die eines Arschloches. Was andere über ihn denken, kümmert mich nicht. Ich beurteile nur, was ich sehe und lese. Und das gefällt mir. Wir denken in vielen Dingen ähnlich und haben ein gemeinsames Thema. Der Austausch scheint ehrlich.
Es ist nicht das typische Gespräch des werbenden Männchens um eine Sexualpartnerin. Es könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein.
Ping!
Der Facebook Messenger! Die Gespräche wurden intensiver, sowohl in ihrer Quantität, wie auch in der Qualität.
Philipp wusste inzwischen von meiner verstorbenen Hündin Lilo, meiner Meisterin, meinen beiden Golden Retriever Mädels Shannon und Easy, er wusste, dass ich drei große Söhne habe, dass mein Mann Andi immer unterwegs ist, wir alle zusammen drei Jahre in Kalifornien gelebt haben und ich mit meinem jüngsten Sohn zurück gekommen bin, um mich um meinen dementen Vater zu kümmern, der jetzt gerade in diesen Tagen ins Heim gekommen war. Ich konnte meine Nöte und Bedenken mit Philipp teilen und verstehe bis heute nicht wirklich, wieso man so offen mit einem völlig Fremden reden kann.
Andi war inzwischen in den USA und Philipp und ich tippten vor allem abends stundenlang. Aus Sätzen wurden Texte. Ich vertraute ihm und es begann ein gegenseitiges Öffnen. Selbst wenn ich den Chat nachverfolge, kann ich im Nachhinein oft gar nicht mehr sagen, was mich bewog, das ein oder andere zu erzählen. Ich denke, umgekehrt war es genauso. Plötzlich wusste ich Dinge, die Philipp geprägt hatten. Ich werde sie hier nicht breit wälzen, das steht mir nicht zu.
Die Tiefe wurde durch das Medium relativiert. Ein Chat kann jederzeit jäh abgebrochen werden, weil einem etwas anderes dazwischenkommt oder die direkte Antwort ausbleibt. Auch Themawechsel sind deutlicher als in Diskussionen vis-a-vis. Ob das der Grund war, dass ich eine Weile brauchte, zu verstehen, was mit mir passierte, oder weil ich gar nicht reflektierte? Ich weiß es nicht.
Ping!
Ich tippte und machte mir kaum Gedanken warum.
Irgendwann sprachen wir über Beziehungen. Philipp erzählte, dass um ihn herum viel geheiratet wird und er sich lieber einen Hund angeschafft hat. Frustriert? Stolz? Genervt? Keine Ahnung! Wenn die Emoticons fehlen, tut man sich schon mal schwer, Gefühle in kurzen Sätzen zu deuten.
Ich:
Bist du frustriert?
Er:
Nein... , ich habe ja immer die Chance... , nur füllt mich nichts aus. Ich verbringe meine Zeit einfach lieber mit Django als mit anderen. Ab und an sehnt man sich aber schon danach, aber ist eher selten. Jetzt bald heiratet wieder einer meiner besten Freunde und ich gehe wieder allein hin .
-lachender Smiley-
Ich:
Kann ich so gut verstehen. Aber Menschen sind auch wichtig. Ein Hund nimmt den Teil, den du übrig hast, um zu sorgen. Du bekommst Vertrauen zurück. Du bekommst keine Widerworte, keine Diskussion, keine Reibung.
Hund ist einfach. Mensch ist schwer.
Er:
Yap... es muss aber erst mal jemand geben, der sich damit abfindet die Nummer 2 zu sein .
Ich:
Wenn es der Richtige ist, ist er nicht Numm er 2, das ist was anderes. Das passiert auf verschiedenen Ebenen.
Er:
Ja eig entlich gibt es keine Nummern, jedoch muss man viel e Kom promisse bei mir eingehen, bin richtig schwierig, e gal, habe immer betrogen z.B., bin schnell gelangweilt, unzufrieden, gaaanz schlimm, autonom , ich habe mir das Vertrauen selber genommen .
Klin g ich verbittert?
Ich:
Da s Vertrauen zu dir selbst? Du klingst traurig hinte r einer Fassade von Stärke.
Er:
Nein, das s jemand mal mit mir das macht, was ich jahrelang mit anderen g emacht habe.
Ich:
Verstehe!
Er:
Ich habe mir immer die Leute so zusammengestellt, dass e s perfekt war . Sprich , hatte i mmer mehrere gleichzeitig. Dabei strebte ich immer nur nach der einen Sache, das Ehrliche und Große. Aus diesem Grund freue ich mic h, wenn ich Personen sehe, die jahrelang zusammen sind , sich noch küssen und lieben und geme insam was aufgebaut haben. Ich habe es nie geschafft , dabei hatte ich immer tolle Freundinnen.
Ich:
Diese Menschen sind extrem kompromiss bereit und streben NICHT nach Perfektion. Diese Menschen können verzeihen und mit Verletzungen leben. Diese Menschen sind nicht eitel .
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