Stellen Sie sich vor, ich sei ein Bekannter von Ihnen oder noch besser, stellen Sie sich vor, Sie sind ich. Denn im Grunde dreht sich doch alles um das; um Täuschung und Verdrehung.
Anfangs macht man es nur am Wochenende, so hin und wieder mal paar Scheine auf „gut Glück“. Dann treibt es einen bereits am Donnerstag an den Automaten, dann Mittwoch und irgendwann befindet man sich täglich vor einem Spielautomaten. All die Klugscheißer und Möchtegern-Besserwisser predigen pausenlos, dass ihnen das nie passieren würde, doch leider passiert es viel zu vielen von uns.
Im Grunde genommen gibt es sehr viele verschiedene Süchtige, die sich nur aufgrund ihres anfänglichen Geldes unterscheiden. Es gibt Spieler, die verspielen am Tag 10.000 Euro und am nächsten wieder und am nächsten Tag wieder und den darauffolgenden Tagen wieder, über Jahre hinweg. Andere verspielen innerhalb eines Jahres ihr gesamtes Hab und Gut, und können sich im Nachhinein weder das Leben noch das Spielen leisten.
In diesem Leben gibt es keine Gerechtigkeit und wer spielt, verliert. Womöglich spielt so mancher Spieler noch weitere 15 Jahre im selben Takt weiter, aber feststeht, dass er verliert. Letzten Endes ist „Spieler sein“ auch nur ein Job von 8 Uhr morgens bis 17 Uhr abends, die Stunden werden dabei nur immer noch dunkler. Sucht kennt keine Grenzen oder Religionen, sie ist farbenblind und niemand ist dagegen immun.
Wer sein Glück herausfordert und tatsächlich hin-und wieder etwas am Automaten „gewinnt“, ist auf dem besten Weg, sein Leben zu verspielen. Bei manch einem dauert dies länger, bei anderen bedeutet es innerhalb kürzester Zeit das sichere Ende.
Machen wir uns nichts vor, der Tag wird kommen, an dem man deutlich mehr verspielt, als einem lieb ist. Bei mir war der erste etwas höhere Verlust ungefähr 500 Euro, an dem Tag war ich fest davon überzeugt, dass ich nie wieder spielen würde. Bereits einen Tag später, ach was sage ich – nicht einmal ganze 24-Stunden später, stand ich bereits wieder am Automaten und forderte mein „Glück“ heraus. „Gute Vorsätze“ sind zwecklos, wenn sie nicht ernst gemeint sind. Es ist wie ein Traum und leider verlieren wir uns darin – täglich.
Ich suchte nicht nach dem Automatenspielen, es fand mich. All die Wut, die Trauer und der alltägliche Schmerz wirkten wie ausgelöscht. Die Gesellschaft wirkte für mich akzeptabler, solange ich mich durch das Spielen isolieren konnte. Was ich nicht bemerkte, war die Tatsache, dass ich mich nicht „nur“ isolierte, ich versuchte mich vollständig zu vernichten. Doch wieso? Natürlich kam die Erkenntnis nicht, immerhin spielte ich noch Jahre weiter, klar – ich wusste zwar, was zu tun war, wollte jedoch nicht einsehen, warum ich meinen Fehler als solchen betiteln sollte. Ich wusste nicht einmal, ob es tatsächlich meine Schuld war oder ob ich es womöglich einem Anderen in die Schuhe schieben könnte. Ich feilschte nicht nur mit anderen, sondern auch mit mir selbst. Solange man als Spieler eine Möglichkeit sieht, die einem die Sucht harmlos erscheinen lässt, wird man seine Chance nutzen, um die Lücke im System ausnutzen zu können. Am Ende des Tages, zählt nicht was du weißt, sondern was du tust. Ich habe vieles erzählt, an noch mehr geglaubt, gehofft und gebetet, doch das Einzige, was ich tatsächlich tat, war Geld verspielen. Ich wollte überall hinreisen, doch der einzige Ort, an dem man mich tatsächlich auffinden konnte, war in der Nähe oder direkt am Spielautomaten. Ich wollte auch immer in ein Haus investieren, mir etwas erschaffen, doch in das Einzige, worin ich in Wahrheit investierte, war in das Spielen am Automaten. Ich kenne noch heute Spieler, die mir von ihren angeblichen Freundinnen, Reisen und anderen waghalsigen Abenteuern erzählen, doch was gesagt wird, entspricht mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Wunschvorstellung aus einer eigens erschaffenen Traumwelt.
Sie hat vielen Spielern das Leben gekostet; die Wahrheit. Mir persönlich hat sie das Leben gerettet, indem mir die Wahrheit mit einer nie dagewesenen Klarheit die Augen öffnete. Die Realität traf mich, wie ein Faustschlag ins Gesicht. Schmerzhaft, aber notwendig. Man weiß nie genau, was das Schicksal für uns geplant hat, aber eines steht fest, es gibt keine Zufälle, nichts geschieht grundlos. Ich war nicht immer ein Spieler, ich war einst glücklich, glaube ich zumindest. Wie gerne würde ich behaupten, dass ich ein erfolgreicher Spieler war. Aber nun ja, es war ein Traum und es wird immer nur ein Traum bleiben. Wenn man sich als Spieler seine Vergangenheit einmal durch den Kopf gehen lässt, ist es eigentlich pure Scheiße, kann womöglich schöner ausgedrückt werden, aber Scheiße, bleibt nun mal Scheiße und diese Erkenntnis ist mehr als beschissen.
Es gefiel mir am Automaten zu gewinnen, im Alter von 15-16 Jahren gewann ich bereits zum Teil das 10-fache an Geld, was andere in meinem Alter in ihren Job verdienten. Doch Geld war bzw. wurde plötzlich zur Nebensache, Hauptsache die Anerkennung blieb nicht aus. Ich fühlte mich durch das Spielen erwachsener, als ich in Wahrheit war. Der Automat gab mir das Gefühl von Freiheit. Das Problem im Leben eines Spielers ist die Tatsache, dass man anfangs oftmals gewinnt, und dieser zum Teil enorme Gewinn, wird wiederum nur zum Spielen eingesetzt. Dadurch konnte ich auf längere Sicht nicht gewinnen. Doch ich erschuf eine Parallelwelt, in der ich glaubte, immer zu gewinnen. In Wahrheit verlor ich täglich und egal wie hoch die Ausgaben auch waren, ich redete mir ein, dass ich im Gewinn stünde. Um meine Gier befriedigen zu können, reichten anfangs Gewinne im hunderter Bereich, nach ein paar Monaten mussten es Gewinne im tausender Bereich sein, alles darunter betrachtete ich nicht als Gewinn, sondern sah es mehr oder weniger nur als Zeitvertreib oder Zeitverschwendung an. Nach Jahren der systematischen Selbstzerstörung am Automaten, stumpfte ich so enorm ab, dass kein Gewinn mehr tatsächlich eine Befriedigung darstellte, dennoch spielte ich weiter. Teils als Gewöhnung und zum Teil auch deshalb, weil ich mir pausenlos einredete, ich müsste spielen, um jemand sein zu können.
Ich denke, je früher ein Mensch mit dem Spielen beginnt, desto schwieriger wird es für ihn zu erkennen, wer er tatsächlich ist oder wer er sein könnte. Stell mir einen Spieler vor und ich brauche nur 5 Minuten mit ihm zu reden, um herauszufinden, wie lange er bereits spielt. Denn je länger er spielt, desto selbstsicherer erzählt er von seinen angeblichen Gewinnsummen. Je länger ein Spieler von seinen angeblichen Gewinnsummen erzählt, desto stärker verstrickt sich der Spieler in seinen eigenen Lügengeschichten – ohne es selbst zu bemerken. Ein Spieler muss seine eigenen Lügen glauben – sonst würde er nicht weiterhin sinnlos sein Geld verspielen.
Der klügste, schönste oder meinetwegen ehrlichste Spieler, hat rein gar nichts von seiner Intelligenz, seinem Aussehen oder seinen anderen vorhandenen Tugenden, solange er am Automaten steht und sein Dasein verspielt. Spieler messen ihren persönlichen Wert daran, was sie am Automaten gewinnen. Je höher dieser angebliche Gewinn zu sein scheint, desto wichtiger und einflussreicher fühlen sie sich in dieser Szene. Und das ist das Problem an der ganzen Sache, denn diese Tatsache, ist nicht armselig oder bemitleidenswert – es ist eine Krankheit und muss auch dem entsprechend wahrgenommen werden.
Ich komme aus einer wohlbehüteten Familie, jedenfalls glaube ich sagen zu können, dass ich eine gute Kindheit hatte – doch im Nachhinein betrachtet, verging sie viel zu schnell. Eher ich mich versah, befand ich mich bereits im Schul-und nach ein paar Jahren im Berufsleben. Der Ernst des Lebens begann, das ist die Zeit zwischen Berufseinstieg und Rente – nicht gerade die stressfreieste Zeit. Eltern, Erzieher/innen und Lehrer versuchen einen immer auf das Kommende vorzubereiten, doch auf das Leben kann dich niemand vorbereiten, es kommt dir wie ein Schlag ins Gesicht entgegen. Dieser Schmerz sollte gestillt werden und ich fand Gefallen darin, mein Glück herauszufordern. Es klingt merkwürdig, aber ich passte an den Automaten, wie der Deckel auf den Topf. In dem Augenblick, wo ich mich vor einem Automaten befand, fühlte ich mich Vollkommen, ich verspürte völlige Freiheit. Mein Gesicht war fürs Lächeln bestimmt, doch die Welt ist nicht lustig, sie fügt einem Schmerz zu. Schmerz, mit dem ich nicht umgehen konnte.
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