»Professor ...«
»Kinder, die unter Nupsis aufgewachsen sind, haben oft zunächst eine Menge Ängste und Vorbehalte, wenn sie herkommen, doch das ist unnötig. Es ist wie beim Autofahren: Der Fahrlehrer sieht es lieber, wenn du vorher nie gefahren bist, dann muss er dir wenigstens keine Fehler abgewöhnen.
Ich bin froh, dich bei mir in Heldenheim zu haben. Es hätte dich schlimmer treffen können, glaube mir. Du wirst sehen, es wird uns gelingen, einen richtig guten Zauberer aus dir zu machen und dich Großes vollbringen zu lassen.«
»Habe ich nicht gesagt, wir kommen in dasselbe Haus?« Rum hielt Heinrich freudestrahlend sein Einschulungszertifikat unter die Nase, als sie in den Flur zum Speisesaal abbogen. ›Heldenheim‹, lautete die Empfehlung des Gremiums.
Als Rums Blick auf Heinrichs unwilliges Gesicht fiel, drosselte er seine Begeisterung etwas, denn ihm musste klar sein, dass Heinrich sie nicht teilte. Heinrich erzählte ihm kurz, dass die Leiterin ihres gemeinsamen Hauses ihn bei der Findungskommission abgepasst und er versucht hatte, sie davon zu überzeugen, dass sie einen Fehler machte.
»Hat wohl nicht so viel gebracht, wie?«, fragte er betont teilnahmsvoll.
Heinrich schüttelte resigniert den Kopf. »Zwecklos«, sagte er. »Die sturen Böcke haben sich allen Ernstes in den Kopf gesetzt, einen zweiten Copperfield aus mir zu machen.«
»Na, komm schon«, sagte Rum freundschaftlich und schlug Heinrich auf die Schulter. »Essen wir erst mal was, dann sieht die Welt gleich anders aus.«
Heinrich wusste zwar nicht, wie eine Mahlzeit seine Situation auch nur etwas verbessern sollte, aber er widersprach nicht. Rum war trotz dieser fragwürdigen Aufnahmeprozeduren offensichtlich angetan von seiner neuen Umgebung und warum sollte er ihm die Freude vermiesen, nur weil er es anders sah? Außerdem konnte er nicht verhehlen, dass er einen Riesenkohldampf hatte. Ein Witchburger, eine Hot-Hag und ein bisschen Süßkram waren als Ernährungsgrundlage der letzten sechsunddreißig Stunden entschieden zu wenig gewesen.
Im Speisesaal herrschte Hochbetrieb. Die Tische waren zu vier langen Tafeln zusammengestellt, eine Tafel für jedes Haus. Ein Typ am Eingang warf einen Blick auf ihre Zertifikate und wies ihnen den Tisch ganz links an. Die anderen Heldenheims begrüßten sie herzlich. Hie und da drehten sich Köpfe zu Heinrich um, und vereinzelt wurde getuschelt.
»Was tuscheln die? Kennen die mich?«, fragte Heinrich verwirrt und setzte sich an den Tisch.
»Naja, einige von denen haben, denke ich, schon von deiner Geschichte gehört oder gelesen. Also diese Sache mit Schwurbelbart und Dem-der-dabei-auch-eine-Rolle-spielt.«
»Meine angebliche Geschichte, meinst du. Die werden schön enttäuscht sein, sobald ich das erste Mal den Stab raushole.«
Ein Mädchen, das nur die letzte Bemerkung mitgekriegt hatte, wendete den Kopf und schaute ihn mitleidig an.
»Den Zauberstab , meinst du«, murmelte Rum.
»Oh, ich ...«, stammelte Heinrich. »Ja, natürlich.«
Das Mädchen zwinkerte ihm frech zu und drehte sich wieder zu seinen Freundinnen um.
Vereinzelt öffnete sich die Saaltür und weitere Erstsemester kamen herein. Die Einschulungsprozedur musste langsam ihrem Ende entgegengehen; am Tisch waren kaum noch freie Plätze übrig. Das Ratten hassende Mädchen aus der U-Bahn erschien im Türrahmen und steuerte ebenfalls den Heldenheimtisch an.
»Hallo, Jungs. Lärmine Danger. Ich soll hier zaubern lernen«, stellte sie sich munter vor und ließ sich Heinrich und Rum gegenüber auf die Bank fallen. »Wie steht's bei euch? Alles senkrecht?« Sie schien aber gar keine Antwort zu erwarten, denn schon hatte sie ihnen den Rücken zugekehrt und begann über den Gang hinweg eine lebhafte Unterhaltung mit den älteren Jungs am Nachbartisch. Sie gehörten zum Haus der Haferstrohs.
» Lärmine Danger . Der Name ist Programm«, knurrte Rum. »Soll sich doch gleich zu denen setzen, wenn die ihr lieber sind. Was meint sie bloß mit alles senkrecht ?«
Heinrich betrachtete den Umhang eines Typen, der ihm schräg gegenübersaß. Auf der Brust trug er ein buntes Emblem in den Farben Rot und Gelb. Ein grinsender Kürbis mit Augen und Armen, der ein großes ›H‹ in die Luft hielt, war darauf abgebildet. Es war eines der Embleme, das er schon auf der U-Bahn-Fahrt gesehen hatte.
»Morgen bekommt ihr die Aufnäher mit dem Heldenheimkürbis«, erklärte der Typ, der Heinrichs interessierten Blick bemerkt hatte. »Die werden auf eure Umhänge aufgenäht und dann seid ihr welche von uns.«
»Sieh mal«, zeigt Rum. »Das da hinten müssen die Schwylerins sein.«
In der Tat, die als Tischdekorationen dienenden Kürbisse und die Tischdecken an der Tafel am anderen Ende des Saales und die Umhänge der dort sitzenden Schüler waren in den Farben Altrosa, Lila und Pink gehalten.
»Da ist mir gelb rot aber lieber.« Heinrich und Rum entdeckten an dem rosa Tisch auch ihre drei schweigsamen Mitfahrer von der U-Bahn-Fahrt: die beiden Fettsäcke und den blonden Spargel.
»Habe ich mir doch gedacht, dass die da landen«, murmelte Rum.
Heinrich ließ den Blick weiter durch den Speisesaal wandern. Dem Eingang direkt gegenüber an der Kopfseite des Saales befand sich die Tafel des Lehr- und Verwaltungspersonals. Dahinter erhob sich eine kleine Bühne, was dem Saal ein wenig den Anstrich einer Schulaula verlieh. Von der hohen Decke her verbreiten zahlreiche Kronleuchter ihr warmes Licht.
»In ›Zahlen, Daten, Fakten – Hochwärts für Besserwisser‹ habe ich mal gelesen, dass hier früher eine verzauberte Decke eingezogen war, die aussah wie der Himmel draußen«, sagte Rum mit einem Blick nach oben, »und dass man zu besonderen Ereignissen, wie zum Beispiel Halloween, sogar Hunderte echter Fledermäuse hier drin hat umherfliegen lassen.«
»Nette Idee. Warum hat man das geändert?«
»Nun, ich glaube, du würdest dich ganz schön bedanken, wenn ständig ein leiser Schauer Fledermausscheiße von der Decke in dein Essen rieselte. Und die Sache mit der verzauberten Decke hat man eingestellt, nachdem infolge von Schadensersatzklagen die Versicherungsbeiträge immer höher wurden. Du weißt schon, Verletzungen durch herabfallende Hagelkörner, Augen- und Hautschäden durch ungefiltert einfallendes Sonnenlicht und so weiter.«
»Hm, auch wieder wahr.«
Am Lehrertisch erkannte Heinrich Hagweed und Professor McGummiball, die mittlerweile ebenfalls eingetroffen war. Neben Hagweed saß ein auffälliger großer Kerl, dessen Kopf rundherum mit Alufolie umwickelt war. Nur die Augen schauten heraus. Er unterhielt sich steif mit einem Lehrer mit altrosafarbenem Umhang und schimmernd schwarzen Haaren, der ihm jedoch kaum zuhörte, sondern in Heinrichs Richtung sah und ihn aufmerksam musterte. Er fixierte ihn geradezu. Heinrich rieb sich die Stirn. Seine Beule zwickte.
»Was ist los?«, fragte Rum.
»Ach, nichts. Meine Beule tut nur etwas weh. Kennst du welche von den Typen am Lehrertisch? Wer ist der Kerl, der mich so anstiert? Der mit der Angela-Merkel-Frisur.«
Rum schaute in die angezeigte Richtung. »Der? Das muss Professor Ziep sein, Hauslehrer von Schwylerin. Der daneben ist Mr. Spack. Über den habe ich mal was gelesen. Unterrichtet ›Abwehr schwarzer Magie‹ und ist außerdem wissenschaftlicher Leiter von Hochwärts. Soll ein bisschen paranoid sein, der Kerl. Hat ständig Angst, von Außerirdischen entführt zu werden, und deshalb zur Abwehr gegen ihre Strahlen immer die Birne mit Alufolie umwickelt.«
»Groß ist das Kollegium ja nicht. Bei so vielen Schülern hätte ich mit mehr Lehrern gerechnet.«
»Es scheinen auch nicht alle da zu sein. Außerdem machen die natürlich alle mehrere Fächer, besonders in den oberen Jahrgangsstufen. So locker sitzt das Geld hier auch nicht, dass die Lehrer mit nur einem müden Unterrichtsfach schon als Oberstudienräte bezahlt werden.«
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