1 ...6 7 8 10 11 12 ...24 Und bei ihrer Reise nach München? Ja, natürlich war das Hotel luxuriös gewesen. Insofern hatte Kasib schon damals ein wenig gestaunt, wie gut manche Menschen es sich gehen ließen und wofür sie viel Geld auszugeben pflegten. Doch das war kein Vergleich zu Dubai! Hier war einfach alles groß, nobel und teuer. Es schien, als würde jeder es darauf anlegen, den anderen zu übertrumpfen. Entsprechend fühlte sich Kasib ganz klein. Er hatte keinerlei eigenen Besitz. Sein neuer Boss hatte eine Wohnung für ihn organisiert, die in Laufweite vom Büro lag. Kasib war dankbar dafür, dass man es ihm in dieser Hinsicht so leicht gemacht hatte. Durch Gespräche mit seinen Kollegen war ihm klar geworden, dass eine Wohnungssuche oft kein leichtes Unterfangen war. Er war ehrlich genug sich einzugestehen, dass er mit dieser Aufgabe völlig überfordert gewesen wäre. Dass man ihm trotz der Tatsache, dass er quasi verbannt worden war, noch so hilfreich unter die Arme griff, vertiefte die Liebe und Achtung, die Kasib zu seinem Herrn Rayan empfand, nur noch mehr. Er kannte dessen Geschichte und wusste, dass er selbst als Jugendlicher nicht so viel Glück gehabt hatte. Ihr Scheich hatte sich ganz alleine durchschlagen müssen. Kasib mochte nicht daran denken, wie schwer ihm das gefallen sein musste. Dagegen war für ihn hier alles ein Kinderspiel. Mit diesem Gedanken tröstete und motivierte Kasib sich, wenn er wieder einmal kurz vor der Verzweiflung stand, weil ihm seine neue Umgebung über den Kopf zu wachsen schien.
Er hatte gehofft, dass ihm die Erfahrungen, die er während seiner Reise vor einigen Monaten nach München gesammelt hatte, ausreichen würden, um auch in Dubai klarzukommen. Aber es war ein großer Unterschied gewesen, mit der Scheicha und Jassim zu reisen. Damals war er lediglich ein Mann in ihrem Gefolge gewesen und es war nicht mehr von ihm erwartet worden, als Carina überall hin zu begleiten und die Umgebung nach möglichen Gefahren abzusuchen. Es war nicht viel Zeit geblieben, über sein Umfeld weiter nachzudenken. Er war in ein Flugzeug gestiegen, so wie die anderen es taten. Oder in ein Auto, das sein Stammesbruder gelenkt hatte. Doch hier musste er sich auf einmal alleine durchschlagen. Es lag an ihm, sich zu orientieren und sich so vorzubereiten, dass er dort ankam, wo er hinwollte. Entsprechend war es sein erster Triumph gewesen, das Bürogebäude zu finden, in dem man ihn für seine neue Tätigkeit erwartete. Das schon von außen vor zur Schau gestellten Luxus förmlich strotzende Glasgebäude hatte ihn verunsichert. Was sollte er – ein einfacher Mann – da drin? War er überhaupt angemessen gekleidet? Er hatte kritisch an seinem Anzug herabgesehen, den er damals für den Einsatz in München erhalten hatte. Es war dort zum ersten Mal gewesen, dass er westliche Kleidung trug. Kasib dankte im Stillen seinem Vater, der ihn gedrängt hatte, den Anzug mitzunehmen. Er hätte nicht vermutet, ihn hier zu brauchen. Doch nachdem er sich in weiser Voraussicht bereits am Vortag hier umgesehen hatte, war ihm aufgefallen, dass die Menschen, die hier ein- und ausgingen fast ausschließlich westlich gekleidet waren. Kasib wusste in etwa, wer Taib Riad war, zumindest hatte er bereits viel von ihm gehört. Daher schlussfolgerte er, dass die Betätigungen des Anwalts überwiegend in der westlichen Welt lagen. Insofern ergab die Kleidungswahl natürlich Sinn. Er atmete tief ein und aus, und betrat das Gebäude.
Ganz wie befürchtet stand die Ausstattung im Inneren der Fassade in nichts nach. Kasib war dankbar gewesen, dass Claudia ihn damals freundlich in Empfang genommen hatte und seine Unsicherheit mit keinem Wort kommentiert hatte. Sie hatte ihn persönlich ohne weitere Wartezeit zu seinem neuen Boss geführt.
Taib Riad hatte ihn damals zuerst mit einem mürrischen Blick in seinem Büro erwartet. „Du bist also der Junge, der mir so viel Ärger bereitet hat, was?“, hatte er unfreundlich geknurrt. Kasib war zusammengezuckt und hatte einen roten Kopf bekommen. „Es tut mir sehr leid, Herr“, hatte er gestammelt.
„Ich bin nicht dein Herr“, hatte der Anwalt schon ein wenig sanfter entgegnet. Er hatte den Tarmanen nicht beschämen wollen. „Du kannst mich Taib nennen“, hatte er schon wesentlich freundlicher hinzugefügt.
Kasibs verlegenes „Ja, Herr … ähm Taib“, kommentierte Rayans Freund nicht weiter. Der Junge würde schon noch lernen, dass es hier anders zuging als bei ihm zuhause.
Er hatte ihn von oben bis unten gemustert und anerkennend genickt. „Immerhin hast du offenbar den richtigen Riecher in Bezug auf Kleidung – Sehr schön.“
Kasib wusste nicht, ob er sich über das unerwartete Lob freuen sollte. Denn eigentlich war es wohl kaum ihm zu verdanken, dass die Scheicha ihm damals den Anzug organisiert hatte. Er schluckte verlegen, weil er nicht wusste, ob eine Antwort von ihm erwartet wurde.
Taib bemerkte die Unsicherheit seines neuen Gehilfen, doch störte sie ihn nicht. Lieber einen Jungen, der sich kritisch mit seinem Umfeld auseinandersetzte, als einen Überflieger, der glaubte, die Welt gehöre ihm. Weil er wusste, dass dieser junge Krieger der Leibwächter gewesen war, der seine Aufgabe vernachlässigt hatte, hatte er befürchtet, es mit genau so einem Typen zu tun zu haben. Umso mehr freute ihn, dass er nun angenehm überrascht wurde. Der Junge gefiel ihm überraschend gut.
Um das Thema zu wechseln, deutete er auf Kasibs bandagierte linke Hand. „Was ist passiert? Hast du dich verletzt?“, fragte er besorgt. Es fehlte ihm noch, wenn der junge Tarmane schon am ersten Tag in Probleme geraten wäre. Nicht, dass ihn das gewundert hätte, denn Kasibs deutliche Unsicherheit führte ihm vor Augen, was für einen Kulturbruch Kasib gerade erleiden musste. Er beschloss, dass dieser Tarmane es wert war, sich in Geduld zu üben und ihm eine echte Chance zu geben. Schließlich war der junge Mann eigentlich ein Krieger und hatte sich sein neues Leben in einem Büro nicht ausgesucht. Wieder einmal verfluchte er seinen Freund Rayan, weil der schließlich dieses Urteil gefällt hatte.
Als sich in diesem Moment das verlegene Rot auf dem Gesicht seines neuen Gehilfen aufgrund seiner Frage nach der Verletzung an der Hand noch vertiefte, wurde Taib aus seinen Gedanken gerissen. Aufhorchend wartete er gespannt auf die Erklärung, die sich der ehemalige Krieger sichtlich abringen musste.
„Nein, das war kein Unfall, sondern ein Teil meiner Bestrafung“, brachte Kasib schließlich steif, aber mit stolz vorgerecktem Kinn hervor. Seine Körperhaltung war klar: Er würde keinerlei Kritik an den Methoden seines Scheichs oder ihres Lebensstils dulden.
Doch das hatte Taib Riad gar nicht vor. Er war es von seinen diversen Gerichtsverhandlungen gewohnt, nach außen, wenn es sein musste, ein absolutes Pokerface aufzusetzen. Nur dieser Tatsache war es zu verdanken, dass ihm auch jetzt nicht die Gesichtszüge entgleisten. Innerlich erstarrte er. Er nahm sich vor, seinem Freund Rayan bei nächster Gelegenheit die Leviten zu lesen über derart grausame Methoden. Taib war so ziemlich der einzige Mensch, der den Scheich bereits mehrfach in der Vergangenheit Dinge an den Kopf geworfen hatte, die seine Untertanen noch nicht einmal zu denken wagten. Er war aber ebenfalls der Einzige, von dem sich Rayan diese Bemerkungen gefallen ließ, solange sie unter vier Augen erfolgten. Sie hatten vor vielen Jahren einen Deal geschlossen, der die Basis zu ihrer langjährigen Freundschaft bildete: Rayan würde nicht versuchen, Taib zu verändern, während Taib sich sein Unverständnis für das Leben und die Methoden des Scheichs niemals öffentlich anmerken ließ.
Von diesen Gedanken ahnte Kasib freilich nichts. Er sah nur, dass Taib auf seine Bemerkung hin unbeeindruckt die Schultern zuckte. „Ach so“, sagte der Anwalt mit neutralem Gesichtsausdruck, als wäre für ihn diese Frage der Bestrafung völlig normal. Erleichtert bemerkte er, dass damit das Thema für Taib beendet war.
Читать дальше