1 ...7 8 9 11 12 13 ...24 Sie wechselten das Thema und sie sprachen einige Minuten lang über die Erwartungen, die Taib an den Tarmanen in Dienste der Kanzlei stellte.
Kasib glaubte, die augenscheinliche Akzeptanz seitens Taib läge daran, dass dem Anwalt die Regeln der Tarmanen vertraut waren. Rayans Freund ließ den Jungen in dem Glauben. Denn er kannte die stolzen Tarmanen gut genug, dass Kasib auf keinen Fall sein Mitleid wollte.
Anfang Mai 2016 - Alessia: Rayans Haus - Eine besondere Begrüßung
Überwältigt sank Alex auf das Bett im Haus seines Schwagers Rayan. Er war froh, dass der Raum, in dem man ihn untergebracht hatte, einigermaßen normal war. Die Möbel hätten auch aus seinem Zimmer daheim stammen können. Seine Befürchtungen, hier weitere Überraschungen zu erleben, hatten sich somit nicht erfüllt. Anhand der ausgedehnten Größe des Grundstücks hatte er schon erwartet, in einer Art Palast zu landen. Doch das Gebäude schien zwar eine größere Anzahl von Zimmern zu haben, im Grunde aber ein relativ normales Haus zu sein. Den großen Empfangsraum bei der Eingangstüre hätte er sogar als „gemütlich“ betitelt.
Noch immer peinlich berührt, dachte er an den Menschenauflauf vorhin! Kaum hatte der Geländewagen vor dem Haus gehalten, war ein Haushälter vor die Türe getreten, mehrere Angestellte waren ihm gefolgt und hatten sich aufgestellt, um ihn zu begrüßen.
Dann waren auch noch die Soldaten ausgestiegen, hatten sich als eine Art Ehrengarde angeordnet und der General hatte sich mit einem weiteren Gruß und einigen Worten verabschiedet. Alex fühlte sich furchtbar! Er wusste weder, wie er sich angemessen bei ihm bedanken sollte, noch wie er den wartenden Hausdienern begegnen sollte. Die hatten zwar den Blick überwiegend gesenkt - ein Zeichen des Respekts, wie ihm Mehmet erklärte - aber trotzdem immer wieder neugierig hochgelinst. Ein einziger Albtraum. Er fühlte sich wie in einem dieser Filme, wo sich die Hauptperson an dieser Stelle fürchterlich blamiert. Das Ansehen derartiger Szenen auf der Leinwand hatte ihn immer zu einem frechen Grinsen gebracht, verbunden mit dem Gedanken, wie man sich nur so daneben benehmen konnte. Nun wurde er eines Besseren belehrt!
Aber Mehmet hatte ihn mit leiser Stimme hindurchgelotst. Zu Alex großer Erleichterung hatte der Araber verkündet, dass er den Auftrag bekommen hatte, dem „Bruder der Scheicha“ so lange zur Verfügung zu stehen, wie dieser es für notwendig hielt. Der Dolmetscher hatte sich scheinbar wirklich gefreut, als der Deutsche ihm daraufhin versichert hatte, dass er dessen Dienste sogar für absolut unerlässlich hielt. Die gerade durchlebte Szene hatte ihm das klar vor Augen geführt.
Alex beschloss, sich erst einmal zu duschen und ging in das angrenzende Badezimmer. Zufrieden stellte er fest, dass auch dieser Raum hochwertig, aber ansonsten recht normal ausgestattet war. Es gab neben einem großen Waschbecken noch eine Wanne und eine Dusche. Alles blitzte vor Sauberkeit, aber es gab keinerlei sonstigen unmäßigen Luxus.
Er stellte sich eine ganze Zeit lang unter das angenehm warme, entspannende Wasser und machte reichlich Gebrauch von den wohlriechenden Ölen, die sich auf einem Regal an der Wand befanden.
Als er zurück in das Schlafzimmer kam, bemerkte er, dass jemand seine von der Reise völlig verschwitzte Kleidung entfernt hatte. Stattdessen hatte man ihm eine weit fallende, schwarze Stoffhose und ein weißes Baumwollshirt hingelegt. Neben dem Bett standen weiche Ledersandalen.
Alex wusste nicht, ob er sich ärgern sollte, dass sich jemand einfach in seinem Zimmer zu schaffen machte und dazu noch seiner Sachen bemächtigte, oder ob er nicht besser froh sein sollte, dass sich seine Kleidersorgen gerade auf angenehme Weise geklärt hatten. Vermutlich war es ein dezenter Hinweis, dass man seinen Stil als „unangemessen“ eingestuft hatte. „Inappropriate“, die Vokabel hatte er erst mit Hilfe seines iPhones nachschlagen müssen - es lebe die moderne Technik! - schien hier überhaupt ein wichtiges Wort zu sein.
Zögernd zog sich der Deutsche die bereitgelegten Kleidungsstücke an. Nur auf seine geliebten Turnschuhe verzichtete er nicht. Das wäre ja noch schöner!
Dann machte er sich voller neuer Energie und Tatendrang auf den Weg, um das Haus und das Grundstück zu erkunden.
Anfang März 2016 - Ortsausgang von Alessia: Ausgrabungsstätte - Das Wichtigste verschwiegen
„Das war total genial“, rief Zach, kaum, dass die Land Rover sich vor der Ausgrabungsstätte in Bewegung gesetzt hatten. „Habt Ihr ihre Gesichter gesehen, Herr?“, fragte er Tahsin begeistert.
Rayans Sohn lächelte nachsichtig über den Enthusiasmus seines Begleiters. Er gönnte Zach die kleine Schadenfreude, die dieser Angesichts der Verblüffung des Professors, als er ihre Identität enthüllt hatte, empfand. „Ja, die habe ich gesehen.“
Dann fuhr er fort: „Allerdings habe ich die Engländer nicht bewusst täuschen wollen. Es war mir nur wichtig, mit eigenen Augen zu sehen, ob die Behauptungen einiger Bürger aus Alessia wahr sind, dass dieser Professor sie wie Dreck behandelt.“ Er hielt nachdenklich inne. „Und wie es aussieht, stimmt das leider. Hast du die abfälligen Bemerkungen gehört, mit denen er von uns gesprochen hat? Als wären wir Insekten oder sonst etwas Unangenehmes.“ Er knirschte mit den Zähnen. „Was für eine überhebliche Person!“, meinte er kopfschüttelnd.
Dann machte er seiner Laune Luft: „Es ist überhaupt eine völlig bescheuerte Aufgabe, mit der mein Vater uns da beauftragt hat! Klar sind die Ausgrabungen interessant. Aber ich verstehe wirklich nicht, warum wir dafür extra aus Zarifa kommen mussten! Hätte der Bürgermeister das nicht selbst entscheiden können?“, genervt holte er sein Handy hervor, um seinen Vater anzurufen. Während das Gerät wählte und er auf den Klingelton wartete, beschwerte er sich weiter: „Ich wäre jetzt viel lieber in Zarifa bei den Männern, um bereit zu sein, falls ein Angriff der Feinde erfolgt.“
Zachs Begeisterung war nun deutlich gedämpft. Er war noch nicht lange mit seinem jungen Herrn unterwegs und so wusste er nicht, wie er mit dessen Schimpftiraden umgehen sollte. Immerhin hatte ihr Herr, der Scheich persönlich, ihnen diese Aufgabe übertragen. In seinen Augen war es eine Ehre. War es überhaupt angemessen, diese derart unverfroren in Frage zu stellen? Zach war emphatisch genug, dass er ahnte, dass es einen guten Grund gab, warum ihr Scheich Tahsin gerade jetzt weggeschickt hatte: Er wollte, dass dieser abgelenkt wurde. Die Wochen des Bangens und gleichzeitig die Belange des Stammes zu übernehmen, hatten seinen Sohn sehr schnell reifen lassen. Für Rayans Geschmack ein wenig zu schnell. Und dann diese grauenvolle Geschichte mit Ahmad! Der Diener war auf Tahsin Geheiß in die Höhle des Löwen gegangen und hatte teuer dafür bezahlt. Zach wusste, dass sich sein junger Herr dafür heftige Vorwürfe machte. Ein wenig Abstand vom aktuellen Geschehen war also genau das, was er jetzt nötig brauchte. „Euer Vater hat uns versprochen, es uns sofort wissen zu lassen, falls sich etwas rührt“, begann er beruhigend. „Im Ernstfall …“, er verstummte, weil der junge Scheich ihm in diesem Moment ein Handzeichen gab, dass sein Vater das Telefonat angenommen hatte.
Neugierig hörte der frisch verpflichtete Leibwächter dem Gespräch von Tahsin mit seinem Vater zu und stellte erleichtert fest, dass dieser sich jetzt gewählter ausdrückte. Rayans Sohn beendete das Thema mit den Worten: „Nein, nichts Außergewöhnliches sonst“, dann erkundigte er sich nach dem Stand der Dinge im großen Tal.
Nachdem er aufgelegt hatte, informierte der junge Scheich seinen Begleiter: „Keine Neuigkeiten, die Geräte sind installiert und Cho zeichnet die Daten auf.“ Es klang genervt. Mit jugendlichem Tatendrang wäre er am liebsten wieder durch die Weiten der Berge von Zarifa gestreift. Das Warten schlug ihm mehr und mehr aufs Gemüt, was der Grund war, warum Rayan ihm diesen Auftrag übertragen hatte. Anfangs hatte Tahsin protestieren wollen, doch dann sah er den Vorteil der Reise nach Alessia: Zumindest würde er nicht mehr tatenlos herumsitzen müssen.
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