Dann vergaß er das Thema Sicherheit, denn der umliegende Garten machte ihn sprachlos. „Wow!“, entfuhr es ihm.
Mehmet lächelte erfreut. „Das Anwesen ist wunderschön nicht wahr? Hier war Ihre Schwester untergebracht, um sich von ihrer Operation zu erholen.“
Alex erinnerte sich daran, in Carinas Buch davon gelesen zu haben. „Aber ich dachte, das Haus gehört einem Freund?“
„Sie sind gut informiert. Seine Exzellenz hat das Haus erst vor kurzem von diesem Freund erworben.“
Kopfschüttelnd wurde Alex klar, dass zwischen seinem Leben in München, wo seine Mutter und seine Tante darum kämpfen mussten, ihren Bauernhof zu bewirtschaften, damit noch einigermaßen etwas für sie abfiel und dem, was er hier und jetzt gerade erlebte, Welten lagen.
„Der Scheich muss ziemlich reich sein, wenn er einfach mal so ein so großes Grundstück kaufen kann“, entfuhr es ihm.
Mehmets Augen weiteten sich entsetzt. Offenbar hielt er diese Aussage für unangemessen. Er schien sich den Kopf zu zerbrechen, wie er reagieren sollte und so half Alex ihm aus der Misere, indem er schnell hinzufügte: „Vergessen Sie es. Das war unüberlegt.“
Einen Moment lang sah der Dolmetscher den Deutschen ratlos an, offenbar war Alex diesmal ein Opfer seiner Vokabelschwäche geworden. Verdammt, hieß „unoverthought“ etwa nicht „unüberlegt“?
Dann aber schien Mehmet sich den Sinn zusammenzureimen und lächelte erleichtert.
Alex jedoch war gerade mehr als deutlich die Schwäche in seinem ursprünglichen Plan aufgefallen: Wie hatte er eigentlich Informationen erfragen wollen, wenn er nur schlecht Englisch sprach? Arabisch schon mal gar nicht. Aber daran hatte er in seinem Eifer vor seiner Abreise in München nicht gedacht. Und da zumindest Tante Martha ein recht passables Englisch sprach, war auch für sie der Punkt Sprache gar keine Überlegung wert gewesen. „Vielleicht wäre besser sie statt mir gefahren“, überlegte er sich. Aber sie wurde auf dem Hof gebraucht. Außerdem war es jetzt für diese Bedenken ohnehin zu spät.
Umso mehr war er Mehmet dankbar, der offenbar nicht auf den Kopf gefallen war, und meist gut erriet, was er ausdrücken wollte, wodurch die Verständigung mit ihm wenigstens einigermaßen möglich war. Er hoffte bloß, dass dessen Auftrag nicht beendet war, sobald sie am Haus angelangt waren.
Anfang März 2016 - Ortsausgang von Alessia: Ausgrabungsstätte - Eine Fata Morgana
Als Tahsin die wenigen Meter von den Autos zurück zum Tisch des Professors im Inneren des Zelts ging, folgte Zach einen halben Schritt versetzt hinter ihm. Sein Gesicht war nun ernst, der jugendliche Charme komplett verschwunden. Er wirkte jetzt wie ein Krieger, den man trotz seines jungen Alters besser nicht herausforderte. Seine an Tahsins Schritt angepassten, fast lauernd wirkenden Bewegungen machten seine Funktion als persönlicher Leibwächter auch ohne Worte klar.
Zwei Schritte vor dem Professor blieb Rayans Sohn stehen und sah selbstsicher auf den Professor hinab. „Mein Name ist Tahsin Ibn Rayan Suekran al Media y Nayran. Mein Vater ist Herrscher von Zarifa und König der Tarmanen. Wie vom Stadtverwalter angekündigt, obliegt es mir, Ihren Antrag auf die Fortsetzung dieser Ausgrabungen zu prüfen.“
Er hielt inne, um seine Worte wirken zu lassen und dem Professor Gelegenheit zu geben, etwas zu erwidern. Doch der starrte ihn nur an, seine Brauen waren zusammengekniffen, als vermute er, dass dieses Schauspiel inszeniert war, um sich über ihn lustig zu machen.
Laura, die einen weiteren Fauxpas ihres Vorgesetzten befürchtete, machte einen Schritt nach vorne und begann: „Tahsin, hören Sie …“, doch weiter kam sie nicht, denn nun fühlte Zach die Ehre seines Herrn in Gefahr. Schon die ganze Zeit nervte ihn die beleidigende Haltung dieses Professors und nur der ausdrückliche Befehl Tahsins, sich während ihrer „Undercover-Mission“ wie ein normaler Jugendlicher zu verhalten, hatte ihn bisher davon abgehalten, seinem Unmut Luft zu machen.
„Die korrekte Anrede lautet ‚königliche Hoheit‘“, donnerte er grimmig, woraufhin Laura erschrocken zusammenzuckte. Megan dagegen sah ihn an, als sähe sie ihn in diesem Moment zu ersten Mal. Ungläubig fragte sie sich, ob es wirklich wahr sein konnte, dass sie die letzte Stunde mit dem Sohn eines Königs verbracht hatte? Wow! Das würden ihr ihre Freundinnen nicht glauben.
Tahsin hob beschwichtigend die Hand. „Schon gut Zach“, sagte er sanft. Aber nachdem ihm die Wirkung seines Titels auf Megan nicht entgangen war, freute er sich innerlich über den Hinweis.
Der Professor holte Luft, offenbar hatte er seine Sprache wiedergefunden. Doch bevor er etwas sagen könnte, wandte sich Tahsin an Laura. Er deutete eine Verbeugung an und sagte förmlich, aber mit warmer Stimme: „Laura ich danke Ihnen für Ihre Zeit und die ausführlichen Erklärungen.“
Und zum Engländer gewandt ergänzte er in frostigem Tonfall: „Ich werde mir nun Ihren Antrag durch den Kopf gehen lassen. Sie erfahren morgen meine Entscheidung.“
Damit drehte er sich um und stieg ohne sich nochmals umzusehen in den vorderen Wagen. In einer gut eingeübten Aktion waren auch alle anderen Personen innerhalb weniger Sekunden untergebracht und so schnell wie eine Fata Morgana waren beide Autos entschwunden.
Mitte April 2016 - Dubai: Kanzlei von Taib Riad - Ein neues Leben
Es lief insgesamt viel besser als befürchtet für Kasib: Nicht nur in Bezug auf seine körperliche Fitness und die Eingewöhnung in die Umgebung einer Großstadt, sondern auch bezüglich seiner Tätigkeiten im Büro. Dies lag vor allem daran, dass sein Vorgesetzter Taib Riad sehr geduldig mit ihm war. Kasib war sich nicht sicher, was sein neuer Boss seinen Kollegen über ihn erzählt hatte, aber während die anderen Anwälte in der Kanzlei ihn zum Glück ignorierten, waren die Anwaltsgehilfen allesamt sehr hilfsbereit. Entgegen seinen Befürchtungen lachten sie nicht über ihn, wenn er sich anfangs dumm anstellte. Zudem lernte er schnell, sodass eine einmalige Einweisung in Kopierer, Scanner oder Fax meist ausreichend war. Selbst seinen Computer beherrschte der Tarmane mittlerweile gut. Natürlich gab es auch im großen Tal von Zarifa eine durchaus fortschrittliche Ausstattung. Ihr Scheich, der selbst auf hochwertige Technik großen Wert legte, hatte nicht nur eine moderne Klinik nach neuestem Standard im großen Tal einrichten lassen, sondern auch die Schulklassen mit modernen Geräten bestückt. Aber Kasibs Ehrgeiz hatte stets den Kriegern gegolten, alles was ihm ihr Lehrer über Computer hatte beibringen wollen, hatte er verächtlich weggewischt. Nur wenn es sich nicht vermeiden ließ, hatte er sich mit dem Internet beschäftigt. Seiner Meinung nach brauchte ein guter Krieger eines: Schnelligkeit und Muskeln. Keine Platinen und sonstige Elektronik. Dass für die moderne Kriegsführung heutzutage Computer unerlässlich waren, hatte Kasib nie verstehen wollen. Vermutlich hätte ihn die Anwesenheit von Cho in den vergangenen Wochen und dessen Einsatz von Drohnen im Krieg um das große Tal von seinem Irrtum überzeugen können, doch dieses Abenteuer hatte Kasib komplett verpasst, weil er schon vor einigen Monaten nach Dubai gesendet worden war.
Lächelnd dachte Kasib erneut an seinen ersten Tag hier im Büro. Die elegante Ausstattung hatte ihn eingeschüchtert. Mehr als er das je für möglich gehalten hatte, weil er zum ersten Mal alleine auf sich gestellt war. Erst hier war ihm bewusst geworden, dass er in der Vergangenheit niemals wirklich alleine gewesen war. Stets war seine Familie oder die tarmanischen Krieger um ihn gewesen. Was den zur Schau gestellten Überfluss in Dubai anging, so war auch das eine völlig neue Erfahrung. Natürlich war ihr Herr Scheich Rayan Suekran al Medina y Nayran reich. Wie man munkelte sogar sehr. Doch ließ er sich das nie anmerken, zumindest nicht in seiner Heimat. In Zarifa legte ihr Herr Rayan keinen Wert auf Pomp. Entsprechend war sein Haus auf dem kleinen Hügel am Ende des großen Tals geschmackvoll, aber bodenständig eingerichtet.
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