»Was soll denn daran gefährlich sein?« Pelle lachte laut. »Ich muss doch nur im rechten Moment danach greifen – und schon hab ich ihn.«
»Wenn das dermaßen leicht ist«, überlegte Möhre erfreut, »dann fang ihn für mich.«
Pelle beugte sich weiter über den Rand hinaus. Seine Hand fuhr nach unten. Einige Handlängen trennten ihn noch von dem bunten Stern. Er musste zugeben, dass der Stern tatsächlich ein wunderschöner Stern war.
Pelle rutschte noch ein Stück weiter nach vorne.
»Pass auf, dass du nicht runterfällst«, rief Möhre erschrocken aus.
Doch Pelle hörte nicht auf sie. Der Stern war zum Greifen nah. Nur noch ein kleines Stück trennte seine Finger von dem Stern.
Als Möhre merkte, dass ihr Bruder immer weiter über den Rand hinaus hing, grapschte sie nach ihm und hielt ihn am Hosenbein fest. »Damit du nicht runterfällst«, flüsterte sie.
Und noch ein Stück rutschte Pelle nach vorne. Mit den Fingern erfasste er den Stern.
Doch der Stern mochte nicht gefangen sein. Er beeilte sich, eilig weiterzufliegen. Doch darauf war Pelle nicht gefasst. Noch während der Stern an Geschwindigkeit zunahm, rutschte das Mondmännchen von der Mondkante herunter und fiel hinunter auf die Milchstraße.
»Pelle!«, schrie Möhre, und wurde von ihrem Bruder mit in die Tiefe gerissen.
Schreiend flogen die Mondmännchen nach unten.
Den Stern hatte Pelle vor Schreck losgelassen.
Möhres Finger rutschten von Pelles Hose ab und sie fiel weiter nach unten, dabei entfernte sie sich immer mehr von ihrem Bruder.
»Möhre!«, rief Pelle ängstlich, als er seine Schwester an sich vorbeifallen sah.
Möhre drehte sich immer wieder um sich selbst, während sie immer tiefer und tiefer fiel. Zwischen Sternen hindurch. Verzweifelt versuchte sie, einen davon zu grapschen und sich daran festzuhalten. Doch ihre Finger griffen daran vorbei.
Pelle ruderte mit Armen und Beinen. Er tat alles, um zu seiner Schwester zu eilen. Doch das war nicht einfach, denn er hatte keinen Einfluss auf sein Fallen. Immer wieder rief er den Namen seiner Schwester. Doch von ihr kam keine Antwort.
Nur noch eine Haarspitze sah er von ihr. Sie wurde immer kleiner und kleiner. Irgendwann sah er sie gar nicht mehr.
Die Geschwister fielen und fielen, und das alles eines schönen Sterns wegen.
3 – Die Kuh von der Milchstraße
Der Sturz der beiden Mondmännchen ging immer weiter. Während Pelle um sich selbst herumpurzelte, kam Möhres Fall immer mehr ins Stolpern bis hin ins Schweben.
Die Geschwister wirbelten zwischen den Sternen hin und her. Die anfängliche Angst war in Begeisterung umgeschlagen. Pelle versuchte, nach einem der vorbeiziehenden Sterne zu langen, verfehlte aber jeden.
Möhre hingegen merkte auf einmal, wie sie in der Luft zum Stehen kam. Verwundert schaute sie sich um. Überall standen Kannen mit Milch. »Das muss die Milchstraße sein«, murmelte sie überrascht. Und noch während sie sich umschaute, kam eine Kuh daher getrottet. Die Kuh hob den Blick und schaute sie verwundert an. »Wer bist du denn?«, fragte sie und ließ den Blick nicht von dem Mädchen. »Bist du gekommen, um meine Milch zu stehlen?«
Möhre hockte unterdessen auf einer der Milchkannen. »Aber nein!«, rief sie empört aus. »Ich bin doch kein Dieb!«
In den Augen der Kuh schimmerten Zweifel. »Wenn du kein Milchdieb bist, wer bist du dann?«
»Ich bin Möhre. Ein Mondmännchen«, stellte Möhre sich vor.
Die Kuh schüttelte träge den Kopf. »Niemals bist du ein Mondmännchen. Mondmännchen, nur damit du das weißt, die wohnen dort oben auf dem Mond.« Ihr Blick schlich hoch zum Mond.
»Aber von dort komme ich doch!« Möhre stemmte ihre Ärmchen in die Seiten.
Der Kopf der Kuh wanderte rauf und runter, und wieder rauf. Als sie erneut mit dem Kopf schüttelte, grunzte sie: »Niemals kommst du von dort. Wie willst du denn hier runter auf die Milchstraße gekommen sein. Du erzählst mir doch Märchen. Glaubst anscheinend, dass Kühe dumm sind!« Entrüstet hob die Kuh den Kopf. »Sehe ich vielleicht wie eine dumme Kuh aus!«, brummte sie böse.
»Das habe ich doch gar nicht gesagt«, verteidigte Möhre sich. »Was kann ich denn dafür, dass du mir nicht glauben willst, dass ich vom Mond gefallen bin.«
Die Kuh brummte. Wieder kroch ihr Blick von Möhre zum Mond hinauf. »Wie willst du denn von dort hierher gekommen sein?«
»Das hab ich dir doch gerade gesagt. Ich bin heruntergefallen.«
»Ich weiß nicht«, begann die Kuh, zu zweifeln.
»Wenn Pelle da wäre, würde der dir schon sagen, dass ich nicht lüge«, klagte Möhre. Es fehlte nicht mehr viel, und sie fing zu weinen an.
»Pelle?«, wunderte die Kuh sich. »Wer soll das denn sein?« Sie zwang sich, das Mondmännchen streng anzusehen. »Noch eine, wie du? Eine Lügnerin?«
»Ich bin keine Lügnerin!«, schrie Möhre und stampfte mit ihrem Füßchen auf. In diesem Augenblick schwebte eine Wolke an ihr vorbei, und sie trat mit ihrem Fuß hinein. Bereits im nächsten Augenblick plumpste sie auf ihren Hintern und schwebte mit der Wolke davon.
Die Kuh schaute ihr verwundert hinterher. »Wusst‘ ich’s doch, dass du nur meine Milch hast klauen wollen.« Ihre Nasenlöcher bebten. »Trau dich bloß nicht noch einmal hierher. Milchdiebe, die mag man in der Milchstraße nämlich gar nicht leiden«, brummte sie Möhre hinterher, als plötzlich etwas auf ihrem Kopf landete. Sie verdrehte die Augen und schaute nach oben. »Noch einer von euch?«, knurrte sie.
»Entschuldigung. Ich bin Pelle. Ein Mondmännchen. Habe ich mich an einem Stern festgehalten gehabt. Doch als ich gesehen hab, dass du dich mit meiner Schwester unterhältst, habe ich mich einfach fallen gelassen«, erklärte Pelle. Suchend schaute er sich um. »Wo ist Möhre denn?«, fragte er die Kuh.
»Wenn du den Milchdieb vom Mond meinst, der ist fort.«
»Fort? Aber wohin denn?«
»Was geht mich das an. Wahrscheinlich will deine Schwester jetzt die Wolken klauen.« Die Kuh legte ein gefährliches Brummen in ihren Ton: »Aber nur keine Bange, wir hier oben lassen uns auch nicht die Wolken stehlen. Um dass das nicht passiert, gibt es den Wolkenwächter. Oder war es die Wolkenfrau?« Die Kuh wurde unsicher. Zornig schüttelte sie ihren Kopf, und Pelle, der nicht darauf gefasst war, flog in hohem Bogen von ihr herunter. »Ach, was weiß ich«, brummte sie, zornig auf sich selbst. »Hauptsache, ich habe verhindert, dass sie die Milch von der Milchstraße klaut.« Sie schenkte Pelle kein weiteres Wort, sondern ließ das Mondmännchen einfach stehen, und trottete die Milchstraße entlang. Dabei zählte sie die Milchkannen, um auch ja sicherzugehen, dass keine fehlte.
»Ach Wolke, was ziehst du mich fort von dort. Ich habe mich doch gerade versucht, mit der Kuh anzufreunden.« Traurig schaute Möhre hinter sich. Die Kuh sah sie immer noch. Und auch ihren Bruder, der auf dem Kopf der Kuh hockte. »Pelle, hier bin ich!«, rief sie, so laut sie konnte. Doch Pelle schien sie nicht zu hören. Immer weiter unterhielt er sich mit der Kuh.
»Dummer Kerl. Beinahe wären wir wieder zusammen gewesen, wenn nur diese doofe Wolke nicht gewesen wäre«, schimpfte Möhre.
Ein Donner zuckte über Möhres Kopf hinweg.
»Wie kannst du es wagen, eine meiner Wolken als doof zu bezeichnen«, knurrte es dicht an Möhres Ohr. Sie fuhr herum. Hinter ihr hockte auf einmal eine dicke Frau. Alt war sie. Ihr Gesicht voller Falten, und ihr Mund verächtlich nach unten verzogen. Böse schaute sie das Mondmädchen an. »Keiner hat gesagt, dass du uneingeladen auf einer Wolke reiten sollst. Ich weiß ohnehin nicht, wer dir erlaubt hat, eine meiner Wolken als Schlitten zu benutzen.«
Möhre schluckte. Die Wesen unterhalb des Mondes waren doch sehr eigenartig, stellte das Mondmädchen für sich fest. Doch sie traute sich nicht, es zu sagen.
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