Hapuseneb lächelte. „Die heiligen Miut werden sich über deine Besuche freuen, Prinzessin. Aber es gibt etwas weitaus Wichtigeres, das dich in Karnak erwartet. Es ist an der Zeit, dass du das Amt der Gottesgemahlin übernimmst ... so wie einst deine Mutter“, erklärte Hapuseneb feierlich. „Amun will es so.“
Sofort bekam Nofrures Blick einen ehrfurchtsvollen Ausdruck.
„Darf ich Nofrure nach Karnak begleiten?“, mischte sich überschwänglich Meritre ein, die ganz nach ihrer Mutter Hui kam und sich nicht darum scherte, ob es angebracht war zu schweigen oder zu reden.
Hatschepsut fiel auf, dass Satjah die Stirn runzelte und Thutmosis fragend ansah. Obwohl Thutmosis nur ein Jahr älter als Nofrure war, wirkte sie zart im Vergleich zu dem kräftigen Knaben. „Ich will nun doch meinem Vater Amun ein Opfer darbringen“, rief Thutmosis mitten in das Gespräch hinein. Es bestand kein Zweifel daran, dass er es hasste, wenn Nofrure im Mittelpunkt stand und nicht er.
Hatschepsut verbarg ihren Unwillen gegenüber dem Knaben und nickte Hapuseneb zu, der sich vor Thutmosis verbeugte und ihn ins Sanktuar führte.
Hatschepsut und Hui seufzten erleichtert, als der Knabe mit dem Obersten Propheten im Heiligtum verschwunden war – sogar Ipu, die Hatschepsuts Herzen längst nicht mehr so nah stand, wie in ihrer Jugendzeit, gestattete sich ein leidvolles Gesicht.
Hatschepsut beruhigte ihr Gewissen, indem sie sich sagte, dass Thutmosis bald keiner Amme mehr bedurfte. In einer oder zwei Nilschwemmen würden seine Lehrer, die Priester und der Kommandeur der Truppen die Ausbildung und Erziehung des störrischen Knaben übernehmen und dabei hoffentlich erfolgreicher sein als Ipu.
„Wo ist Senenmut?“, wandte Hatschepsut sich an Hui. Sie hatte ihren schweigsamen Gefährten die gesamten zwölf Tage des Festes kaum zu Gesicht bekommen. Senenmut verabscheute den Trubel der Festtage ebenso, wie er die Stunden, welche sie allein verbrachten, genoss.
Hui lächelte verschwörerisch. „Du weißt, Horus, der Vorsteher der Kornspeicher und Erzieher der Prinzessin ist kein Mann der Feste.“ Sie deutete eine leichte Kopfbewegung in Richtung der Rampe an, die hinunter zur zweiten Terrasse des Felsentempels führte. Hatschepsut verstand und lächelte. Ipu versuchte wie so oft, die Vertrautheit zwischen Hatschepsut und Hui zu ignorieren. Einst hatte sie die Stelle Huis innegehabt, doch nun war es, als läge eine Wand aus Granit zwischen ihnen. Hatschepsut bedauerte dies einerseits, andererseits war Hui vielmehr ihr Ka und ein Teil von ihr, als Ipu es jemals hätte sein können.
„Ich muss mit ihm sprechen wegen der Vorbereitungen für Nofrures Zeit in Karnak“, wandte Hatschepsut ein, während Hui und Ipu sich verbeugten. Hatschepsut war sich sicher, dass Ipu ahnte, dass der schweigsame Senenmut ihr längst viel mehr war als ein treuer Freund; der ganze Palast wusste es. Am Tag nannte Hatschepsut Senenmut bei seinen Titeln ... doch in der Nacht nannte sie ihn Bruder ihres Herzens.
Senenmut betrachtete die verblassenden Sterne in Nuts Leib, während er Schritte vernahm. Leise wie eine Katze suchten sie sich ihren Weg zwischen den Säulenkaskaden. Ein kurzes Lächeln huschte über sein ernstes Gesicht. Unvermittelt musste er an Hatschepsuts Begegnung mit dem schwarzen Leoparden im Goldland denken. Sie war gekommen. Für ein paar Stunden, in denen sie nicht Hatschepsut Maatkare, der Falke, Einzig Einer, Herr allen Lebens, sein würde, sondern nur die Frau mit dem Katzengesicht und den klug funkelnden Augen ... seine Geliebte.
Ihre Hände legten sich um seinen Leib, ihr Kopf mit dem kinnlangen Haar schmiegte sich an seine nackte Schulter. Senenmut schloss die Augen und spürte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann. Sie duftete nach Weihrauch und Salbe. Deine Haut ist aus Gold, deine Knochen aus Silber ... dein Haar aus Lapislazuli. Wie verzweifelt hatte er sich nach ihrer Liebe gesehnt, als sie ihm so unerreichbar erschienen war. Und selbst jetzt fiel es ihm schwer, ihr nur in den Nachtstunden nah sein zu können. Seine Geliebte war eine Göttin, die Tochter Amuns, und doch liebte sie ihn ... einen Sterblichen.
Ohne, dass er es verhindern konnte, drängten sich andere Bilder in Senenmuts Herz – düstere, verstörende Erinnerungen an seinen Besuch in den Balsamierungsstätten, als er seinen alten Diener Anen zu den Unberührbaren gebracht hatte. Er sah wieder die toten Augen der Königswitwe Ahmose vor sich und vernahm die verächtlichen Worte des Vorstehers der Balsamierungshäuser. Hast du je gesehen, dass einer von ihnen Knochen aus Silber gehabt hätte? Senenmut hatte Hatschepsut nie von seinem Besuch im Schönen Haus erzählt – dies war ein Geheimnis, das er nicht mit ihr teilen konnte. Angespannt ballte er die Fäuste und verkrampfte die Schultern.
Hatschepsut schien es zu bemerken, denn sie sah ihn fragend an. „Bedrückt dich etwas, Bruder meines Herzens?“
Senenmut schüttelte schnell den Kopf. „Es ist diese Nacht ... die Nacht der Toten. Ich muss an sie denken.“
„An die Toten?“ Ihre Stimme klang leise, so als würde auch sie an diejenigen denken, die bereits zu Osiris gegangen waren.
„An jene, die uns verlassen haben ... und an jene, die noch unter uns weilen“, antwortete Senenmut ernst. Er hielt diesen für einen guten Augenblick, über seine Sorgen zu sprechen. „Ich habe den Ausbilder deiner Leibwache in diesen Tagen selten gesehen. Man redet über ihn. Es heißt, er sei unnötig grausam zu den ihm unterstehenden Männern.“
Sie schmiegte sich wieder an ihn und seufzte. „Sary hat selbst viel Grausamkeit und Ungerechtigkeit erfahren ... er ist manchmal roh, aber mir treu ergeben.“
In seiner Erinnerung sah Senenmut das brennende Bernsteinauge jenes Mannes vor sich, voller Hass und Verbitterung. Er hatte nie jenes Vertrauen in den Goldlöwen legen können, das Hatschepsut hegte. „Du solltest ihn fortschicken.“
Wieder löste sie sich von ihm, dieses Mal trat sie einen Schritt zurück. Senenmut konnte den Unwillen in ihrem Herzen fast körperlich spüren. „Du redest wie Hui. Ich kann ihn nicht fortschicken.“
„Warum nicht? Es hat etwas mit jenem Mann zu tun, der vor vielen Nilschwemmen in der Festung Buhen gestorben ist, nicht wahr?“ Senenmut richtete seinen Blick wieder hinauf zum Himmel, durch den sich Fäden von Purpur und Orange zogen.
„Dies alles gehört zu einer Vergangenheit, deren Teil du nicht Teil bist.“ Hatschepsut nahm seine Hand und verschränkte ihre Finger mit den seinen. „Lass uns die Vergangenheit vergessen und in die Zukunft schauen“.
Er gab nach. Re würde bald geboren werden, und Senenmut wollte die wenige Zeit, die sie miteinander verbrachten, nicht verderben. „Wie du es wünschst.“
Sie trat an ihm vorbei und sah hinunter auf den Vorhof des Tempels. Obwohl sie noch immer den Männerschurz und ein kurzes Hemd trug, war sie in diesem Augenblick nur Hatschepsut – nicht das glänzende Abbild Amuns.
„Ich habe einen Entschluss gefasst. Ich werde das Djeser Djeseru zu einem Ort machen, den Kemet noch nicht gesehen hat ... und ich werde neue Handelswege erschließen, um die leere Staatsschatulle wieder zu füllen.“
Senenmut wusste, dass sie ihre Entscheidungen lange vor diesem Tag getroffen hatte. In der letzten Zeit hatte sie sich oft mit den Priestern und Schreibern in Karnak beraten. Nun wandte sie sich ihm zu, und ihre Augen leuchteten. „Ich werde Schiffe nach Punt entsenden, damit sie dort Handel treiben und die Gaben dieses wundervollen Landes nach Kemet bringen ... so, wie es vor vielen Nilschwemmen geschehen ist ... Weihrauch ... den Schweiß der Götter, Elfenbein, edle Hölzer.“ Sie machte eine ausladende Geste in Richtung des Tempelvorhofes. „Ich will auch in Kemet Weihrauchbäume anpflanzen ... nicht dort, wo das Volk sie nicht sehen kann, weil es den Tempel nicht betreten darf.“
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