»Ich würde ihnen sagen, dass ich mit dir in ein Zeugenschutzprogramm gegangen bin, Isa. Um dich zu schützen, aye. Ich wünschte, ich könnte ihnen sagen, dass ich glücklich bin und gesund. Ich würde ihnen erklären, dass ich es freiwillig getan habe aus Liebe und weil ich ein Mann bin, der seinen Stolz hat. Mein Vater würde es verstehen, denn auch er schützt die, die er liebt!« »Es war und ist eine ziemlich schwierige Geschichte, Sir. Isandora bekam wohl einen Anruf, der sie vom Unfall ihres Sohns Samuel in Kenntnis setzte. Sie war völlig verzweifelt, lief zum Strand, wo ein Boot sie abholte. Euer Sohn folgte ihr ...«, begann er vorsichtig mit seiner, für ihn selbst ebenfalls komplizierten, Erklärung. Wie hießen diese Boote ohne Ruderer noch mal? »Sie wollen mir ernsthaft weismachen, dass mein Sohn einfach mit einer Fremden durchbrennt, ohne irgendjemandem etwas zu sagen? Warum keine Nachricht? Weshalb kein Anruf? Ich glaube Ihnen nicht ein einziges Ihrer schöngeredeten Worte, Raven!«
»Davor hat mich Ian Mac gewarnt. Mein Vater hat denselben Dickkopf wie ich, pflegte er zu sagen. Euer Sohn wusste in diesem Moment noch nichts von dem Zeugenschutzprogramm, in dem die Frau, in die er sich verliebt hatte, steckte«, antwortete er selbstsicher und betete zu allen Göttern, die er kannte, dass er nicht gezwungen wurde, zu erklären, was ein Zeugenschutzprogramm war. Alles, was er wirklich darüber wusste, beschränkte sich auf die Vermutung, dass man seine wahre Identität aufgeben musste. Unglücklicherweise konnte er sich nicht an mehr erinnern. In den Gedanken von Ians Vater herrschte Chaos. Er fühlte, dass der Mann versuchte, ihm Glauben zu schenken, sich aber noch immer nicht wirklich schlüssig war, was Nikomas Rolle anbelangte. »Ein Zeugenschutzprogramm, sagt Ihr?«, hakte der Chief mit fester Stimme nach. Nur seine unruhigen Hände, die immer wieder durch die graue Haarpracht strichen, so dass diese aussah, wie von einem Sturm zerzaust, ließen einen Außenstehenden erahnen, wie es um sein Nervenkostüm bestellt war. Nikoma schöpfte Hoffnung. Wie gut, dass ihm Fortuna in dieser Welt hold war. In seiner eigenen Welt war der Bote der erste, welcher den Kopf verlor. Er bestätigte mit einem stummen Nicken. Für den Moment war die Gefahr seiner Enttarnung gebannt. Illusionen machte er sich jedoch nicht. Wenn der Clan Chief tatsächlich aus demselben Holz wie sein Sohn war, würde er ihn systematisch in die Mangel nehmen und es war fraglich, ob sein Lügengebilde dem standhalten würde.
Warum war das Schicksal derart grausam zu ihm? Es hatte ihm weder die Frau, die er liebte, gelassen, noch die Heimat. Selbst dem eigenen Fleisch und Blut beim Wachsen und Gedeihen zuzusehen, war ihm verwehrt geblieben. Jetzt war er in einer fremden Welt gestrandet, wo ihm selbst der Weg in die heiligen Hallen seiner Ahnen verwehrt worden war.
»Nun, belassen wir es einstweilen dabei, Raven. Da Sie ein Freund meines Sohnes sind, stehen Ihnen die Gastfreundschaft und der Schutz meines Clans zu«, erklärte Ians Vater im Plauderton, während Nikoma ihm wie selbstverständlich zum Castle folgte. Weder die herbstliche Farbenpracht des Gartens, noch die imposante Erscheinung Dunvegan Castles, das am Ende ihres Weges in Sichtweite erschien, konnte sein hungriges Wesen von der pulsierenden Halsschlagader seines Vordermanns ablenken. »Ich bin mir sicher, dass Ian von seinem Zuhause erzählt hat, oder nicht? Und wenn er es nicht getan hat, so wird Càtroina doch einiges zum Besten gegeben haben.« Er hatte die junge Frau ganz vergessen, die sich nun hinter seinem Rücken räusperte und die ganze Zeit, für ihre Verhältnisse, ziemlich wortkarg gewesen war. »Bin nicht dazu gekommen«, erwiderte sie kleinlaut, wobei sie den Eindruck erweckte, sich in Luft auflösen zu wollen. Der Clan Chief war also eine Respektsperson, dem es allein durch seine Anwesenheit gelang, dem losen Mundwerk dieses Welpen Einhalt zu gewähren. »Lass, bei deiner Gastfreundschaft ist noch Luft nach oben«, entgegnete der große Mann mit einem freundlichen Lächeln, an Cat gewandt, die ihm plötzlich noch jünger vorkam als zuvor, und widmete sich dann wieder ihm. »Duncenbar, aye. Noch nie gehört. Aber Gott weiß, es gibt etliche kleine Inseln in den unendlichen Weiten des Meeres, nicht wahr? Selbst wir in Schottland haben um die 790 Inseln, davon sind aber nur 130 bewohnt. Sie sind auf einer der größten davon. Ich lasse Ihnen ein Gästezimmer in einem der Nebengebäude des Castles herrichten. Colin berichtete von dem Desaster mit Ihren Papieren. Für ein paar starke Hände gibt es bei uns immer Arbeit. Kost und Logis frei, kleines Gehalt. Verstehen Sie mich nicht falsch. Reich werden Sie bei uns nicht, Raven. Aber es reicht zum Leben, bis Sie wieder auf die Füße gekommen sind und Papiere haben.« »Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet, Chief MacLeod«, antwortete er fest und schlug in die Hand ein, die ihm der große Mann reichte. Er war sich ganz genau bewusst, dass er nur deshalb im Nebengebäude untergebracht wurde, damit man ihn besser im Auge behalten konnte, und er dennoch weit genug von der engeren Familie entfernt war. Eine Strategie, die er selbst gerne benutzte. Immerhin war der Feind, den man kannte, besser, als der der einen hinterhältig überraschte. »Nichts zu danken. Sie haben ja Glück im Unglück. Colin ist Inspektor bei der hiesigen Polizei, und findet mit deren neuen Methoden sicherlich das eine oder andere heraus.« Sie wichen einigen der ersten Touristen aus, von denen vor allem ein Mann in seltsamer Kleidung ihre Aufmerksamkeit erregte und so alle von seinen kurzzeitig entgleisten Gesichtszügen ablenkte. Verflucht, er hatte den Umstand, dass Cats Vater Colin ein Polizist war, vollkommen verdrängt. Durch ein imposantes Portal betrat er zum ersten Mal Ians Zuhause, Dunvegan Castle. Beeindruckt ließ er sich von Raum zu Raum führen, betrachtete verschiedene Waffen, verglich Ahnengemälde mit seinem vermissten Freund. Der Clan Chief sprach von historischen Daten, ebenso wie von längst vergangenen Legenden. Die Geschichten und Worte nahm er zwar wahr, ihr tieferer Sinn jedoch blieb ihm verborgen, zu sehr war er mit sich selbst und seinen Gefühlen beschäftigt. Da war er nun, ein Geschöpf aus Mythen und Legenden, das in dieser Welt längst nicht mehr existieren dürfte. Beim Anblick der ‚Fairy Flag‘ zog sich sein Herz schmerzvoll zusammen. Das Bildnis von Ria der Hexe in seiner Erinnerung war so klar, als stünde die Frau hier, direkt vor ihm. Für den Bruchteil von Sekunden verlor er den Boden unter den Füßen. Was war er nur für ein Narr gewesen. Viele der Dinge, die Isa ihm erklärt und ihn in ihren Erinnerungen hatte sehen lassen, waren für ihn nur seltsame Trugbilder gewesen. Manchem davon hatte er keinen Glauben geschenkt. War es seinen Freunden in seiner Welt ebenso ergangen? Hatten sie das gleiche Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit verspürt, das nun ihn quälte? Eine verwirrende Anzahl von Gängen später, verließen sie Dunvegan Castle und folgten durch ein kleines Holztor, einem kleinen Fußweg, welcher sie zu den, für Besucher unsichtbar gelegenen, Personalunterkünften führte. Dort befand sich sein zukünftiges Zimmer. Laut dem Chief, verfügten die Gästezimmer über die allerbeste Lage und Aussicht. Nikoma musste ihm einerseits zustimmen, andererseits fühlte er sich von Fortuna vorgeführt, da ihm, aus dem vierten Stock, die kleine Landzunge des Strandes, und mit ihm das Steinerne Tor, nun jeden Tag genau vor Augen stand. Ist das meine Buße? Du musst mich wahrlich hassen, Göttliche Blume!, brüllte er in Gedanken, ohne einen einzigen Ton von sich zu geben oder sich eine Gefühlsregung anmerken zu lassen.
»Lass das Fensterbrett ganz, Raven! Du brauchst dich nicht daran festzukrallen. Die Personalunterkünfte sind zwar alt, verfügen aber über eine super Bausubstanz und brechen nicht unter dir weg! Du hast doch keine Höhenangst, oder?«, rief sich das Mädchen neben ihm belustigt in Erinnerung, bevor sie sanft seine Finger in die ihren nahm, um diese vom Fensterbrett zu lösen. Himmel, er hatte tatsächlich erneut vergessen, dass sie ihn begleitet hatte.
Читать дальше