„Gut, wenn es da Fotos gibt, werden wir sie finden. Danke, Jenna, du kannst jetzt mit deiner Mutter heimfahren.“
„Darf ich mich noch von meinen Freundinnen verabschieden?“
„Bitte. Und schicke mir Conny Bartozschka herein. Mit ihren Eltern.“
Jenna verließ das Zimmer, Norma Wartenfels trat zur Kommisssarin und sah sie traurig an.
„Es tut mir leid, Frau Böschinger, sie ist sonst nicht so. Das ist sicher der Stress, weil ihre beste Freundin ermordet wurde. Es tut mir so leid. Wenn das stimmt mit dem Lehrer, dann gehört der bestraft! Bitte finden Sie den Täter. Vielleicht war der Mann es auch selbst, weil er die Kleine zum Schweigen bringen wollte.“
„Wir werden allen Spuren nachgehen. Bitte kümmern Sie sich jetzt um Jenna, sie braucht Sie.“
Die Frau verschwand und Delia war in diesem Moment klar, dass der ganz Fall noch riesige Ausmaße annehmen würde. Sie seufzte, als Conny mit ihren Eltern das Zimmer betrat.
„Um das gleich klarzustellen, meine Dame“, begann Ruby Bartozschka, Mutter von Conny und Anwältin, angriffslustig, „meine Tochter hat mit dem Tod des Mädchens nichts zu tun. Sie können uns also hier nicht festhalten.“
„Stopp!“, rief Delia. „Wir befragen die Kinder nur über den Ablauf des gestrigen Abends. Nicht mehr. Also bleiben Sie ruhig und halten Sie sich bitte im Hintergrund, damit ich die Fragen stellen kann.“
„Ruby, komm“, sagte ihr Mann freundlich und legte eine Hand auf ihren Arm. „Wenn unser Kind tot wäre, würdest du fordern, dass man alles genau aufklärt. Lass die Kommissarin arbeiten.“
Als wäre eine Wolke des Friedens durch den Raum geschwebt, beruhigte sich die Frau urplötzlich und Delia sah die Liebe in den braunen Augen von Felix Bartozschka. Dann lächelte er die Kommissarin an. Sie wusste, dass der Mann Filmmusikkomponist war und dass er nur Musik für Liebesfilme schrieb.
„Gut, dann beginnen wir“, erklärte Delia und stellte Conny dieselben Fragen wie Jenna.
Das Mädchen bestätigte ebenfalls die Übergriffe des Lehrers auf Sandy und in diesem Moment hielt es ihre Mutter nicht mehr auf dem Stuhl. Sie sprang auf und kündigte einen großen Sturm an, der über Jakob Wildmann hereinbrechen würde.
„Frau Bartozschka, seien Sie versichert, wir gehen hier allen Anschuldigungen gründlich nach. Bitte schlagen Sie dem Herrn nicht schon den Kopf ab, es wäre nämlich sehr unangenehm, wenn sich seine Unschuld herausstellt.“
„Pah! Meine Tochter erfindet doch so etwas nicht. Und wenn er sich an den Mädchen vergriffen hat, kann es doch auch sein, dass er die arme Sandy aus dem Weg geräumt hat.“
„Wie gesagt, wenn es so ist, werden wir das herausfinden. Conny, noch einmal, was weißt du über gestern Abend?“, wandte sich Delia wieder an das Mädchen.
„Sie wollte aus dem Fenster klettern und irgendwann wiederkommen.“
„Hast du sie gesehen, als sie aus dem Fenster geklettert ist?“
„Nein, sie war ja bei Jenna im Zimmer.“
„Gut, das war es dann erst einmal. Deine Eltern können dich jetzt mit nach Hause nehmen. Schick mir bitte Isabella.“
Die Familie verließ das Zimmer und Delia hörte draußen vor dem Fenster die harte Stimme von Ruby: „Leute, der Lehrer hat sich an unseren Kindern vergriffen. Der kann was erleben!“
Ein großes Gemurmel begann und so kamen Isabella und ihre Eltern schon geladen ins Zimmer. Delia bot ihnen einen Platz an und Henriette und Isabella setzten sich, aber Joerg Mendricks, erfolgreicher Immobilienmakler, lief unruhig auf und ab.
„Das hat Konsequenzen!“, rief er zornig und schlug mit der Faust in die Luft. „Ich wünsche, dass dieser Kerl bestraft wird.“
„Herr Mendricks, wir werden dem selbstverständlich nachgehen. Ich möchte mich jetzt mit Isabella unterhalten.“
Sie stellte die gleichen Fragen wie den anderen Mädchen und bekam die gleichen Antworten. Dann war auch Familie Mendricks wieder aus der Tür heraus. Sie befragte nacheinander noch die zehn anderen Mädchen aus der Klasse, aber die konnten über den Abend nichts sagen, auch zu den Anschuldigungen gegen Jakob Wildmann nicht.
Lene, die die Clique hasste und stets von ihnen schikaniert wurde, sagte, ehe sie den Raum verließ: „Vielleicht wollen sie Herrn Wildmann nur damit schaden. Ich glaube, die sind zu allem fähig. Wahrscheinlich haben sie sich abgesprochen.“
„Danke für deine Offenheit, Lene“, sagte Delia.
Roberto hatte die Jungen befragt und noch einmal in der Gruppe mit den aufgeregten Eltern geredet. Die Anschuldigungen gegen Jakob Wildmann wurden direkt laut ausgesprochen. Der Kommissar hatte zugehört und jetzt saß er auf der Bank unter dem schattigen Blätterdach und grübelte.
Sagten die drei Mädchen die Wahrheit? Sein Eindruck vom Klassenlehrer war sehr positiv gewesen, aber jetzt hatten sich Zweifel in seinem Kopf ausgebreitet. Der Lehrer sah gut aus und er war sehr charmant. Die Mädchen betonten ihre Weiblichkeit und geizten nicht mit ihren Reizen. Konnte Jakob Wildmann dem Reiz von Sandy erlegen sein?
Gleichzeitig war ihm schlecht. Seiner Schwester hatte man damals auch vorgeworfen, dass sie mit ihrer Kleidung und der betonten Lässigkeit den Täter aufgefordert hatte, sich an ihr zu vergreifen. Diese Gedanken spukten immer wieder in seinem Kopf herum, denn auch wenn sie nackt durch die Gegend gerannt wäre, hätte das niemand als Einladung auffassen dürfen, sie zu berühren. Endlich trat Delia auf den jetzt stillen Hof und setzte sich neben ihn.
„Ist der Lehrer einer, der kleine Mädchen verführt?“
Roberto erhob sich, streckte sich und antwortete: „Das müssen wir jetzt herausfinden. Da kommt er. Fragen wir ihn.“
Jakob Wildmann kam arglos zu ihnen herüber und lächelte.
„Alle Kinder und Eltern sind jetzt heimgefahren. Brauchen Sie mich noch? Oder meine Kollegin?“
Delia erklärte, dass sie mit Stefanie reden würde und bat Roberto, das Gespräch mit Jakob zu führen. Er nickte und bat den Lehrer ins Haus. An der Tür prallte er mit einem düster aussehenden und komplett tätowierten Mann zusammen.
„He! Pass auf, du Penner!“, fuhr dieser den Kommissar an.
Roberto hielt ihm seinen Ausweis vor die Nase und fragte den Mann, wer er sei. Der gab an, der Hausmeister dieses Jugendheimes zu sein.
Der Mann Mitte dreißig sagte mit lauter Stimme: „Paul Ohek. Die Kleine ist wirklich hin?“
„Was meinen Sie mit hin?“
„Na tot oder etwa nicht? Die kleine Schlampe hat das echt verdient. So eine diebische Elster habe ich lange nicht mehr erlebt.“
„Was meinen Sie damit?“
„Die hat geklaut wie ein Rabe.“
Roberto, dem das großkotzige Getue auf dem Nerv ging, dachte: Ich denke, sie ist eine Elster? Aber dann wischte er den Gedanken weg und fragte, was Sandy gestohlen haben sollte.
„Beim Essen hat die immer mal ein paar Getränke eingesteckt. Und dann hat sie den Automaten mit dem Süßkram aufgeknackt.“
„Woher wissen Sie das?“
„Ich habe sie erwischt.“
„Und dann?“
„Nichts.“
„Was nichts?“, fragte der Kommissar und blieb ganz ruhig.
„Da hat man eh keine Chance. Die kleinen Pisser nehmen sich doch heute, was sie wollen. Ich hasse diese miese Brut und dann kommen die in unser Haus und haben keinen Respekt. Kein bisschen!“
Zum Ende hatte Paul Ohek fast geschrien und tiefe Zornesfalten zeigten sich auf seiner Stirn. Seine Augen blitzten bösartig und die Lippen waren ein Strich.
„Kann es sein, dass Sie das Mädchen dafür bestraft haben?“
Nun hob Paul abwehrend beide Hände und begann zu fluchen.
„Sie spinnen sich ja verdammt dämliches Zeug zusammen. Das ist eine verdammte Frechheit. Ich hätte sie verdammt nochmal zerquetschen können wie eine Fliege, aber ich habe die nicht angerührt, das müssen Sie mir verdammt nochmal glauben.“
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