Baxter zielte auf den Kopf des Butlers und schoss seine letzte Kugel auf ihn, doch der Schuss prallte an der Schulter des Dieners und dann am metallischen, gesichtslosen Schädel ab. Der äußere Angriff hatte keine Wirkung auf ihn, doch in seinem Inneren entfachte plötzlich etwas: Die Zangen sprangen auf und die verborgenen Mechanismen von Mary entfalteten sich mit gewaltiger Kraft. Der Butler schwankte auf seinen langen Beinen kurz nach hinten, während sich die Maschine in der Luft inkonsistent wandelte, drehte, und anschließend wieder in Frauenform auf den Boden prallte.
Mit letzter Kraft rannte Baxter erneut auf den Automaten zu, als er begriff, dass die Maschine unbemannt nicht wirklich kämpfen konnte. Er stand nur ein paar Fuß von Mary entfernt, doch der Butler stand ihm auch gegenüber und verpasste ihm mit seinen langen Beinen einen heftigen Tritt in den Bauch. Schmerzend fand Baxter sich nun auch auf dem Boden wieder und musste übers Gras rollen, um weiteren Tritten auszuweichen. Schneller als erwartet lag er schon der Länge nach auf dem Frauenkörper des Automaten, dessen Kleider nun zum Großteil aufgeknöpft lagen. Sofort fand er den roten Hebel und ließ die Maschine ihn mit Armbändern an seinen Handgelenken in die Luft heben, als sie sich wieder mit dem Rauschen einer Lokomotive entfaltete. Sie stützte Baxters Füße auf ein Paar Pedale und streckte zwei mechanische Arme mit Zangen, Röhren und zusammengeklappten Messern aus.
Der Butler hatte nicht mitbekommen, was um ihn herum geschah, und automatisch weiter den Weg zur Kutsche eingeschlagen. Mit drei Hieben der Zangen ließ ihn Baxter schon halb verschrottet umkippen.
Während er die Metallreste noch auf dem Boden dampfen sah, erklang zu seiner Rechten ein Pistolenknall, und er spürte ein starkes Brennen an seinem rechten Unterschenkel. Als er sich umblickte, sah er Swinston mit rauchender Pistole ängstlich auf ihn zielen. Mit einem Sprung stand Baxter schon über seinem Gegner und hob ihn mit der Zange am rechten Arm auf seine Augenhöhe hoch.
Was hielt Baxter nun davon ab, Swinstons Knochen zwischen den Zangen zu zerquetschen? Im Gegensatz zu seinem Kollegen, der die Mores seiner Zeit begriff und zu seinen Gunsten ausspielte, könnten wir über Roald Baxter aus den eben untersuchten Ereignissen folgern, dass er sich an die grundsätzlichen Prinzipien hielt, sie aber auf eigenartige Weise ausführte. Es waren mehrere der hier diskutierten Zusammenhänge, die ihn in eine Ausnahmesituation brachten. In einer solchen Situation tat er, was ein Gentleman hätte machen sollen, welches aber nicht dem gleicht, was die meisten, die als Gentlemen erinnert werden, tatsächlich getan hätten.
Baxters Bein hatte nur einen Kratzer abbekommen, wohl nur ein Splitter der Kugel, die gegen den Kampfanzug zerborsten war. Swinston war entsetzt davongerannt, sobald seine Füße wieder auf dem Boden waren. Nun war Baxter wieder alleine mit seiner Maschine, und sie stiegen beide in die Kutsche ein, um den Rückweg einzuschlagen.
Baxter hatte soweit verdrängt, dass die Maschine ihn vor den Schattenkäfern im Voraus gewarnt hatte. Es musste ein Fehler sein, denn ein Automat kann wie ein Mensch reden, aber nicht denken, und schließlich lag sie in jenem Moment auch noch halb repariert und zerstückelt auf dem Arbeitstisch. Nachdem er zum ersten Mal ihre inneren Mechanismen ausprobiert hatte, blieb er den Rest des Abends dabei, ihre Einzelteile zu studieren und sich detaillierte Skizzen von ihnen zu machen. So vergingen seitdem die meisten Abende, an denen Baxter nicht mit Fahrrädern und Kaffeemühlen oder mit den Briefen von Baronen und Nachbarn beschäftigt war. Trotzdem kam er immer noch nicht dahinter, was die Mechanismen eigentlich antrieb. Wie konnte eine Maschine solche Kraft besitzen, ohne Abgase von sich zu geben, ohne Dampfmaschine oder Ofen?
Auf dem Rückweg konnte er aber den Zweifel nicht mehr aus seinem Kopf verbannen. Auch in einer so außergewöhnlichen Situation hatte Mary auf seinen Ruf reagiert. Mary. Er nannte sie jetzt sogar bei einem Namen, obwohl er diesen nur aus der Not hatte erfinden müssen. Er entschloss sich zu einem Experiment.
„Mary, können wir reden?“, sprach er sie ernst an.
„Gerne, Meister. Worüber?“ Soweit konnte dies immer noch eine eingebaute Antwort sein. Daher wählte er als nächstes eine Frage, auf die er die automatische Antwort kannte:
„Wie fühlst du dich heute, Mary?“
„Ich verstehe nicht, was sie meinen, Meister.“
Baxter grübelte über die Antwort. Er hatte natürlich ein „Sehr gut, danke“ erwartet. Dies hätte gezeigt, dass sie doch gedankenlos sprach und keine Erinnerung an den Kampf dieses Abends hatte. Könnte ihre Verlegenheit dagegen bedeuten, dass sie auf eine solch alltägliche Frage nicht vorbereitet war? Er entschloss sich, auf die Frage des Gedächtnisses einzugehen.
„Kannst du mir sagen, was heute Abend passiert ist?“
„Gerne, Meister. Um 5:30 Uhr stellten Sie Ihre Reparaturarbeiten ein und zogen sich um. Um sechs Uhr stiegen wir beide in eine Kutsche, die uns in 47 Minuten bis zum Wealdstone Brook in Kingsbury brachte. Sie stiegen zuerst aus und baten den Kutscher, auf uns zu warten und nicht weiterzuerzählen, was er sehen würde. Darauf trafen wir Sir Arthur Swinston und seinen Butler. Um sieben Uhr baten Sie mich, fünf Yard entfernt vom Treffpunkt zu stehen und zuzuschauen. Dann verteilte der Butler die Pistolen und Sie und Swinston liefen in entgegengesetzte Richtungen, bis der Butler auf mich zusprang und mich fing. Sie befahlen mir, mich zu befreien und kamen anschließend auf mich zu, um mich als Waffe zu benutzen. Sie zerstörten den Butler und bedrohten Swinston. Anschließend stieg Swinston in seine Kutsche und wir in die unsere, wo wir uns jetzt befinden.“
„D-du kannst doch nicht auf so etwas programmiert sein... Hast du also tatsächlich alles verstanden, was um dich herum passiert? Heißt das, du kannst tatsächlich denken?“
„Das kann ich nicht selber beurteilen, Meister.“
Baxter spürte einen kalten Schauer seinen Rücken herunterlaufen und konnte auch selber nicht beurteilen, was er dazu dachte oder fühlte. Hatte er Angst, doch noch eine Frau vor sich zu haben? Davor, dass das, woran er wochenlang fasziniert gearbeitet hatte, am Ende doch ein unberechenbares und egozentrisches menschliches Wesen war? Oder bestand ganz im Gegenteil die Angst darin, solch ein fast menschliches Wesen vor sich zu haben, welches sich selbst als komplette Leere wahrnahm? Als er Mary in den Klauen des Butlers gesehen hatte, hatte es ihn erschrocken, das zu verlieren, worin er seinen Geist und sein Leben gelegt hatte, oder war es erschreckender, ein menschenartiges Wesen zu sehen, welches seiner eigenen Sicherheit gegenüber komplett indifferent war?
„Du kannst tatsächlich denken...“, murmelte Baxter heiser. „Vielleicht auch sogar fühlen...“
„Ich danke Ihnen, Meister.“
Und wenn dem so war, dann war die Warnung vor den Schattenkäfern auch kein Fehler gewesen, und Mary wusste viel mehr über sich selbst, als Baxter dachte, vielleicht hatte sie sogar einen anderen Namen als Mary und die Antwort, die er so lange in ihren Mechanismen gesucht hatte, konnte sie direkt beantworten, wenn er nur die richtige Frage stellte. Baxter musste unbedingt weiter fragen. Er entschloss sich, weiter zu reden, und schaute ihr tief in die schwarzen, reglosen Augen. Bevor er es dann merkte, waren sie schon zuhause und stiegen aus. Es war für Baxter ein langer Tag gewesen und, ärgerlich wie es war, brachte er nicht mehr die Kraft zusammen, um so tiefe Fragen zu stellen. Mary half ihm, seine Kratzer und blauen Flecken zu behandeln, aber erst als Baxter sie darum bat. Irgendwann würde er sie nach ihrer Vergangenheit fragen, dachte er, aber heute war er dafür viel zu müde.
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