Mit einem eisernen Balken befestigte sich eine Stahlplatte vor seiner Brust und presste seinen Rücken an die enorme entfaltete Maschine, die ihn hoch hob, und seine Füße auf ein Paar Pedale stütze, während sein Kopf leicht an die Decke des Arbeitszimmers stieß. An seinen Armen entlang streckten sich Eisenstangen mit mehreren Klinken und Hebeln, mit denen sich zwei mechanische Arme mit Zangen, Röhren und zusammengeklappten Messern kontrollieren ließen. Die Struktur stützte sich auf zwei riesige Beine die an einer Heuschrecke erinnerten. Ansonsten standen Baxters Kopf und Unterkörper nach vorne noch unbedeckt. Aus seiner Position konnte Baxter im Moment nicht viel mehr vom ratternden Gerüst ausmachen, an dem sein Rücken befestigt war. Er fragte sich eher, wie so viel Mechanik in den Frauenkörper gepasst hatte, doch bevor er weiter nachdenken konnte, stürzten die Schattenkäfer wieder auf ihn zu.
Intuitiv drehte er am Hebel in seiner rechten Hand, worauf die Zange am rechten mechanischen Arm das nächstliegende Monster schnappte. Ein weiteres Drehen des Hebels und die Zange quetschte das Viech entzwei. Ein weiterer Käfer versuchte, an seinem linken Arm zu nagen, worauf Baxter einen Knopf drückte, der ein Messer ausfuhr, welches das Biest aufspießte. Es ließ ein dumpfes Ächzen wie prasselnde Asche vernehmen, als es zersprang, aber es war keinerlei Blut zu sehen. Eher schien eine Art Dunst die Körper der Wesen zu verlassen, doch das konnte genauso gut eine optische Täuschung sein.
Die anderen Käfer wandten sich inzwischen dem Fenster zu. In einer normalen Situation hätte Roald Baxter wie jeder vernünftige Mensch seiner Zeit die Angreifer gehen lassen. Die vielen Stunden theoretischen Tüftelns hatten in ihm aber einen starken Durst nach praktischen Experimenten erweckt. Er konnte sich nicht die Möglichkeit entgehen lassen, sein neues Gerät weiter auszuprobieren. Mit einem heftigen Tritt auf beide Pedale brachte er das Gerüst dazu, aus dem Fenster zu springen, wobei er auch einen Teil des Fensterbretts mit sich nahm. Mitten in der Luft entfaltete er das Messer des rechten Armes und durchhackte noch ein Insekt. Doch inzwischen war es auch schon Zeit, irgendwo zu landen, und Baxter strampelte hastig auf den Pedalen, um sich auf das Dach des Nachbarhauses zu stützen, auf dem die Maschine krachend die Ziegel zerschmetterte. Eine Sekunde lang baumelte sie am Rande des Daches, von wo Baxter die drei Stockwerke hinunter auf die Gasse sah, aus der ihm zwei schockierte Passanten entgegenblickten.
Über seine Schulter konnte er noch die zwei Käfer sehen, die über die Dächer des Pimlico-Viertel davonflogen. Er versuchte die Balance zu bewahren und zog einen weiteren Hebel neben dem Knopf für das linke Messer, womit das Schwert, noch an einer Kette befestigt, aus seinem Sockel schoss und den vorletzten Käfer aufspießte. Den allerletzten entschloss sich Baxter noch über die Häuser hinweg zu verfolgen. Einen Schritt nach dem anderen balancierte er über die wackeligen Dachrinnen und zerbrechlichen Ziegel, erst vorsichtig, dann immer schneller, bis er flink von einem Dach zum anderen sprang und den Schattenkäfer einholte und zerschnitt.
Für den Heimweg stieg Baxter hinunter auf den Bürgersteig. Der Apparat nahm wieder die Form einer Frau an, welche er in seinen Armen durch die Straßen trug. Wer sie so gesehen hätte, könnte, wenn auch aus den falschen Gründen, geahnt haben, dass sich von diesem Punkt an eine unmögliche Liebe entfalten würde.
Kapitel 2: Das Duell und die Gesetze des Automatismus
Was heute der londoner Vorort von Kingsbury ist, war bis Ende des 19. Jahrhunderts eine weitgehend unbebaute, ländliche Gegend, in der Gentlemen ihre Unterschiede auf diskrete Weise klären konnten, ohne den Rest der Gesellschaft zu belästigen. Wichtiger sogar als die eigene Ehre bei einer Herausforderung zu verteidigen, war es Gerüchte oder gar Skandale zu vermeiden, die die Integrität einer Person in Zweifel stellten. Als es im Fall Baxter so weit kam, stand er in Kingsbury vor dem Wald, eine halbe Meile vom Bach entfernt. Der düstere Butler trat ihm entgegen, und Baxter nahm eine der beiden Pistolen aus dem mit roten Samt ausgelegten Etui. Sogar jetzt, wo er vor ihm stand, konnte er unter dem großen Zylinder des Dieners kein Gesicht erkennen, da das sich löschende Abendlicht es überschattete. Der Zylinder der Enfield Mark 1 hätte bis zu sechs Schuss tragen können, enthielt aber nur zwei Kugeln. Sobald Baxter dies überprüft hatte, drehte sich der Butler zurück zu seinem Meister, der ihm wie schon vorher auf den Rücken klopfte, bevor auch er seine Pistole nahm und sich mit Baxter Rücken an Rücken stellte. Dann gingen beide den ersten Schritt.
Als Arthur Swinston ihn aufgesucht hatte, saß Baxter an seinem Schreibtisch und beantwortete drei Briefe gleichzeitig. Genauer gesagt, Baxter schrieb an einem Brief, während ein Pantograph, der durch mehrere Holzleisten an seiner Feder befestigt war, seine Bewegung mechanisch auf zwei weiteren Blättern wiederholte. Swinston trug seine blonden Haare glatt gekämmt und einen breiten, gepflegten Schnurrbart. Mit kleinen schwarzen Augen blickte er freudig dem Gastgeber entgegen. Aus der Brusttasche seines schwarzen Fracks schauten ein Paar weiße Handschuhe. Unter dem Frack waren außerdem eine rote Weste und ein weißes Hemd mit Fliege zu sehen, welche den leicht gewölbten Körper des Gentlemans unauffällig machten. Mit makelloser Eleganz vervollständigte eine graue Hose das Ensemble.
Baxter stand nicht vom Schreibtisch auf, bis das Dienstmädchen seinen Besucher ins Zimmer ließ. Er hatte zu viele Briefe abzuarbeiten, seit er die Maschine gefunden hatte, denn die Rechnungen, die seine Nachbarn für die beschädigten Dächer geschickt hatten, waren nur der Anfang gewesen. Nachdem er sie im Kampf gegen die dämonischen Schattenkäfer öffentlich gezeigt hatte, wurde die Maschine von vielen begehrt und verfolgt. Da die Erscheinungen jenes Tages keine Spur hinterlassen hatten, fragte Baxter sich jedoch, ob solch merkwürdige Ereignisse nicht eher eine Täuschung gewesen sein könnten. Auch wenn er kein Naturforscher war, störte ihn der Gedanke von etwas, das sich in Dunst auflöste, anstatt einen toten Leib zu hinterlassen. Ihn plagte die Frage, ob man so etwas ein Lebewesen nennen könnte.
Real war aber, dass der Ingenieur und seine Maschine nun seit Wochen ständig verfolgt und befragt wurden, nicht von Untieren und Dämonen, sondern von Unternehmen und Aristokraten, die an der Technik interessiert waren. Er begann selber nur langsam zu verstehen, was er tatsächlich in den Händen hatte. Seine ganze Freizeit hatte er darin investiert, die inneren Mechanismen zu reparieren und zu verstehen, doch je mehr er sich damit beschäftigte, desto ferner schien ihm die Antwort und desto größer war seine Faszination. Dieses Rätsel würde er nicht verschwinden lassen, ohne seine tiefsten Ecken zu belichten.
Im Abendlicht ging Baxter den zweiten Schritt über den Rasen in Richtung des Waldes, der sich kurz von Dunkelgrün zu Orange färbte. Doch Baxters Gedanken waren nicht bei dem, was vor seinen Augen stand, sondern bei dem, was hinter seinem Rücken geschah. Wie dem auch wäre, er durfte sich nicht umdrehen. Er hatte sich willentlich auf dieses Abkommen eingelassen, und ging daher den dritten Schritt.
Im Gegensatz zu vielen anderen, die Baxter in letzter Zeit aufgesucht hatten, wurde Arthur Swinston als alter Kollege willkommen geheißen und begrüßt. Baxter entschuldigte sich, stand von seinem Arbeitstisch auf und drückte seinem Gast die Hand. Während das Dienstmädchen ihnen Tee einschenkte, erinnerten sich die Kollegen an ihre alten Zeiten, als sie sich zusammen für die Society of Engineers bewarben. Nach dem vielen Lernen hatten sie manchen lustigen Abend mit Bridge und Darts verbracht. Aber das lag inzwischen Jahre zurück.
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