Sobald er zuhause war, packte Baxter die Körperteile sorgfältig aus und ordnete sie auf seinem Arbeitstisch. Der Tisch war das einzige, was im Zimmer der Dachgeschosswohnung anständig beleuchtet war. In der Dunkelheit ringsherum tickten und ratterten mehrere eigenartige Uhren, Skalamodelle von neuartigen Eisenbahnen oder Dampfschiffen, und kleinere Hausgeräte, deren Zweck der Erfinder selbst nicht hätte erklären können, sollte jemand zufällig in seine Wohnung finden. Hätte jemand sich in sein Zimmer verirren und die Rollen und Hefte durchstöbern, die in den Ecken verstaubten, würde er eine Unmenge von aufwändigen Plänen finden, unter anderen für den Crystal Palace, die Victoria Station und die Tower Bridge wie sie hätten sein können, wenn die Entscheidung nur von Baxter abhinge. Leider hatte der Ingenieur bis zu diesem Tag keinen Auftrag bekommen, der seinem Ehrgeiz angemessen wäre. Und Besuch hatte er auch seit Jahren nicht mehr.
Stattdessen fand er sich dazu gezwungen, seinen Lebensunterhalt mit der Reparatur von Nähmaschinen und Spielzeug, in die er heimlich experimentelle Mechanismen einbaute, zu bestreiten. Der Automat, hoffte er, würde ihm viele Möglichkeiten zum Experimentieren geben und sich auch als modisches Objekt gut verkaufen lassen. Solche menschenartigen Maschinen waren auf Technikausstellungen zu einer wahren Sensation geworden, auch wenn sie nichts konnten als repetitive Sätze zu schreiben oder ein einziges Stück auf dem Klavier zu spielen. Da es aber eigentlich kein Mensch war, würde Baxter schon gut damit umgehen können.
Mit Pinzetten und Zangen ging Baxter an die Körperteile auf seinem Arbeitstisch und fischte den Seetang aus den Gelenken. Viel davon war tatsächlich mit der Maschine verwachsen, als hätte sie länger auf dem Flussboden gelegen. Als er es los war, setzte er eine Brille mit Vergrößerungsgläsern auf und machte sich daran, die kaputten Teile auseinander zu legen, um sie zu reparieren oder zu ersetzen. Außer den üblichen Messingteilen enthielt das Uhrwerk auch einige Stahlschichten. Die Materialien hatten nicht die Qualität, die inzwischen bei Herstellern wie Granthon Steels Standard war, sondern deuteten auf ein älteres Baujahr hin.
Um mehrere Jahre alt zu sein, aber vor allem um ein Imitat eines Menschenkörpers zu sein, war das System dagegen außerordentlich komplex. Es hätte Baxter gereicht, den Automaten dazu zu bringen, sich menschenartig zu bewegen, doch als er das Rückgrat besichtigte, merkte er, dass überhaupt viel zu viele Teile da waren, die keiner sichtbaren Funktion entsprachen. Statt einem einzigen zentralen Stapel von Kurvenscheiben, der in Automaten und Uhren dazu diente, die Bewegungssequenzen zu definieren, hatte dieser fünf unterschiedliche Achsen. Auch eine einzige Kurvenscheibengruppe hätte komplexe Bewegungen beschreiben können. Die Anwesenheit von mehreren hieß also, dass die Maschine unterschiedliche, voneinander unabhängige Operationen gleichzeitig realisieren sollte. Was waren das aber für Funktionen, und wie kam so ein außergewöhnliches Gerät in den Fluss?
Als er eine weitere Schraube an der linken Hüfte lockerte, sprang ihm plötzlich eine Pfeilspitze entgegen, deren gewaltiger Geschwindigkeit er nur knapp ausweichen konnte. Baxter lachte auf und dachte, dass er tatsächlich etwas viel Besseres als eine lebende Puppe in seinen Händen hatte.
Aufgeregt ging er wieder an die Mechanismen und forschte weiter. Die Bewegung der Kurvenscheiben führte ihn zurück auf eine kleine, verzierte Kiste, von der die meisten Mechanismen ausgingen. Die Kiste selbst hatte aber keinerlei Schrauben, die Baxter hätte ordentlich öffnen können, sondern nur ein kleines Schlüsselloch. Er beschloss, erst mal nicht zu riskieren, den Automaten zu beschädigen. Stattdessen verband er mit einer Kette, die lose hing, die unteren Kurvenscheiben mit einem der Räder, die sich an der Seite der Kiste befanden. Sobald dies zusammengefügt war, fing das Rad auch an sich langsam zu drehen und die Kette sachte durchzuziehen. Baxter wollte fast jubeln, bis er eine weibliche Stimme neben sich hörte.
„Wie darf ich Ihnen dienen, Meister?“
Der Freudenschrei zerfloss zu einem Schauder, der ihm kalt den Rücken runterlief. Langsam wandte er sich der Hälfte der Puppe zu, die er für das Innere der Maschine soweit außer Acht gelassen hatte. Der Automat hatte seine Augen auf Baxters Gesicht gerichtet und nahm nun auch seine Hand zwischen die hölzernen Finger. Der Ingenieur schrie auf, nicht mehr vor Freude, sondern vor Schreck, und wich in eine Ecke des Arbeitszimmers zurück, wo er eine Dampfmaschine scheppernd zu Boden stieß. Obwohl die Schrauben im Bauch des Automaten noch offen lagen, richtete die Maschine sich auf und verfolgte Baxter mit dem Blick.
„Sei still!“, kreischte er. „Leg dich hin!“
Schweigend ließ sich der Automat wieder auf dem Arbeitstisch nieder. Baxter betrachtete ihn einige Sekunden aus der Ecke, bevor er sich wieder heranwagte. Als er die Werkzeuge wieder ergriff, störte ihn ein leichtes Zittern in seinen Händen. Die Kette am kleinen Zahnrad tickte noch, aber ansonsten waren die Mechanismen wieder einen Moment lang reglos.
Dann sprach es wieder: „Wie darf ich Sie nennen, Meister?“
„War das jetzt der falsche Hebel?“, murmelte Baxter zu sich selbst. Dann antwortete er trocken, ohne dem Automaten ins Gesicht zu schauen: „Ich hab doch gesagt, du sollst still sein!“
„Es tut mir leid, Sie stören zu müssen“, sprach es, „aber es kann sein, dass uns jemand gefolgt ist.“
Baxter überlegte, was das für ein Spiel sein möge und wer bloß solche Sprüche in eine Puppe einbauen würde. Offensichtlich war das keine normale Puppe, aber welchen Sinn hatte diese Maschine dann? Was auch immer es war, dachte er, Teil des Sinnes war es, eine Maschine zu sein, und nicht eine Person, der man ehrlich antworten sollte. Ein Gespräch wäre also von vornherein zwecklos und Baxter entschloss sich fest dazu, es zu vermeiden. In diesem Moment hörte er das Fenster aufspringen.
Eine Sekunde lang blieb er immer noch auf die Arbeit konzentriert, doch als er sich endlich umdrehte, sah er, dass es nicht nur der Wind war, der in sein Arbeitszimmer eindrang. Da er noch die Vergrößerungsbrille auf hatte, fiel es ihm schwer, das widerliche Wesen zu erkennen, das direkt vor seinem Gesicht flatterte. Der Kopf schien aus mehreren ineinander verschachtelten Mäulern zu bestehen und die breiten Käferflügel ratterten garstig in der Luft. Baxter wich erschrocken zurück, nahm die Vergrößerungsbrillen ab und griff zu einem modifizierten Gewehr, das hinter der Tür des Arbeitszimmers lag. Jetzt erkannte er, dass sogar fünf von diesen schattigen Untieren ins Zimmer geflogen waren, und sie waren tatsächlich größer als sein eigener Kopf, doch auch mit seiner normalen Brille konnte er nicht ausmachen, wie viele zappelnde Glieder jedes von ihnen hatte. Vielleicht waren es gar keine Insektenbeine, sondern Tentakel. Die Fünf begannen um den Arbeitstisch zu schwirren und Baxter schoss auf sie los, doch die Kugeln prallten am dicken Exoskelett der Insekten ab. Drei von den Wesen stürzten sich nur umso schneller auf den Automaten, während zwei von ihnen auf den Mechaniker zu flogen. Mit dem Gewehrkolben schlug er die angreifenden Wesen zur Seite, und eilte verzweifelt auf den Apparat zu, um dessen Glieder sich schon die Klauen der anderen drei Viecher klammerten.
„Bitte betätigen Sie den roten Hebel“, sprach die Maschine mit unangebrachter Ruhe.
Zwischen den Brüsten des Automaten ragte jetzt ein großer Hebel hervor. Verwirrt ließ Baxter sich auf die Stimme ein und folgte ihrer Anweisung. Sobald er am Hebel gezogen hatte, durchfuhr ein Energieschlag Baxters Körper und entfaltete sich um ihn und den Automaten als eine gewaltige Stoßwelle. Der Staub und die umherliegenden Schrauben flogen vom Boden auf, und die Käfer wurden purzelnd durch die Luft davon geschleudert. Da kein Dampf zu sehen war wunderte sich Baxter, ob so viel Energie aus reinem Luftdruck stammen könnte, während der Frauenkörper des Automaten sich auseinanderfaltete und Mechanismen offenbarte, an die er in den Stunden Reparatur noch nicht gekommen war: Ketten, Haken, Schwertspitzen, Perkusionsschlösser umgaben den Mann wie eine schwirrende, dunkle Metallwolke. Bevor er irgendetwas davon begreifen konnte, griffen Armbänder um seine Handgelenke. Dann klappten sich die inneren Zahnräder wieder zusammen, doch diesmal um ihn herum.
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