„Kind, ich weiß, wie Männer sein können, und ich verstehe dich. Ich kann gut nachvollziehen, dass du diese Arbeit satthast, weil das alles ziemlich anstrengend und manchmal auch langweilig ist“, sagt Mama am Abend, nachdem ich ihr von der Auseinandersetzung mit den Soldaten und den tagtäglichen Problemen erzählt habe. Vater weiß von dem Ganzen noch nichts, aber mit Mama konnte ich schon immer über alles reden. Gott sei Dank hat sie Verständnis für meine Situation, das erleichtert das Ganze. Vielleicht kann sie so auch bei Vater ein gutes Wort für mich einlegen. „Danke Mama, ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann. Und ab jetzt kann ich dir auch mehr im Haushalt zur Hand gehen“, antworte ich und umarme sie fest.
Der gefürchtete Brief ist angekommen. Franz muss in den Krieg ziehen. Ein Jahr und zwei Monate, nachdem ich Neumarkt verlassen habe, hat er die Einberufung erhalten. Genau das habe ich immer befürchtet, war ja eigentlich klar, dass es früher oder später auch für ihn soweit sein würde. Immerhin ist er groß und stark und sicher nicht so einfach unterzukriegen. Er fehlt mir so. Und jetzt ist es auch nicht mal mehr sicher, dass ich ihn noch jemals wiedersehen werde! Ich spüre, wie mir Tränen in die Augen steigen, ich kann sie einfach nicht mehr zurückhalten. Mama kommt zu mir in die Küche. „Walburga, was ist los?“, fragt sie besorgt. Statt zu antworten, halte ich ihr nur den Brief hin. Mit besorgter Miene liest sie ihn sich durch und umarmt mich dann. „Das tut mir so leid, Schätzchen. Aber er ist so ein starker Mann, der Krieg kann ihm bestimmt nichts anhaben. Nicht jede Kugel trifft! Du darfst nur nicht die Hoffnung verlieren“, versucht sie mich zu trösten. „Ja, Mama, du sagst das so einfach. Genau davor habe ich mich seit Kriegsbeginn immer gefürchtet!“ „Ich weiß, meine Kleine. Aber gemeinsam schaffen wir auch diese schwere Zeit, du wirst sehen“, sagt sie und streichelt mir übers Haar, genau wie früher, wenn ich schlecht geträumt hatte.
In dieser Nacht schlafe ich sehr schlecht. Alpträume plagen mich, sobald ich auch nur die Augen schließe und sehr viel schlafe ich sowieso nicht. Das Bild, wie Franz in einem Schützengraben kauert, geht mir einfach nicht aus dem Kopf und taucht immer wieder vor meinem inneren Auge auf. Am schlimmsten ist es, wenn ich träume, wie er von einer Granate oder einem Gewehrschuss getroffen wird und wie ein Sack Kartoffeln zu Boden fällt. Dann wache ich jedes Mal schweißgebadet auf und muss mich erst einmal wieder beruhigen, bevor ich mich traue, die Augen wieder zu schließen. Als es draußen schon langsam beginnt, hell zu werden, fühle ich mich, als hätte ich keine Minute geschlafen. Naja, so weit ist das auch nicht hergeholt, immerhin habe ich nicht ein einziges Mal eine Stunde durchgeschlafen, sondern bin dazwischen immer wieder aus dem Schlaf geschreckt. Auf dem Weg in die Küche bleibe ich kurz stehen und lausche, ob schon jemand auf den Beinen ist. Da höre ich Mama und Vater über mich sprechen. „Sie ist völlig fertig, du weißt doch, wie sie an Franz hängt“, sagt Mama. „Ja, ist ja auch nicht sicher, dass er heil zurückkommt, das weißt du genauso gut wie ich. Der Krieg ist wie ein verdammter Moloch, der alles verschlingt. Ich will jetzt nicht den Teufel an die Wand malen, aber du weißt, wie die Chancen stehen. Und ich glaube, Walburga weiß das auch, schließlich ist sie kein kleines Mädchen mehr“, antwortet mein Vater. „Ach, denkst du das? Ist ja schön, dass ihr da so viel besser Bescheid wisst als ich“, sage ich, die Küche betretend. „Ähm, Walburga… So war das jetzt nicht gemeint“, versucht meine Mama sich zu entschuldigen „aber weißt du… Franz ist in einer ziemlich gefährlichen Situation“ „Ja, Mama, das weiß ich. Was glaubst du eigentlich, wieso ich mir solche Sorgen mache? Weil er gerade private Probleme hat? Nein, Mama, ich mache mir Sorgen, weil mein Verlobter irgendwo in Russland an der Front ist und ich nicht mal weiß, ob er genau jetzt noch lebt oder bereits in einem namenlosen Grab, tausende Kilometer von hier entfernt, verscharrt wurde!“ Während ich mich verteidige, wird meine Stimme immer lauter, bis ich meine Eltern schließlich anbrülle. Ich will das eigentlich gar nicht, aber diese Ungewissheit, ob es Franz gut geht, macht mich fertig. „Wir fühlen auch mit dir, Schatz“, beginnt Vater, „und verstehen deine Sorgen. Du darfst aber trotzdem nicht die Hoffnung aufgeben, immerhin haben viele den letzten Krieg auch überlebt. Nicht jede Kugel trifft!“. Ich kann ihnen nicht mehr zuhören. Ich brauche frische Luft. Unter Tränen renne ich ins Freie, atme die reine, pure Luft tief ein, fülle meine Lungen bis zum Bersten damit und beginne dann, einfach drauflos zu gehen. Ich weiß nicht, wohin, aber ich gehe einfach weiter und weiter. Irgendwann komme ich an einen kleinen Bach und setze mich auf einen großen Stein am Ufer. Dort starre ich einfach vor mich hin und nehme nichts um mich herum wahr.
Ich habe keine Ahnung, wie lange ich so dasitze, aber irgendwann knurrt mein Magen fürchterlich und ich stehe vom Felsen auf. Ich sehe mich um. Ich habe nicht den blassesten Schimmer, wo ich bin und gerate in Panik. Wäre ich doch nur nicht so weit gegangen! Aufgrund der Lage des Baches und des Felsens kann ich aber bestimmen, aus welcher Richtung ich gekommen bin und mache mich auf den Rückweg. Einzelne Scheunen und besonders krumme Bäume kommen mir bekannt vor, also muss ich in die richtige Richtung gehen. Nach einer gefühlten Ewigkeit sehe ich endlich die ersten Häuser des Dorfes und atme erleichtert auf. Dank meines Spazierganges habe ich jetzt wenigstens einen freien Kopf und kann nochmal mit meinen Eltern reden. „Kind, wo warst du? Hast du eine Ahnung, welche Sorgen wir uns gemacht haben? Du bist einfach rausgestürmt und niemand wusste, wohin du dich geflüchtet hast!“, tadelt mich Mama. „Es tut mir leid, Mama, aber ich brauchte einfach eine Auszeit und ein wenig frische Luft zum Nachdenken. Es tut mir auch leid, dass ich euch so angebrüllt habe, aber die Ungewissheit um Franz raubt mir noch den letzten Nerv. Aber jetzt hab` ich erstmal einen Bärenhunger.“
Wir schreiben uns über drei Jahre lang noch einige Briefe hin und her, Franz scheint es so weit ganz gut zu gehen. Er ist nach seiner Einberufung an die Ostfront gebracht worden und wurde nach einer kurzen Ausbildung direkt an die Hauptkampflinie verlegt. Ich glaube, er darf das ganze Grauen, das er täglich erlebt, in seinen Briefen gar nicht erwähnen, weil er dann bei einer eventuellen Kontrolle ernsthafte Probleme bekommen könnte. Ich kenne meinen Franz aber ziemlich gut und was ich zwischen den Zeilen lese, gefällt mir gar nicht. Er muss wirklich Schlimmes erleben dort in der unendlichen Weite Russlands. Wenn er doch nur hier bei mir wäre.
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