Sary schüttelte den Kopf. „Ich verabscheue nichts, Haatsch, aber ich achte die Maat. Ich fürchte um ihn, um seinen Ka, seinen Ba und seinen Ach. Den Leib Amenis hast du mit eurem Treiben oft genug in Gefahr gebracht, aber nun fürchte ich um meines Bruders Lebenswillen. Er ist dir verfallen. Warum konntest du nicht einen anderen nehmen, einen der stärker ist, als Ameni?“
„Ameni ist stark. Stärker als die meisten“, hielt Hatschepsut ihm entgegen und verlor bereits die Geduld für dieses Gespräch. Die schönen Züge des Mannes vor ihr beflügelten die Träume der Mädchen in ganz Theben, und wieder einmal musste sie feststellen, wie anders sie selbst doch zu sein schien. Sary trat einen Schritt von ihr zurück, wie als ob er sich erinnerte, dass sie ab dem morgigen Tag keine Erbprinzessin mehr wäre, sondern die große königliche Gemahlin des neuen Horus. „Er ist nicht stark – nur sein Körper ist es.“ Sary wollte das letzte Wort haben, doch heute war es ihr Einerlei. Jeder Augenblick war kostbar, jeder Augenblick, den die süße Hathor ihnen noch gewähren mochte. Sie ließ den jungen Mann stehen und verschwand im Schatten der Mauer, bis sie den von Ranken überwucherten Durchlass fand. Sie alle waren verschworen, selbst die Nilschlammziegel der Mauern stellten sich ihr nicht in den Weg. So war es immer gewesen – sie war Hatschepsut ... Tochter des Gottes.
Amenis Leib war angespannt, obwohl er schlief. Die Muskeln seiner Brust zuckten, während er sich auf seiner Pritsche wälzte, die Kieferknochen schienen unaufhörlich zu mahlen, und das kurz geschorene dunkle Haar war verschwitzt. Unter seinen geschlossenen Lidern bewegten sich seine Augen, als suchten sie in der Dunkelheit etwas, das sie nicht finden konnten. Hatschepsut schloss leise die Tür hinter sich und blinzelte in die Dunkelheit der Unterkunft. Klein war dieser Raum, nur eine einfach Pritsche, Amenis Schwert, sein Bogen, in der Ecke ein Schrein, der seinen bevorzugten Gott, Month, den Herrn des Krieges beherbergte, und ein kaltes Feuerbecken in der Ecke. Es war der schmucklose Raum eines einfachen Soldaten, denn wozu brauchte ein Soldat ein gemütliches Heim. Wohin der Wind ihn trug, wohin sein Herr ihn sandte, dort war sein Heim. Dieses hier war nur ein Ort, an dem man schlief oder ein Mädchen aus der Stadt brachte, um sich ein wenig Ablenkung zu verschaffen. Ameni nahm keine Mädchen aus Theben mit in dieses Quartier, sie, die nun zu ihm auf die schmale Liege schlüpfte, war die Tochter des Gottes, gewöhnt an weiche Laken, erlesene Düfte und goldene Gemächer. Aber Hatschepsut wollte nirgendwo anders sein, als in diesem armseligen Quartier. Unter dem Laken war sein vom Drill gestärkter Leib nackt, und es kam ihr beinahe so vor, als würde sie ihn nur bar seines Schurzes und Harnisches kennen. Ihre wenige Zeit zusammen hatten sie so geteilt, ohne Kleidung und ohne Schuldgefühle. Das erste Mal, seit sie ihn kannte, fragte sich Hatschepsut, ob Sary vielleicht recht hatte, mit dem was er behauptete. Hätte sie an jenem schicksalhaften Tag ihren Blick einfach abwenden sollen und diese weichen besorgten Augen vergessen? Es war in der Wüste gewesen, im roten Land des Seth, auf der Jagd nach Löwen, zu der sie ihren Vater so gern begleitet hatte, obwohl Ahmose es stets als unpassend empfunden hatte. An jenem Tag hätte Ahmose beinahe ihren größten Triumph feiern können, eine Bestätigung ihrer Schuldzuweisung, auch das letzte ihrer Kinder durch die Unachtsamkeit ihres Gemahls verloren zu haben. Der Schädel einer verendeten Gazelle hatte im Sand gelegen, und der Streitwagen des Vaters hatte einen Satz gemacht. Hatschepsut, die hinter ihm gestanden hatte und darauf nicht vorbereitet gewesen war, hatte den Halt verloren und war gefallen wie ein Stein, hintenüber, während die Pferde den Wagen weiterzogen ohne zu bemerken, dass ein Teil ihrer Last abhanden gekommen war. Der Sand hatte Hatschepsuts Sturz zwar abgefangen, aber die Streitwagen der Eskorte hätten sie beinahe überrannt, wie einst Amunmose. Dann hatte ein starker beherzter Arm sie hochgehoben - im Vorbeifahren, als wäre sie nicht viel schwerer als die Feder der Maat, hatte sie an sich gedrückt und sie gehalten, wie sie noch nie gehalten worden war. Stark und ängstlich zugleich. Sie hatte ihn angesehen, einen jungen Soldaten, gerade erst in den Dienst der Leibwachen des Einzig Einen berufen, entsprechend ängstlich nun, mit der Tochter des Gottes im Arm, die er weder hätte berühren noch ansehen dürfen. War es nicht göttlicher Wille gewesen, dass es doch geschehen war, und dass er dafür vom Einzig Einen nicht bestraft, sondern mit dem Ehrengold belohnt worden war? Der Name des Soldaten war Ameni gewesen, und sie, die Erbprinzessin Hatschepsut, hatte ihm seine Tat auf ihre Art vergolten.
Hatte sie das wirklich getan? Oder hatte sie ihn bestraft dafür, dass er ihr Leben erhielt, wo sie so wenig daran gehangen hatte - die unglückliche Erbprinzessin, Gattin ihres Brudergemahls Thutmosis, der sie nicht anrührte und sie mied, als besäße sie faules Fleisch.
Als Hatschepsut nun seinen unruhigen Leib umarmte, war sie sich nicht mehr sicher. „Ameni“ flüsterte sie ihm ins Ohr, und seine Augen öffneten sich, sein Körper wurde ruhig, während das Gesicht sich entspannte. „Du bist gekommen, der süßen Hathor sei Dank. Ich fürchtete, dich nicht mehr zu sehen, bevor ...“
Sie legte ihm einen Finger auf den Mund und küsste ihn. Warm und weich schmeckten seine Lippen, träge wie der Nil an einem Tag im Schemu war sein Kuss, aber ebenso nahrhaft wie der braune Schlamm, der die Felder Ägyptens fruchtbar machte. „Es ist unser Abschied, Ameni. Ich hätte die Tiefen der Unterwelt durchquert, dich noch einmal zu sehen.“
Er zog sie an sich, und sie drückte sich an seinen starken Leib, dem sie ihr Leben verdankte ... mehr noch als ihr Leben, ihre Freude an freudlosen Tagen. Ameni streifte ihr das Trägerkleid von den Schultern, bis sie nur noch Haut an Haut lagen. Hatschepsut setzte sich auf ihn, nahm sein Min in sich auf, schloss die Augen und lauschte seinem leisen Stöhnen, während er sich in ihr bewegte. Dein Haar ist aus Lapislazuli, deine Knochen aus Silber, und dein Fleisch ist Gold , mahnten sie ihre Gedanken, während sie sich dem Genuss hingab, ihren göttlichen Leib mit einem Sterblichen zu vereinen. Dass es Unrecht wäre, ein Frevel an den Göttern, hätte Ahmose geschrien, und Hapuseneb, Amuns Priester, sie mit einem tadelnden Blick gemahnt. Aber Mutnofret hätte nichts dergleichen gesagt ... wie sollte sie auch. Sie, die nicht göttlich war, hatte einen nicht göttlichen Sohn aus den Lenden des Einzig Einen empfangen, und wer wollte mehr als Mutnofret, dass sich das menschliche Fleisch ihres Sohnes mit göttlichem Fleisch vereinte, damit er den Thron der beiden Länder besteigen konnte. Dafür hätte Thutmosis jedoch erst einmal seine Gemahlin besteigen müssen. Es war jedoch ein einfacher Soldat, der das tat, was Thutmosis nicht wollte, Nacht für Nacht, und der Hatschepsut die Freuden des Lagers gezeigt hatte.
Ameni stöhnte gequält auf, als Hatschepsut sich ihm entzog, und sein Samen verspritze sich nutzlos auf seinem vor Schweiß glänzenden Leib. Sie rollte sich neben ihn und litt stumm seine Qualen mit ihm. Wäre sie ein Mädchen aus Theben gewesen, die Tochter eines Viehhirten oder eines Brotbäckers, schon längst hätte sie eine Tochter oder einen Sohn mit ihm gehabt, dessen war sie sich sicher. Als ihrer beider Atem sich beruhigt hatte, erinnerte sie sich der Endgültigkeit des bevorstehenden Abschieds. „Morgen werden mir die Priester die Uräusschlange auf mein Haupt setzen und Thutmosis die rote und weiße Krone der beiden Länder. Dann bin ich die Königin Ägyptens, bewacht von Priestern, umsorgt von einer Schar von Hofdamen. Dies ist unsere letzte Nacht – ein letztes Geschenk der Kuhhörnigen.“
Ameni setzte sich auf, sog scharf die Luft ein als würde es ihm das erste Mal wirklich bewusst, nickte jedoch gleich. Er bemühte sich um Stärke, Hatschepsut konnte es sehen, und sah im gleichen Zuge, dass es ihm nicht so gut gelang wie ihr. Auch er war schön, nicht so schön wie Sary, nicht makellos stark – seine Stärke war durchzogen von Schwächen – und Amenis größte Schwäche war die Liebe zu ihr, die sich in seinen unglücklichen Augen widerspiegelte. „Hätte ich dich nicht anrühren sollen, Bruder meines Herzens? Hätte ich damals den Wüstensand aus meinem Haar schütteln sollen, mich abwenden und dir einen goldenen Ring zuwerfen?“
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