Sie waren verschworen, obwohl keiner von ihnen je einen Schwur geleistet hatte. Hatschepsut trug ein Trägerkleid, und ihr schwarzes Haar hing ihr lose über den Rücken, als wäre sie nicht die, die sie war, sondern irgendein junges Mädchen aus Theben – die mit dem Katzengesicht, wie ihr zu Osiris gegangener Vater sie oft geneckt hatte. Bei dem, zu welchem es Hatschepsut hinzog, konnte sie es sein – in der Verschwiegenheit der Nacht, verborgen in Nuts unendlichem Leib. Die Feuerbecken waren bereits am verglimmen, und die Schatten tanzten an den Wänden, als würden sie aufgeregt das freudige Ereignis des Morgens herbeisehnen, wenn die Angst und das Chaos endlich vom roten und schwarzen Land genommen würden – wenn es endlich wieder einen Pharao auf dem Doppelthron gab. Eine Spur von Weihrauch lag noch in der Luft, da die Priester erst vor wenigen Stunden ihre Räume gesegnet hatten, und von draußen drang der betörende Duft von schwerem Jasmin. Eine Nacht voller Zauber war es, in der Götter und Menschen sich hätten umarmen sollen, da die Dunkelheit und die Angst nun bald ein Ende hätte - es gab Grund zu feiern, zu tanzen und zu jubeln. Aber Hatschepsut tanzte nicht, und sie wollte nicht jubeln. Sie musste Abschied nehmen. Leise ging sie an der Tür ihrer Mutter Ahmose vorbei, obwohl es nicht nötig gewesen wäre zu schleichen wie eine Diebin. Ahmose schlief bereits seit dem frühen Abend, in ihrem Geist und ihrem Körper schwemmte ein Meer aus Mohnsaft, trug sie auf sanften Wellen fort, bis es sie am Morgen zurück an die gnadenlosen Ufer der Wirklichkeit spülte – so war es seit vielen Nilschwemmen, obwohl Hatschepsut sich daran zu erinnern meinte, dass vor langer Zeit auch in den Räumen ihrer Mutter gelacht und gesungen worden war. Aber das war gewesen, bevor Mutnofret gekommen war und das Herz des Mächtigen Stiers mit ihrem falschen Zauber belegt hatte. So erklärte zumindest Ahmose sich, dass eine gewöhnliche Nebenfrau es vermocht hatte, den ewigen Gott so zu betören, dass er seine große königliche Gemahlin vergaß. Mutnofret war die zweite Gemahlin des zu Osiris gegangenen Gottes, und ihr war das gelungen, was Ahmose nicht vermocht hatte, obwohl Mutnofret nie die Hohen Federn der Königsgemahlin getragen hatte. Sie hatte dem Pharao Kinder geboren, die nicht starben, einen neuen Sohn, den der Einzig Eine so sehr ersehnt hatte, nachdem der Falke im Nest so früh aus dem Leben gerissen worden war. Es hatte auch in Ahmoses Gemächern Söhne gegeben, prächtige und gut gewachsene Prinzen, die sie geliebt hatte. Aber Amunmose war in seinem zwölften Jahr bei einer Jagd von einem Streitwagen überrollt worden, als sein Vater nicht auf ihn geachtet hatte und Wadjmose hatte das Fieber dahingerafft noch bevor er sein achtes Jahr vollendet hatte. Seine Schwester Neferubity hatte er mit sich ins Reich Osiris genommen. Danach war nur noch Hatschepsut übrig geblieben - und der Sohn der anderen, Thutmosis, nach seinem Vater benannt, ihr Halbbruder und Gemahl. Die erhabene Ahmose hatte ihrem Gatten nie verziehen, dass er nicht auf Amunmose acht gegeben hatte, auf ihren prächtigen Prinzen, der ihr ganzer Stolz gewesen war, dem Horus im Nest, dessen Flügel sich bald gespannt hätten. Er hätte Hatschepsuts Gemahl sein sollen, der Prinz mit den freundlichen Augen, an den sie sich kaum noch erinnerte, weil sie so klein gewesen war, als er starb. Aber Hatschepsut erinnerte sich daran, dass er ihr oft unter das kleine spitze Kinn gefasst und ihr ins Gesicht gepustet hatte.
Kleine Haatsch – wenn du groß bist, nehme ich dich mit und zeige dir das rote und schwarze Land. Ich fahre mit dir den Hapi hinauf und hinab und lehre dich, die Schönheit der beiden Länder zu lieben. An diese Worte erinnerte sie sich und an das freundliche Lachen eines sonnengebräunten Gesichts. Er wäre der Richtige gewesen, und obwohl sie kaum vier Sommer alt gewesen war, hatte auch er gewusst, dass sie die Richtige gewesen war. „Amunmose“, seufzte sie leise, überwältigt von der Last einer Wehmut, die nicht auszulöschen war, und zwang sich, in die Wirklichkeit zurückzukehren. Er war fort, hatte die Barke bestiegen und sie allein gelassen mit dem, der nun ihr Gemahl war. Amunmose war nichts als eine Ahnung, wie ihr Leben hätte sein können. Hatschepsut ging schneller, als sie an Mutnofrets Gemächern vorbei kam. Auch hier war es still, obwohl Hatschepsut wusste, dass es dort einen Grund zum Jubeln gab. Er, der Sohn der Mutnofret, geboren aus ihrem gewöhnlichen Schoß, würde bald ein Gott sein. Hatschepsut ließ den prunkvollen Flügel der königlichen Frauen hinter sich und mit ihm die müden Männer der Leibwachen, die den Blick senkten, als sie vorbei ging. Auch mit ihnen war sie verschworen, denn sie war die geliebte Tochter ihres toten Herrn. Sie lief durch den Flügel der Männer, noch prunkvoller und noch viel stiller, als der Frauenflügel es war. Wie hätte dort Leben sein sollen, wo doch das Herz Ägyptens nicht mehr hier war. An der verlassenen Tür, auf der in vergoldeten Zeichen der Name ihres göttlichen Vaters prangte, ging sie schnell vorbei, ebenso wie an der Tür ihres Brudergemahls. Als sie hinausschlüpfte durch den Seitenflügel, blieb sie stehen und sog die hitzestarre Luft in ihre Lungen. Hier war der Duft des Jasmins noch stärker, aber auch der Gestank vom modrigen Wasser der Badeteiche, die bereits jetzt grünlich verfärbt waren. Kein gutes Omen für den neuen Herrn der beiden Länder, eines unter vielen schlechten Vorzeichen für die Thronbesteigung ihres Bruders! Hatschepsut ging weiter, und ihr Herz schlug schneller, als sie die Mauer am Ende der Gärten sah, das Fackelfeuer, das von der anderen Seite her über die Mauerkrone flackerte und ihr eine letzte Nacht des Trostes verhieß – dort, wo die Leibwache ihres toten Vaters ihre Unterkünfte hatte. Als es nur noch ein paar Schritte bis zur Mauer waren, wurde sie am Arm festgehalten. Die Stimme, mutig und ablehnend zugleich, war ihr wohl bekannt. „Wohin willst du denn, Haatsch? Es ist schon spät, und die Unterwelt ist nicht gnädig mit denen, die gegen die Maat handeln.“
Hatschepsut blieb stehen, straffte die Schultern und wandte sich langsam um. Die Augen des Mannes funkelten im Schein des Mondes, und sein schönes Gesicht hätte den Neid eines Gottes hervorzurufen vermocht. Stets war er da, wie eine stumme Mahnung, dass das was sie tat, falsch war. Aber heute begnügte er sich nicht mit vorwurfsvollem Schweigen, und sie musste ihm antworten. „Sary, warum fragst du mich das gerade in dieser Nacht, wenn du es in den vielen Nächten zuvor nicht getan hast?“ Hatschepsut wich dem Blick seiner bernsteinfarben funkelnden Augen nicht aus, obwohl es ihr nicht leicht fiel. Auf eine erschreckende Weise konnte man sich diesem Goldblick nicht entziehen. Der junge Mann, ein paar Sommer älter als sie selbst, ließ sie los und verschränkte die Arme vor der nackten Brust, ohne sie aus den Augen zu lassen. Warum schwitzte er nicht in dieser Hitze, wie alle es taten? Vielleicht lächelten die Götter ihm zu, da er sich stets der Einhaltung der Maat verpflichtet fühlte? Sary achtete die Götter und diente der göttlichen Familie des Einzig Einen – wie unendlich schwer es ihm fiel von ihr und Ameni zu wissen, konnte Hatschepsut nur erahnen.
„Es ist eine andere Nacht, Haatsch ... eine gefährliche Nacht, die einem Tag voller schlechter Vorzeichen vorauseilt. Du weißt, dass du nicht hier sein solltest.“
„Es ist die letzte jener Nächte“, entgegnete sie, ohne Weichheit in ihre Worte zu legen. „Ich muss Abschied von ihm nehmen, und er von mir. Er ist mein Freund.“
„Und er ist mein Bruder“, antwortete Sary ebenso hart und unnachgiebig. Hatschepsut meinte, dass sie sich gegenüberstanden wie Löwen, die um die Beute stritten. Der Goldlöwe und das Mädchen mit dem katzenhaften Gesicht. Sie hätten von einer Art sein sollen, aber das waren sie nicht, und so wenig Hatschepsut mit Sary verband, so stark war das Band zu Ameni, seinem Bruder. Sie würde sich nicht von ihm aufhalten lassen. „Morgen ist das vorbei, was du so sehr verabscheust, Sary. Aber diese Nacht gehört er noch mir.“
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