»Es freut mich, dass Ihr Euch an mich erinnert«, gab der Blonde zurück und wieder streifte sein Blick Desiderius, diesmal vorwurfsvoll.
Der Kleine hatte gewusst, wer er war. Er hatte ihn an der Nase herumgeführt! Desiderius schimpfte sich einen Narren. Er hätte die blauen Augen und das goldgelockte Haar erkennen müssen. Aber der jüngste Prinz sah mehr der Mutter ähnlich und nicht dem König. Zumal er recht blass und schmal war. Er wirkte fast krank. Außerdem gab es in Nohva viele blonde Schönheiten, das bedeutete nicht, dass sie alle der Königsfamilie angehörten.
Bei den Göttern, fluchte er innerlich und konnte die Erkenntnis, die sich ihm aufdrängte, nicht verdrängen. Er wurde bleich, als er begriff, dass er die Krone bestohlen hatte.
Kurz nach der Ankunft des Königs, fanden alle im großen Speisesaal zu einem Festessen an der großen Tafel zusammen. Es war überfüllt im Raum und die Bewohner und ihre Gäste mussten sich Schulter an Schulter eng zusammen gedrungen an den Tisch setzen. Aber das machte nichts, die königliche Familie war gesellig und scheute keinen Körperkontakt.
Desiderius hatte sich bereits das Blut abgewaschen und die Kleidung gewechselt, ebenso Bellzazar, dessen Wunden an seinem halbgöttlichen Körper schon verheilt waren.
Am Kopfende der Tafel saßen Seite an Seite Lord M’Shier und König Wexmell Airynn. Zu des Königs linken Seite saß Bellzazar, der engste Vertraute und Berater des Königs, erst dann folgten die Königin, ihre drei Töchter und drei ihrer Söhne.
Auf der anderen Seite, zu Desiderius’ Vaters rechten Seite, saß Lady Shania, Arerius, Silva, der Kronprinz, die restlichen Prinzen und letztlich Desiderius selbst, der sich dem Blonden aus dem Bordell gegenübersitzen sah.
Desiderius versuchte seit Beginn des Mahls, die eindeutigen Blicke des jungen Prinzen zu ignorieren. Es machte ihn nervös, dass er so genau beobachtet wurde.
Was hatte der jüngste Prinz der königlichen Familie vor? Warum hatte er seinem Vater, dem König, noch nichts von dem Diebstahl erzählt?
Oder hatte er es erzählt und sie warteten nur auf einen günstigen Zeitpunkt, um Desiderius abführen zu lassen? Wollten sie sehen, wie er auf die Folter gespannt wurde?
Eines war sicher, nach diesem Erlebnis würde Desiderius bei der Auswahl seiner Liebschaften sehr viel vorsichtiger vorgehen.
»Ich muss schon sagen, Ihr seid wirklich zu einem stattlichen Mann herangewachsen, Desiderius«, holte die Königin ihn aus seinen Gedanken. Sie klang bewundernd.
Desiderius, der gelangweilt in seinem Stuhl hing, blickte zu ihr hinüber und nickte ihr mit einem dankenden Lächeln zu. »Habt Dank, Eure Majestät.«
»Das war kein Kompliment, sondern eine Feststellung«, mischte sich der König gut gelaunt ein. Er trank einen Schluck, um den Bissen Wildbret hinunter zu schlucken, den er noch im Mund hatte. Er hielt sich nicht mit Tischmanieren auf.
Der König sagte zu Desiderius’ Vater: »Ihr könnt stolz sein, einen so starken Sohn zu haben.«
»Wir werden sehen«, murmelte der Lord und warf Desiderius einen kritischen Blick zu.
»Stark, wendig und sehr geschickt mit dem Schwert«, mischte sich nun auch Bellzazar ein. Doch er klang nicht so schwärmend wie der König und die Königin. Es wirkte viel mehr so, als berichtete er von einem Gegner, den man nicht unterschätzen sollte. Beeindruckt, aber trotzdem mit einer unüberhörbaren Vorsicht, die in seiner Stimme mitklang.
»Ihr hättet das Duell auf der Mauer sehen müssen!«, rief der König freudig aus. »Noch nie hat jemand Bellzazars Künste derart auf die Probe gestellt.« König Wexmell wandte sich an Bellzazar und fügte neckisch hinzu: »Er hätte dich fast besiegt.«
»Fast«, stimmte Bellzazar zu und warf über den Rand seines Weinbechers, den er zu seinen schmalen Lippen führte, Desiderius einen herausfordernden Blick zu.
Desiderius konnte die Komplimente nicht richtig genießen, er war zu abgelenkt von den eisblauen Augen ihm gegenüber, die ihn unentwegt anstarrten.
Mit endloser Ruhe lehnte der blonde Prinz sich gegen seinen Stuhl und nippte immer mal wieder an seinem Becher, während er Desiderius fixierte.
»Hattet Ihr eine besondere Ausbildung, Desiderius?«, fragte die Königin interessiert.
»Oh. Nein«, erwiderte er knapp.
»Wo lernt man so zu kämpfen?«, fragte Prinz Karic verwundert.
Desiderius sah zur Seite, an den anderen Prinzen vorbei, bis er die richtigen blauen Augen fand, in denen ebenso die Herausforderung funkelte wie in Bellzazars.
Schmunzelnd erklärte Desiderius: »Draußen in den Tiefen Wäldern hat man kaum eine Wahl. Entweder man bringt es sich selbst bei – oder man stirbt.«
»Das verstehe ich nicht.« Die Königin war irritiert. »Draußen? Seid Ihr denn nicht oft hier?«
Desiderius blickte in ihr fragendes Gesicht und antwortete: »Ähm ... nein, ich bin viel auf ... Reisen.« Er konnte ja jetzt schlecht seine Familie bloßstellen, indem er hinausposaunte, dass er nur heimkehren durfte, wenn der König zu Besuch kam. Aber diese Zeiten hatten sich ja nun auch geändert.
Aus den Augenwinkeln konnte er seinen Gegenüber schmunzeln sehen.
»Oh«, machte die Königin. »Das ist sicher interessant.«
»Und sehr faszinierend«, stimmte Prinz Karic zu. »Ihr erlebt sicher viele Abenteuer.«
Desiderius’ Augen zuckten kaum merklich kurz zu dem jüngsten der Prinzen, ehe er antwortete: »Mhm ... Ja. Viele. Manche sind aufregender als andere.«
»Und wo führen Euch Eure Reisen überall hin?«, fragte der jüngste Prinz betont neugierig, während er Desiderius provozierend zu schmunzelte und mit einem Finger den Rand seines Bechers umkreiste.
Der kleine Prinz wollte also spielen? Fein, das konnte er haben.
Desiderius lehnte sich zurück und erwiderte dessen intensiven Blick. »Hier und dort hin.«
»Wart Ihr mal in den Wüstengebieten? Den Sandhügeln?«, fragte eine der jüngeren Prinzessinnen. Er wusste ihren Namen nicht mehr.
»Ja.« Er lächelte sie an. »Ein trockenes Gebiet mit gefährlichen Menschen.«
»Also nichts für zarte Damen«, tadelte der König seine Tochter.
Doch diese schwärmte: »Ich habe gehört, dort soll es den köstlichsten Wein geben.«
»Das stimmt«, bestätigte Desiderius ihr. »Den besten, den ich je getrunken habe.«
»Ich habe gehört, sie lassen dort junge Frauen die Trauben auspressen«, sagte der Kronprinz und schmunzelte in die Runde, »aber nicht mit ihren Händen.«
»Karic!«, tadelte die Königin ihren Sohn entsetzt.
Die Männer am Tisch kicherten verstohlen in sich hinein.
»Ich habe gehört«, mischte Prinz Wexmell sich ein und warf erneut einen mokanten Blick in Desiderius’ Richtung, »dass sie dazu nicht nur junge Damen benutzen.«
»Bei den Göttern!« Die Königin warf die Hände in die Luft. »Ist das eine annehmbare Unterhaltung bei Tisch?«
»Es sind Damen anwesend«, lachte der König und bedachte seine zwei Söhne mit einem strengen, aber amüsierten Blick.
»Das verstehe ich nicht«, mischte Silva sich verwundert ein. »Wenn sie nicht ihre Hände dazu benutzen, was dann?«
»Ihre Münder«, log Desiderius seine Schwester an. »Sie benutzen ihre ... Münder.«
Sie verzog angewidert ihr Gesicht. »Dann trinkt man ja ihren Speichel mit.«
Prinz Karic und Prinz Wexmell kicherten in sich hinein. Es war offensichtlich, dass die beiden die Spaßvögel unter den königlichen Kindern waren.
Ohne jeden Zweifel war es Karic gewesen, auf den Prinz Wexmell im Bordell gewartet hatte. Wegen ihnen und ihrem Abstecher zur Küste hatte sich des Königs Ankunft verspätet.
Es blieb aber offen, ob Karic wusste, dass Wexmell in dieser Nacht von einem anderen Mann verführt wurde.
Obwohl sich Desiderius gar nicht mehr so sicher war, wer nun wen verführt hatte. Er fühlte sich, als wäre er einem Jäger in die Falle gegangen. Und dieses Gefühl behagte ihm gar nicht. Er war der Jäger, nicht die Beute.
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