In liebenswürdigem Ton wandte sich Vespasian an mich:
»Ich schlage vor, dass ihr angesichts der obwaltenden Umstände ein Quartier in Caesarea bezieht. Man wird euch dorthin geleiten.«
Ich erwiderte sehr ernst:
»Ihr seid zu gütig.«
Es ist dies die nützlichste Redewendung überhaupt auf meiner letzten Erde. Für einen Juden zumal. Ich leistete dem golden glänzenden Rücken Folge und wurde Schritt um Schritt meiner Umgebung gewahr. Linker Hand Reiter, etwa vierzig, mittig wartende Fußtruppen, tausende, rechter Hand, an einem einfachen, weißen, niedrigen Zaun entlang, Trossleute und buntes Volk, wahrscheinlich aus Ptolemais. Was für ein riesiges Publikum uns beigewohnt hatte! Alle mussten meinen Auftritt verfolgt und sich gefragt haben: Rollt der Kopf oder rollt er nicht? Jede Menge Wetten wurden entschieden. Die Römer verstanden sich wirklich aufs Theater. Der erfahrene Spielleiter hatte ein Stück eingerichtet, das sowohl den amtierenden Caesar Augustus besänftigen als auch der Fama eines Neuen den Boden bereiten konnte. Mein bunter Aufzug wäre in ersterem Fall nichts als Verhöhnung gewesen. Das bedeutete auch, dass das Stück noch nicht zum Ende gekommen war. Ich besann mich auf die Kette, die ich trug und setzte sie fortan als Rasselinstrument ein. Außerdem würde ich mir die Gelegenheit zu einer kleinen Einlage, die mir ihre Herzen näherbrachte, nicht entgehen lassen.
Der Centurio steuerte auf meinen Hektor und Jakobs braune Stute zu, die für sich die zweite Bühne beherrschten, inmitten des Kranzes von Argusaugen, auch das blendend inszeniert. Man hatte mir sogar ein kleines Treppchen ausgeklappt. Ich bewegte mich in dem Wissen, dass ein Prophet seine Macht an nichts anderem erkennen lassen darf als an der Ungezwungenheit seines Auftretens.
Kurz vor dem Punkt, an dem der Offizier vermutlich anhalten würde, verließ ich die Spur und schritt gemessen zum Kopf des Tieres. Ich rief Hektor an, klopfte ihm den Hals und kraulte seine Mähne. Ich stellte mich vor ihn, schob die Hand breit unter den Kehlriemen, zwei Finger flach unter den Nasenriemen, und strich ihm die Stirnhaare über das hellblaue Kopfband. Ich legte meine Stirn auf seine Nüstern und sang ihm einen der Verse vor, die ich im Gürtel trug. Als ich mich zum Treppchen hin abwandte, tat mir Hektor den Gefallen, ein wenig Freude zu zeigen. Auf Stufen ein Pferd zu besteigen, ist natürlich eine dankbare Rolle, und ich suchte der Würde des Propheten eine schwungvolle Note zu verleihen. Nicht nur die Reiteraugen würden jede meiner Bewegungen mit fachkundigem Argwohn beobachten.
Ich musste mein Pferd versammelt halten. Wenn ich gedacht hatte, die Reise würde gleich beginnen, so wurde ich eines Besseren belehrt. Die Nebendarsteller waren an der Reihe. Offiziere, die nach einem bestimmten Muster verteilt standen, brüllten sich kurze Sätze zu, die dazu führten, dass der rechte Block der Legionäre sich in Bewegung setzte und linksschwenkmarsch die Straße nach Süden gewann. Die übrigen Truppenteile folgten in schier endloser Reihe. Ich lugte verstohlen hinüber zur ersten Bühne. Der Alte hatte mich am Brunnen vor dem Tore empfangen. Der kühle Quell entsprang einem großen Meilenstein, der sich in einem Feigenhain versteckte und dessen Wasser von einem hoch gelegenen Rückhalt gespeist wurde. Hier hatte ich vor gut zehn Jahren Rast gemacht, auf meinem Weg nach Antiochia. Die Stätte konnte recht lauschig sein, ohne Heerlager drumherum.
Aber der Flavier saß ja noch da! Und was machte er? Er schrieb etwas auf, unermüdlich, hatte keinen Blick für uns. Wenn er eines Tages seine Denkwürdigkeiten diktieren sollte, konnte er das Traumgeschenk wörtlich zitieren. Vielleicht würde er sein Schriftgut auch anderen Fachleuten vorlegen, denen vom Karmel zum Beispiel. Ganz gewiss aber würde er es seinem Sohn zeigen, der bestimmt zappelig in irgendeinem Zelt mit dem Frühstück wartete.
Meine Stimmung hatte sich merklich verdüstert. Sollten wir im Schritt nach Caesarea? Hinter all dem Fußvolk? Noch mal so eine Tortur wie nach Ptolemais in meinem unerträglichen Kostüm? Die Reitergruppe, auch wir, schlossen uns den Marschkolonnen an. Hektor und ich ließen die Köpfe hängen, er latschte vor sich hin und ich wiegte mich in der neu gewonnenen Geborgenheit.
Militärisch gesehen hatten wir uns einen Brückenkopf erobert, den es zu stabilisieren und auszubauen galt. Die Lage musste jeden Tag überblickt werden, mehr noch, ständig war Ausschau zu halten nach möglichen und unmöglichen Gefahren, gleich aus welcher Richtung sie kommen oder hinter welcher Ecke sie uns auflauern würden. War der Brückenkopf erst einmal ausreichend gesichert, konnten wir vorsichtig an die Ausweitung gehen. Mit dem bisher Erreichten durften wir zufrieden sein.
Ein Nickerchen übermannte mich, aus dem ich hochschrak, als Hektor stehenblieb. Die Lage hatte sich verändert, ohne dass ich etwas davon mitbekommen hatte. Erst wohlfeile Selbstverpflichtung zum unermüdlichen Ausspähen und anschließend einschlafen, das fing gut an. Die Fußtruppen hatten sich zu den Seiten der Straße geteilt, wir ritten hindurch, vorneweg der Adler und ein paar Fahnen, hinterdrein unser Schwarm, Turma genannt, ein halbes Dutzend Centurionen und fünf Tribunen zum Schluss, die diverse Einheiten repräsentierten. Dazu Jakob und ich, die wir uns wie ausgestülpt vorkamen. Die X. Legion hatte zu Anfang des Marsches nach Caesarea ihren erbeuteten Schatz wie ein großer menschlicher Körper, wenn ich so sagen darf, noch einmal aus sich herausgetrieben und diese Geburt übrigens mit Geräuschen begleitet, wie man sie mittels Blech und Eisen erzeugen kann. Nach einer Weile steigerte sich mein Glück. Wir hielten an und sämtliche Reiter entledigten sich ihrer Paradesachen. Ich entkam dem beengenden Brutsack, und zwar für immer. Sogar die Ketten wurden mir abgenommen, und ich habe sie, bis auf eine Ausnahme, nie wieder anlegen müssen. Bereits bei diesem ersten Austausch unter Reitern, währenddessen mir diskret Wollfett angetragen wurde, entwickelte sich ein kameradschaftlicher Ton; alle fühlten sich sichtlich wohl als selbstständige Sondereinheit des kommenden Princeps, wie die Römer den Kaisar nannten.
Die Entfesselung machte mich wie trunken, und in den würzigen Schatten des lieblichen Karmel begann mein Herz zu singen. Es wandte sich mit überschwänglichem Dank an Daniel, meinen Leitstern, den ersten Rabbi. Eine Ansicht nebenbei, mit der ich in bestimmten Jeschiwoth mühelos Augenbrauen in schnelle Bewegung versetzen könnte, für die ich gleichwohl lang bedachte und wohlerwogene Gründe habe, die ich an geeigneter Stelle vorlegen werde. Daniel und seine drei Freunde hatten, damals in Babylon, in nur einer Nacht unter größter Belastung ein Traumgesicht erarbeiten müssen, von dem Wohl und Wehe abhingen. Alle anderen Traumgelehrten ließen ihnen zu gern den Vortritt. Die vier hatten ihre herausragende Stellung und ihren Ehrfurcht gebietenden Ruf erworben, indem sie alte babylonische Sintflutängste mit ihren Zackensternen beschwichtigten, welche die stabilen Umläufe von Venus und Merkur sowohl geometrisch als auch magisch beglaubigten. Schon auf dem Schoß meiner Mutter, wenn sie mich fragte, ob sie mir ein Rabbimärchen erzählen solle, wünschte ich mir am liebsten ein Abenteuer der vier Freunde. Meine Anhänglichkeit hat sich in den Zeiten seither nicht vermindert. Zu Daniel also später. Weiter im Vortrag!
Als Nächstes galt mein inniger Dank Apelles, meinem Ausbilder im Lächeln, der mich gelehrt hatte, dass bürgerliches römisches Leben vor allem ein einziges Theaterspielen sei, auf vielen Bühnen, die sich nach Ansicht der Römer alle zusammen auf dem Theatrum Mundi befanden. Er war ein berühmter und wohlhabender Schauspieler, der von vielen Aliturus genannt wurde. Er hatte mich in Puteoli erwartet und entsetzt wie beglückt in die Arme geschlossen, denn die Nachricht vom Untergang meines Schiffes, der »Atropos«, war meinen Schritten vorausgeeilt.
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